# taz.de -- Krach um Erklärung zum Weltfriedenstag: „Die“ Wehrmacht war’… | |
> Berger Stadträte von FDP und CDU verweigern einer gemeinsamen Erklärung | |
> von Stadt und KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen die Zustimmung. Nun gibt's | |
> Streit. | |
Bild: Kriegsgefangene kippen Leichen in ein Massengrab in Bergen-Belsen, bewach… | |
Göttingen taz | Es sollte ein harmonischer Tag werden, und zunächst verlief | |
auch alles wie geplant. Am Weltfriedenstag, dem 21. September, wollte die | |
Stadt Bergen in der Lüneburger Heide ein Zeichen setzen. Die Evangelische | |
Jugend veranstaltete eine Andacht zum Thema Frieden, um 12 Uhr läuteten die | |
Kirchenglocken, und aus den Schulen und Kitas ließen Kinder biologisch | |
abbaubare Luftballons steigen. Die parteilose Bürgermeisterin Claudia | |
Dettmar-Müller verlas auf dem Berger Friedensplatz eine Erklärung, die sie | |
selbst sowie der scheidende Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische | |
Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, gemeinsam verfasst hatten. | |
„Während des Zweiten Weltkrieges haben SS und Wehrmacht vor unserer Haustür | |
unvorstellbare Verbrechen begangen“, lautet ein Satz darin. Im von der | |
Wehrmacht 1940 errichteten Kriegsgefangenenlager und dem von der SS | |
betriebenen Konzentrationslager Bergen-Belsen waren während des Zweiten | |
Weltkriegs Zehntausende Menschen zu Tode gekommen. | |
Der Text der Erklärung, so die Gemeinde auf ihrer Internetseite, sei „von | |
vielen Parteien, Institutionen, Gewerbetreibenden und Vereinen der Stadt | |
mitgetragen“ worden. Auch im Verwaltungsausschuss des Stadtrates stimmten | |
alle Fraktionen, mit Ausnahme der AfD, zu. Ein aus Termingründen noch | |
fehlender Ratsbeschluss sollte am Donnerstag nachgeholt werden. Eine reine | |
Formsache – so schien es zumindest. | |
Doch bei der Sitzung des Kommunalparlamentes war es mit der | |
überparteilichen Harmonie vorbei. Der FDP-Mann Martin Hildebrandt meinte, | |
man könne SS und Wehrmacht historisch nicht in einen Topf werfen. Es solle | |
besser „Teile der Wehrmacht“ heißen. | |
Auch SPD-Abgeordnete verwahrten sich nach Berichten lokaler Medien gegen | |
eine vermeintliche „Gleichsetzung“ von SS und Wehrmacht. Die CDU schlug | |
vor, die Wehrmacht in der Erklärung ganz außen vor zu lassen. Nach längerer | |
Diskussion vertagte das Kommunalparlament schließlich einen Beschluss zu | |
der von der Bürgermeisterin drei Tage zuvor verlesenen Erklärung. | |
„Wir haben heute festgestellt: Es gibt da noch einen Dissens“, lautete der | |
Celleschen Zeitung zufolge das Resümee der Sitzung durch den | |
stellvertretenden Bürgermeister Rüdiger von Borcke (SPD). Grünen-Ratsherr | |
Jürgen Patzelt zeigte sich irritiert: „Ich dachte, das ist eine kurze Übung | |
und die Sache geht durch.“ Ebenso die Bürgermeisterin selbst: „Mir fehlen | |
die Worte“, sagte Dettmar-Müller dem Blatt zufolge. „Wir diskutieren hier | |
eine halbe Stunde über Dinge, die eigentlich klar sein sollten.“ | |
Gedenkstätten-Chef Wagner, der die Stiftung zum Jahresende verlässt und | |
nach Thüringen wechselt, war ebenfalls fassungslos. „Die verweigerte | |
Zustimmung der Berger Stadträte zu der gemeinsamen Erklärung von Stadt und | |
Gedenkstätte bestürzt mich zutiefst“, schrieb er auf Twitter und Facebook. | |
Im Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen seien zwischen 1940 und 1945 im | |
Gewahrsam der Wehrmacht 20.000 vorwiegend sowjetische Kriegsgefangene | |
gestorben, 52.000 weitere Menschen seien zwischen 1943 und 1945 im KZ | |
Bergen-Belsen unter Verantwortung der SS ums Leben gekommen: „Darauf | |
bezieht sich der Satz in der Erklärung, dem die Stadträte nicht zustimmen | |
wollen.“ | |
Die Institutionen SS und Wehrmacht seien „unterschiedlich strukturiert“ | |
gewesen, so Wagner, „aber beide waren verantwortlich für unvorstellbare | |
Verbrechen“. Das bedeute nicht, dass sich jeder Wehrmachtssoldat an | |
Verbrechen beteiligt habe, dies werde in der Erklärung aber auch gar nicht | |
behauptet. Die im Rat erhobene Forderung, die Wehrmacht aus der Erklärung | |
zu streichen, offenbare „ein rückwärtsgewandtes, gegen unsere aufgeklärte | |
und wissenschaftlich fundierte Erinnerungskultur gerichtetes | |
Geschichtsbild, das eher an die 1950er als an die 2020er Jahre erinnert“. | |
Wagners Stellungnahme hat nun wiederum den FDP-Kreistagsabgeordneten | |
Hildebrandt auf den Plan gerufen. Wagner liege falsch, wenn er behaupte, | |
die Liberalen hätten mit CDU und AfD die Erklärung zum Weltfriedenstag | |
nicht mitgetragen. Über die Erklärung sei schließlich gar nicht abgestimmt | |
worden, „sondern sie wurde vertagt“. | |
Der von ihm gestellte Änderungsantrag, so Hildebrandt, habe zum Ziel | |
gehabt, „SS und Wehrmacht nicht undifferenziert in einen Topf zu werfen, | |
sondern von SS und Teilen der Wehrmacht im Text zu sprechen“. Überhaupt | |
habe er von Wagner erwartet, „dass er seine Erklärungen nicht nur auf dem | |
Hörensagen und einem Presseartikel abstützt, sondern sich bei mir als | |
Antragsteller der Textänderung informiert“. | |
30 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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