| # taz.de -- Iranische Künstler in der Schirn: Groteske Eselsrunde vor Laptops | |
| > Die Gebrüder Haerizadeh sowie Hesam Rahmanian setzen sich gegen | |
| > engstirnige Frömmler mit Humor zur Wehr. Eine große Kunstschau in | |
| > Frankfurt. | |
| Bild: Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, „O YouPeople!“, … | |
| Klack, klack, klack klappern die Schuhabsätze durch den White Cube. Die | |
| eiserne Regel, in einer Kunstausstellung nichts zu berühren, wird hier | |
| gleich definitorisch kassiert. Wer sich dem Werk von Ramin Haerizadeh, | |
| Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian in der Frankfurter Schirn nähern | |
| möchte, der muss darauf herumlaufen. | |
| Das führt im besten Sinne dazu, dass sich die Besuchenden ob der Geräusche, | |
| die sie auf den lackierten MDF-Platten von sich geben, ungeachtet ihres | |
| tatsächlichen Schuhwerks ein bisschen wie auf Stilettos fühlen dürfen. Und | |
| passend dazu haben die Künstler auf dem Bodengemälde in | |
| Oldschool-Camp-Manier auch gleich einige haarige Unterschenkel nebst Füßen | |
| in High Heels versteckt. | |
| Und es bewirkt zudem eine merkwürdige Form der Immersion: Wo der Blick auf | |
| die Kunst horizontal geschult ist, muss man hier ständig unter die eigenen | |
| Füße blicken. Denn nur so erhält man eine Perspektive auf ein Ensemble, das | |
| als flache Ebene über die gesamte Ausstellungsfläche im Ganzen nicht zu | |
| erfassen wäre. | |
| Es geht um ein ausschnittsweises Erblicken. Von kegelförmigen Figuren, | |
| Tieren, Mensch-Tier-Chimären. Einer Eselsrunde vor Laptops, Händen vorm | |
| Smartphone, die aus dem Dunkel eines shamsehförmigen, mal vergitterten, mal | |
| mit einem Magritte-artigen Himmeldekor versehenen Fensters nach draußen | |
| greifen. Dazwischen Schachbrettmuster und persisch anmutende Ornamente. Und | |
| ein grotesk deplatzierter Anus in einer Art Unterwasser- oder | |
| Sumpflandschaft. | |
| ## Das Herzstück der Schau | |
| Es ist ein analog-vertikales Eintauchen, in der man die Arbeit des | |
| iranischen Künstlertrios traumwandlerisch um sich weiß, ohne ihr je habhaft | |
| zu werden. „O You People!“ bildet das Herzstück der ersten | |
| Einzelausstellung von Hearizadeh, Haerizadeh und Rahmanian in Deutschland. | |
| Wie die meisten der hier präsentierten Arbeiten haben die Künstler das sich | |
| auf dem Boden erstreckende Tafelbild extra für die Schau in der Frankfurter | |
| Schirn Kunsthalle angefertigt. | |
| Einer Schau, zu der sie coronabedingt erst gar nicht selbst anreisen | |
| konnten. Seit 2009 leben und arbeiten die beiden Brüder Haerizadeh sowie | |
| Hesam Rahmanian als Kollektiv in Dubai. Dem Vernehmen nach bewohnen sie in | |
| dem Emirat ein zauberhaftes Eldorado für und mit der Kunst, teils mit | |
| anderen Kolleginnen und Kollegen zusammen. | |
| Diese Bohemia im Nahen Osten ist nicht so ganz freiwillig entstanden. | |
| Während sich das iranische Trio 2009 für eine Ausstellung in Paris befand, | |
| wurden die Räume eines ihrer Sammler in Teheran durchsucht. Er warnte die | |
| Künstler vor der Rückkehr in den Iran. Damals ließ das iranische Regime mit | |
| dem islamistischen Hardliner Mahmud Ahmadineschad an der Spitze die | |
| Demokratiebewegung brutal niederschlagen. | |
| Ihr Exil fanden die Künstler schließlich in den Vereinigten Arabischen | |
| Emiraten, von wo aus sie heute Ausstellungen in der ganzen Welt | |
| vorbereiten. Dabei arbeiten sie auch mit KünstlerInnen international | |
| zusammen – die Stoffbehänge der Eselsskulpturen in der Schirn etwa stammen | |
| aus dem Hamburger Atelier von Hoda Tawakol. Mit Bodengemälden, | |
| Videoarbeiten, großformatigem Wandgedicht, Skulpturen und | |
| Found-Footage-Bildmaterial bilden sie nun in Frankfurt eine begehbare | |
| Installation mit dem popreferenziellen Titel “‚Either He's Dead Or My Watch | |
| Has Stopped‘ Groucho Marx (While Getting The Patient's Pulse)“. | |
| Ein Hauch von Vaudeville, von albern-anarchischem Witz durchzieht diese | |
| Ausstellung. An manchen Stellen scheint sie das gesamte Leid der globalen | |
| Welt zu versammeln, doch im nächsten Moment zaubert sie ein Konvolut aus | |
| Karneval, Cabarét, Teufelsfratzen oder freundlichen Fabelwesen hervor. | |
| Dazu erklingt ein kakofonischer Soundtrack, der sich aus dem Klackern der | |
| Schuhe des Publikums sowie des Gesangs von Lonnie Holley speist. Mit | |
| Holley, dem Musiker und Outsider-Art-Berserker aus dem nordamerikanischen | |
| Alabama, ist das Künstlerkollektiv seit 2014 in Kontakt. Damals standen sie | |
| in einem selbstgebauten Set gemeinsam vor der Kamera. | |
| Dazu speisen sie dröhnende persische Tanzmusik ein. Diese stammt aus der | |
| Videoarbeit „Dancing After The Revolution“. Sie enthält heimlich | |
| aufgenommene Tanzszenen aus den privaten Wohnräumen iranischer Haushalte. | |
| [1][Irans Mullahregime hat etwas gegen das Tanzen.] Doch viele frönen | |
| weiterhin heimlich diesem verbotenen Laster und tauschten dafür in den | |
| 1980ern Videokassetten mit privaten Aufnahmen aus. | |
| Die Künstler in der Schirn berufen sich in ihrer Arbeit auch auf Mohammad | |
| Khordadian. Der Exil-Iraner hat mit einer Mischung aus persischem Volks- | |
| und orientalischem Bauchtanz sowie amerikanischer Aerobic eine Art | |
| nostalgische Fantasieheimat geschaffen. Er war damit vor allem in den USA | |
| der 1980er Jahre sehr erfolgreich gewesen. | |
| ## Kunst in der Pandemie | |
| Geschichten wie diese erzählt die Ausstellung beiläufig auch. Erstaunlich | |
| mühelos fügen sich die einzelnen Werke zu einer Schau, deren Dimensionen | |
| von den Künstlern vor Ort weder ausprobiert noch eigenhändig nachjustiert | |
| werden konnten. Die Installation gibt von daher auch eine Anschauung, wie | |
| der Ausstellungsbetrieb dank Internet und Zoom Ländergrenzen und | |
| Pandemiegesetze überwinden kann. | |
| Doch was für Dinge, Kunstobjekte gelten mag, es gilt nicht zwangsläufig für | |
| Menschen und deren Kommunikation. In Coronazeiten zeigt sich besonders | |
| deutlich, wie unterschiedlich je nach Staatsbürgerschaft der Status von | |
| KünstlerInnen ist. | |
| Wo das Kollektiv nun selbst nicht präsent sein kann, da ist es der Esel. | |
| Dieser führt als Spirit Animal durch die Installation. Ramin Haerizadeh, | |
| Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian zeigen den arbeitsamen Underdog, | |
| dessen purer Anblick manch einen Menschen schon von seinem seelischen Leid | |
| geheilt haben soll, immer wieder mit weit aufgerissenem Maul. Einer | |
| Ansicht, von der man nie ganz sicher ist, ob sie nach gelangweiltem Gähnen, | |
| großem Gelächter oder leidvollem Aufschrei ausschaut. | |
| Der Welt zeigt das Künstlertrio so sein sardonisches Lächeln, nach außen | |
| scharf, dem Menschen aber stets zugewandt. Wer weiß: Vielleicht kann man | |
| sich ja tatsächlich noch über die Zustände erheben, indem man sich eine | |
| Weile einfach buchstäblich daraufstellt. | |
| 4 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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