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# taz.de -- Wegen Text über Verbrechen der Wehrmacht: Ermittlungen gegen Histo…
> Ein pensionierter Offizier hat den früheren Leiter der Stiftung
> niedersächsische Gedenkstätten angezeigt. Die Ermittlungen sind
> eingestellt worden.
Bild: Vermutet eine Retourkutsche der AfD: Historiker Jens-Christian Wagner
Göttingen taz | „Kein Scherz und nicht 1944, sondern 2020“, twitterte
Jens-Christian Wagner am Montag: „Gegen mich wurde ein
#Ermittlungsverfahren wegen Behauptung ‚ehrenrühriger Tatsachen zum
Nachteil der Wehrmachtssoldaten‘ eingeleitet. Corpus delicti ist ein wiss.
Begleitband zu einer Ausstellung zu Verbrechen der Wehrmacht.“ Einen Tag
später und nach öffentlichen Protesten hatte die Staatsanwaltschaft
Göttingen die Ermittlungen gegen den Historiker und langjährigen Leiter der
Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten schon wieder eingestellt.
Wagner ist Herausgeber des im Göttinger Wallstein-Verlag erschienenen
Begleitbandes „Aufrüstung, Krieg und Verbrechen. Die Wehrmacht und die
Kaserne Bergen-Hohne“ zu einer gleichnamigen Ausstellung in der
Gedenkstätte Bergen-Belsen. [1][Der Truppenübungsplatz und die Kaserne
Bergen-Hohne] wurden 1935 im Rahmen der Aufrüstungs- und Kriegspolitik des
NS-Regimes eingerichtet. Hier übte die Wehrmacht den Angriffskrieg, dem ab
1939 Millionen Menschen zum Opfer fielen – darunter Zehntausende
Kriegsgefangene, die in Lagern am Truppenübungsplatz untergebracht waren,
und mehr als 52.000 Häftlinge des [2][KZ Bergen-Belsen].
Der bei ihm eingetrudelte Bescheid über die Ermittlungen basiere auf einer
28 Seiten umfassenden Strafanzeige eines namentlich nicht genannten
pensionierten Bundeswehroffiziers, sagte Wagner am Mittwoch der taz. Er
habe die Anzeige selbst noch nicht gesehen, über seinen Anwalt aber
Akteneinsicht in das Verfahren beantragt. Den Vorwurf der Verbreitung
„ehrenrühriger Tatsachen zum Nachteil der Wehrmachtssoldaten“ sieht Wagner
als Beleg für eine „Diskursverschiebung nach rechts“.
## Retourkutsche der AfD?
Bei der Anzeige könne es sich um eine Retourkutsche der AfD handeln, sagt
Wagner. Er hatte Ende September die AfD-Fraktion im Berger Stadtrat wegen
Volksverhetzung angezeigt. Im Kommunalparlament gab es zunächst Widerstand
gegen eine von Wagner und der parteilosen Bürgermeisterin Claudia
Dettmar-Müller verfasste [3][Erklärung zum Weltfriedenstag]. „Während des
Zweiten Weltkrieges haben SS und Wehrmacht vor unserer Haustür
unvorstellbare Verbrechen begangen“, lautete ein Satz darin.
Die zweiköpfige Berger AfD-Fraktion verfasste eine eigene Erklärung, in der
die NS-Verbrechen mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verglichen
wurden. „Wer sich immer nur um seine in der Tat zutiefst schuldbeladene
Vergangenheit kümmert, aber zur zutiefst schuldbeladenen gegenwärtigen
Praxis schweigt, für die er selbst verantwortlich ist, der hält keinen
Frieden“, hieß es darin. Wer sich für die angeblich von Migranten verübten
Verbrechen „als Täter und Dulder nicht in Grund und Boden schämt“, brauche
von Freiheit und Demokratie „steuerfinanziert“ nicht zu schwärmen.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg habe jedoch Ermittlungen gegen die AfD
aufgrund seiner Anzeige abgelehnt, so Wagner zur taz. Trotzdem habe sich
die AfD womöglich dafür revanchieren wollen. Bei dem Anzeigenerstatter
gegen Wagner könnte es sich nach taz-Informationen um den Berger
AfD-Fraktionsvorsitzenden Michael Telkemeyer handeln, er ist pensionierter
Berufssoldat.
Der Göttinger Oberstaatsanwalt Andreas Buick hat nach eigenen Angaben erst
durch Wagners Tweet und Anrufe von Journalisten von der Anzeige gegen den
Historiker erfahren. Er habe sich den Vorgang daraufhin von dem
ermittelnden Kollegen vorlegen lassen, sagte Buick der taz. Und sei dabei
zu dem Ergebnis gelangt, dass nichts Strafbares vorliege. Das Verfahren sei
bereits eingestellt, Wagner werde entsprechend benachrichtigt. „Das alles
ist unglücklich gelaufen“, sagte Buick.
## „Skandalöses“ Verfahren
Der Göttinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin nannte es am
Mittwoch „skandalös“, dass im Jahr 2020 ein solches Ermittlungsverfahren
überhaupt eingeleitet und die Anzeige nicht gleich als gegenstandslos
abgewiesen worden sei.
Es handele sich um den wissenschaftlichen Begleittext zu einer Ausstellung.
Allein dass jemand deshalb wegen „ehrenrühriger Tatsachen zum Nachteil der
Wehrmachtssoldaten“ Anzeige erstatte, sei an sich schon absurd. „Die
Verbrechen der Wehrmacht in der NS-Zeit sind unumstritten“, betonte
Trittin. „Das sollten Staatsanwälte schon im Grundstudium gelernt haben.“
12 Nov 2020
## LINKS
[1] /Dorf-auf-dem-Truppenuebungsplatz-Bergen/!5539979
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[3] /Krach-um-Erklaerung-zum-Weltfriedenstag/!5713098
## AUTOREN
Reimar Paul
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