# taz.de -- Neue Jugend-Einrichtung in Hamburg: Doch wieder Kinderknast? | |
> Der Hamburger Senat baut ein Heim für 16 Kinder, die Schulen und | |
> Jugendämter überfordern. Laut einem Medienbericht ist auch | |
> Freiheitsentzug geplant. | |
Bild: Wer andere nicht erträgt soll ins – womöglich – geschlossene Heim | |
HAMBURG taz | Als SPD und Grüne ihren [1][Koalitionsvertrag vorlegten], | |
schien es so, als hätten beide die umstrittenen Pläne eines geschlossenen | |
Heims beerdigt. Lediglich von einer neuen Einrichtung „von Jugendhilfe und | |
Psychiatrie“, war dort zu lesen. Nachfragen der taz und der Linken, [2][ob | |
es sich dabei doch eine geschlossene Einrichtung] handle, wurden mit dem | |
Hinweis, die Planung sei „noch nicht angeschlossen“ abgebügelt. Doch nun | |
ließ Sozial-Staatsrätin Petra Lotzkat in der Welt am Sonntag die Katze aus | |
dem Sack. | |
[3][Dem Artikel zufolge] plant die Stadt auf einem Gelände in Groß Borstel | |
am Klotzenmoorstieg ein Wohnprojekt mit 16 Plätzen für Kinder von neun bis | |
13 Jahren. Gedacht sei dies für Kinder, die so große psychische Probleme | |
haben, das sie die Schulen und die Jugendhilfe überfordern. | |
Sie wolle „früher erkennen, was den Kindern fehlt und ihnen helfen zurecht | |
zu kommen“, begründet Lotzkat das geringe Alter. Als Beispiel nennt der | |
Bericht Kinder, „die es nicht ertragen, mit Mitschülern Zeit in einem Raum | |
zu verbringen, ohne aggressiv zu werden“. Die Welt am Sonntag setzt hinzu: | |
„Nicht wenige dürften nach einem Unterbringungsbeschluss eines | |
Familiengerichts in der Einrichtung landen, weil sie sich oder andere | |
gefährden.“ | |
Dieser Satz lässt aufhorchen. Einen „Unterbringungsbeschluß“ des | |
Familiengerichts gibt es nur für Freiheitsenzug. Die Einrichtung – in der | |
die Kinder über zwei Jahre mehrere „Stufen“ durchlaufen, beginnend mit drei | |
Monaten Diagnostik-Phase – wäre doch ein geschlossenes Heim. | |
## Sozialbehörde schweigt, Grüne beschwichtigen | |
Hinzu kommt, dass neben Pädagogen und Lehrern für die Heimschule, auch ein | |
„Sicherheitsdienst immer präsent sein“ soll. Das Heim soll zum | |
Landesbetrieb Erziehung (LEB) gehören, der der Stadt gehört, und bereits | |
von 2003 bis 2009 die gescheiterte Geschlossene Unterbringung | |
Feuerbergstraße (Guf) betrieb. Der Bau des neuen Heims soll 2022 beginnen, | |
2024 sollen erste Kinder einziehen. | |
Die taz fragte Montag früh die Sozialbehörde, ob die neue Einrichtung eine | |
Betriebserlaubnis für geschlossene Unterbringung haben wird. Dann wäre es | |
ein geschlossenes Heim. Ferner fragten wir, ob es Aufgabe des | |
Sicherheitsdienstes sein soll, die Kinder am Verlassen des Geländes zu | |
hindern. | |
Die Behörde beantwortete die Fragen am Montag bis Redaktionsschluss nicht. | |
Erst Dienstag früh schickte sie ein allgemeines Statement, das aber die | |
Fragen der taz nach Freiheitsentzug nicht beantwortete. Details der | |
Einrichtung, wie „etwa die Aufgaben des Sicherheitsdienstes“, würden sich | |
erst im Laufe der weiteren Planungen ergeben, so Sprecher Martin Helfrich. | |
Die Fragen stellten wir auch der Grünen-Fraktion. Die reagierte immerhin | |
zeitnah. Es handle sich bei den Aussagen im Welt-Artikel um Äußerungen, die | |
bei einem Erörterungstermin zum Grundstück im Bezirk Nord gefallen seien. | |
Diese stellten „einzig erste Überlegungen dar“, schreibt die | |
Jugendpolitikerin Britta Herrmann. Für die Grünen sei es wichtig, dass es | |
eine „Schnittstellenunterbringung zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie“ | |
gebe, die auch eine Psychiatriekommission empfehle. | |
Das Konzept stehe noch gar nicht, beteuern die Grünen. Sie seien darüber | |
„mit der zuständigen Behörde im Austausch“. Auf die Frage, ob die Grünen | |
eine geschlossene Einrichtung für Kinder mittragen, gab es keine direkte | |
Antwort. | |
## Aktionsbündnis in Sorge | |
Der Welt-Artikel macht auch dem „Aktionsbündnis gegen geschlossene | |
Unterbringung“ Sorgen. Er frage sich, ob ein geschlossenes Heim „durch die | |
Hintertür etabliert werden soll, gegen alle Befunde, die wir gerade in | |
Hamburg dazu haben“, sagt dessen Sprecher Tilman Lutz. Schon die Idee, | |
Kinder, die als nicht erreichbar gelten und Probleme haben, gemeinsam und | |
abgeschieden unterzubringen, verstärke deren Konflikte, warnt er. Ein | |
Sicherheitsdienst zur Bewachung widerspreche kindgerechtem Aufwachsen. | |
Die Links-Fraktion, die erst am 18. August nach der Einrichtung fragte und | |
keine Antwort bekam, reichte nun eine neue Anfrage ein, in der sie nach | |
Rolle des Sicherheitsdienstes und Geschlossenheit fragt. Sie will auch | |
wissen, ob für Kinder, die es nicht aushalten mit Mitschülern in einem Raum | |
zu sein, in dem Heim „Einzelisolierungen“ geplant sind. Und sie fragt, | |
warum der LEB den Zuschlag bekommt und es kein | |
Interessenbekundungsverfahren gibt. | |
„Der Senat weiß genau, dass diese Einrichtung fachlich umstritten ist“, | |
sagt Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. „Da kann er sich nicht einfach | |
der Fachdebatte entziehen und plötzlich über die Presse ein Konzept | |
präsentieren.“ Sollte ein geschlossenes Heim geplant sein, werde ihre | |
Fraktion „entschieden Widerstand leisten“. | |
Boeddinghaus sprach das Thema prompt tags darauf am Dienstag im | |
Familienausschuss der Bürgerschaft an. Dort stellte nun Sozialsenatorin | |
Melanie Leonhard (SPD) klar, die neue Einrichtung solle kein geschlossenes | |
Heim der Jugendhilfe sein. So eines zwar hätte die frühere rot-grüne | |
Koalition in ihrem Koalitionsvertrag mal vorgesehen, aber, so Leonhard | |
wörtlich: „Jetzt geht es nicht um eine geschlossene Unterbringung nach | |
Sozialgesetzbuch VIII.“ In die nun geplanten Einrichtung würden andere | |
Kinder mit ganz anderen Störungsbildern kommen. Es könne dort aber | |
Schutzmaßnahmen aufgrund des Psychisch-Kranken-Gesetz geben. | |
Leonhard sagte, es gebe in Hamburg Bedarf für eine „hochstrukturierte | |
Einrichtung“, ohne im Detail auszuführen, was das heißt oder welche Rolle | |
hier ein Sicherheitsdienst spielt. Auch sie beteuerte, das Konzept sei noch | |
nicht fertig, hier müssten nun mit Psychiatrie und Jugendhilfe zwei Akteure | |
kooperieren. Die Linken-Politikerin Boeddinghaus bat daraufhin darum, | |
dieses Konzept möge, wenn es fertig ist, auch im Familienausschuss | |
vorgestellt werden. Leonhard sagte, dazu sei sie von ihrer Seite bereit. | |
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde um die Stellungnahme von | |
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) aktualisiert. | |
22 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Koalition-in-Hamburg/!5685298/ | |
[2] /Keine-Auskunft-ueber-geschlossene-Heime/!5704559/ | |
[3] https://www.welt.de/regionales/hamburg/article216074712/Psychische-Probleme… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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