Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Legenden über die Wehrmacht: „An alte Lügen angeknüpft“
> Vor 20 Jahren demontierte seine Wanderausstellung die angeblich so
> „saubere Wehrmacht“. Nun warnt Historiker Hannes Heer vor neuen Legenden.
Bild: Erschießt 1941 serbische Geiseln: Kommando des Infanterieregiments „Gr…
taz: Herr Heer, vor 20 Jahren hat die von Ihnen realisierte Ausstellung
„Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ gezeigt: Die
Legende von der „sauberen Wehrmacht“ ist nicht haltbar.
Hannes Heer: Im Zentrum der Ausstellung standen 19 Millionen Männer oder
zehn Millionen zumindest an der Ostfront. Wenn man die Frauen, Freundinnen
und Verlobten hinzuzählt, sind das fast zwei Drittel der Bevölkerung. Damit
ist zum ersten Mal deutlich geworden, dass die Geschichte Nazideutschlands
auch Familiengeschichte ist. Die künstliche Trennung, die nach 1945 alle
Angehörigen der Volksgemeinschaft vorgenommen haben – Hitler war´sund seine
kriminelle Bande, wir haben damit nichts zu tun gehabt – ist zerbrochen.
Wie konnte sich die Legende 50 Jahre lang halten?
Es ist alles darangesetzt worden, die Wehrmacht nicht zum Diskussionspunkt
zu machen. Das ging schon 1945 los, als sechs Generäle und Feldmarschalle
eine Denkschrift an die Anklagevertretung des Nürnberger Prozesses
richteten, in der sie erklärten: Wir haben von der Judenverfolgung vorher
nichts gewusst, wir haben im Krieg nichts erfahren, das war alles die SS.
Dann kam die Welle der Generalsmemoiren, die schon im Titel auf Freispruch
plädierten. Dieser Trend setzte sich in den 50er- und 60er-Jahren fort.
Auch juristisch wurde dafür gesorgt, dass die Wehrmacht nicht unter die
Lupe genommen wurde. Es gab keine kritische Geschichtsforschung, die
geschlagenen Generäle durften im Auftrag der USA die Geschichte ihrer
Feldzüge selbst schreiben.
Auch in den Familien wurde nicht über die deutsche Schuld gesprochen.
Dem öffentlichen Schweigen entsprach ein genauso tiefes Schweigen in den
Familien. Es gab ein eigenartiges Bündnis: Wir erzählen nicht, was wir an
der Heimatfront erlebt haben und ihr müsst auch nichts erzählen. Und die
Kameraden haben dichtgehalten. Es gab ein informelles, aber sehr intensives
Veteranenwesen, Offiziere und Generäle haben dafür gesorgt, dass für ihre
Einheiten eine Lesart entwickelt wurde, an die sich alle hielten.
Mit der Ausstellung wurde dieses Schweigen durchbrochen.
Die zweite und dritte Generation wurde kalt erwischt. Sie sahen in der
Öffentlichkeit Männer, die wie ihr Vater, Onkel oder Großvater aussahen, an
Orten, wo diese gewesen waren. Öffentlich wurde darüber diskutiert, aber zu
Hause hatte man nichts erzählt. Für die Landser, die Tätergeneration, war
das ein böser Schock, für die nachfolgenden Generationen war es ein
heilsamer Bruch des Schweigens. Es wurde möglich, in den „Familienarchiven“
zu forschen und, wenn die Eltern weiter schwiegen, Gespräche in der
Verwandtschaft zu suchen.
Der Ausstellung gingen in vielen Städten heftige Auseinandersetzungen
voraus. Ein neuralgischer Punkt war das Jahr 1997.
In München ist zum ersten Mal in einer konzertierten Aktion ein Boykott der
Ausstellung versucht worden. Da war neben Peter Gauweiler, der CSU, dem
Focus auch das Institut für Zeitgeschichte unter seinem Direktor Horst
Möller beteiligt, der als Anhänger der Totalitarismustheorie Ernst Noltes
von vornherein ein erbitterter Gegner der Ausstellung war: Die Wehrmacht
habe nur auf die Verbrechen Stalins reagiert.
Was warf man Ihnen vor?
Die Behauptung war, wir würden Quellen fälschen und lügen. Möller hat uns
als Kopisten Hitlers und dessen „Einhämmerungsmethoden“ bezeichnet: Wenn
man nur oft genug sage, die Wehrmacht ist verbrecherisch, glaube es auch
der Letzte. Auch ein weiteres geschichtswissenschaftliches Leitinstitut,
das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr, hat gegen uns
gearbeitet und 1997 eine große Konferenz gemacht unter dem Titel „Die
Wehrmacht – Mythos und Realität“: Der Mythos war die Ausstellung, die
Realität repräsentierte das Forschungsamt.
Ende 1999 zog Jan Philipp Reemtsma die Ausstellung dann angesichts des
öffentlichen Drucks zurück. Sie selbst wurden von Leitung und weiterer
Mitarbeit ausgeschlossen.
Die englischsprachige Version der Ausstellung war schon fertig für eine
USA-Reise, die am 5. Dezember in New York beginnen und zu fünf Nobel-Unis
führen sollte. Dabei gab es die Unterstützung prominenter Kriegs- und
Holocaustforscher wie Raul Hilberg, Christopher Browning und Omer Bartov.
Das war für die genannten Leitinstitute einer konservativen beziehungsweise
reaktionären Geschichtspolitik, aber auch für die damalige rot-grüne
Regierung gefährlich.
Warum?
Die USA-Tour hätte unsere Thesen irreversibel gemacht, zum anderen liefen
die Verhandlungen über die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Bundeskanzler
Schröder war ein absoluter Gegner der Ausstellung, sprach von einer
„selbstbewussten Nation“, die um ihre Vergangenheit wisse, aber „in die
Zukunft orientiert ist“. Deutschland lasse sich nicht mehr mit seiner
Geschichte erpressen und wünsche keine neuen Wiedergutmachungsdebatten.
Reemtsma ließ die Ausstellung neu konzipieren. Sie haben diese zweite
Wehrmachtsausstellung scharf kritisiert.
Alle Landserfotos waren weg, weil die fotografierenden Soldaten plötzlich
alle „fragwürdige Augenzeugen“ waren. Stattdessen wurde auf Fotos der
Propagandakompanien aus dem Bundesarchiv zurückgegriffen. Das war der
entscheidende Axthieb an unserer Ausstellung. Damit waren die Belege für
Millionen Täter und Tatkomplizen weg, die Verbrechen, der Alltag des
Tötens, auch die Lust vieler Soldaten am Krieg. Wir hatten von Beginn an
Wert darauf gelegt, auch danach zu suchen, was in ihnen vorgegangen ist
beim Töten und danach. Auch das ist gekippt worden. Reemtsma wollte jetzt
mit Aussagen zur Mentalität „eher vorsichtig“ sein. Und zu Zahlen und
Größenordnung der Täter überhaupt nichts mehr sagen
Sie kritisieren, dass damit Leerstellen geschaffen und wieder aufgefüllt
wurden.
Wenn man die Täter und ihre Mentalität aus dem Fokus rückt, entsteht eine
Leerstelle, die Bücher wie Sönke Neitzels und Harald Welzers „Soldaten“ m…
ihrer Leugnung deutscher „Weltanschauungskrieger“ an der Ostfront füllen:
„Der Krieg macht den Soldaten zum Krieger.“ Diese Parole hat Nico Hoffmanns
ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ wörtlich übernommen. Darin
werden die Protagonisten als leere Blätter vorgeführt, die – scheinbar ohne
vorher in nationalsozialistischen Sozialisationsinstanzen wie der HJ oder
dem BdM gewesen zu sein – erst im Krieg beschrieben werden.
Sie erschienen so wieder wie ganz normale Soldaten wie in anderen Kriegen
auch.
Unsere Mütter, unsere Väter begehen zwar Verbrechen, sühnen aber ihre
Schuld und stehen lupenrein da. So sauber wie diese Figuren erscheint dann
die ganze Wehrmacht. Das von Beginn an als völkerrechtswidriger
Vernichtungskrieg geplante „Unternehmen Barbarossa“ mit den entsprechenden
Befehlen existiert gar nicht. Das bleibt hängen und bestimmt nun das Bild
der Wehrmacht und des Krieges in der Öffentlichkeit. Im Grunde ist es eine
Imagekampagne, die ein positives kollektives Selbstbild entwirft, das an
alte Lügen anknüpft. Zum in den Familien in Gang gekommenen Dialog wird ein
quasi staatlich geführter Dialog organisiert, um die Kontrolle
wiederzuerlangen.
10 Oct 2015
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Erinnerungskultur
Wehrmacht
Kriegsverbrechen
70 Jahre Befreiung
Ausstellung
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Wehrmacht
Historiker
Russland
Namibia
Rechtsextremismus
Verantwortung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die jüdische Geschichte der Ukraine: Wir müssen die Ukraine verteidigen
Der israelische Historiker mit galizischen Wurzeln Omer Bartov über Krieg
und Frieden und die Fragen: Wem gehört das Land? Und wer darf dort wohnen?
Krach um Erklärung zum Weltfriedenstag: „Die“ Wehrmacht war’s nicht
Berger Stadträte von FDP und CDU verweigern einer gemeinsamen Erklärung von
Stadt und KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen die Zustimmung. Nun gibt's Streit.
Neuer Band mit Essays von Raul Hilberg: Was Deutsche nicht wissen wollten
Kaum einer untersuchte den Holocaust so genau wie der 2007 verstorbene
Historiker. Jetzt gibt es einen neuen Band mit einer Essay-Auswahl.
Erhard Eppler über die Wehrmacht: „Die Verbrechen sind weiße Flecken“
Vor 75 Jahren überfiel die deutsche Wehrmacht die UdSSR. Die Aufarbeitung
des damaligen Unrechts wurde über Jahrzehnte kaum angegangen.
Grüne über koloniale Erinnerungskultur: „Noch viele blinde Flecken“
Ulle Schauws, kulturpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion,
über die fehlende Reflexion der deutschen Kolonialherrschaft.
NS-Geschichte und Rechtsextremismus: Gebell und Gedenken
Die Rechte in Bayern beruft sich unverblümt auf den Nationalsozialismus.
Das neue NS-Dokumentationszentrum in München ist deshalb um so wichtiger.
Deutsche Verantwortung für den 1. WK: Die Sehnsucht, unschuldig zu sein
Der Historiker Christopher Clark spricht Deutschland von der Verantwortung
für den Krieg frei. Die Zustimmung ist groß, doch so einfach ist es nicht.
Gedenktag: Ein Feiertag, so still wie die Totenruhe
Kann man der toten Soldaten gedenken, wenn die Sache, für die sie kämpften,
diskreditiert ist? Ist es zynisch, am gleichen Tag an die Opfer zu
erinnern?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.