# taz.de -- Iranischer Spielfilm auf der Berlinale: Wo sich Fuchs und Wolf tref… | |
> Brecht auf Iranisch: der starke Wettbewerbs-Beitrag „There Is No Evil“ | |
> von Mohammad Rasoulof. | |
Bild: Hier treffen sich also Wolf und Fuchs – Filmstill aus „There Is No Ev… | |
In Mohammad Rasoulofs Spielfilm „There Is No Evil“ klingt ein wunderbar | |
schwermütiges iranisches Chanson an. Der Interpret singt von einem Kuss und | |
einer langen „Reise durch die dunkle Nacht“. Eine Reise durch die lange | |
iranische Nacht unternimmt Rasoulofs Spielfilm nun tatsächlich selbst. | |
Eine, die 1979 beginnt und bisher nicht endete. Rasoulof wagt es also, | |
erneut Dinge anzusprechen, die im Iran eigentlich unsagbar sind. | |
Rasoulof, 1972 in Shiraz geboren, wurde bereits 2010 direkt vom Filmdreh | |
weg verhaftet. Zusammen [1][mit dem Regisseur Jafar Panahi] wurde er wegen | |
seiner künstlerischen Arbeit zunächst zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die | |
Strafe wurde später auf ein Jahr reduziert und zur Bewährung ausgesetzt. | |
2017 wurde er nach der Rückkehr vom Filmfestival in Cannes erneut | |
festgenommen. Nach Frankreich war er mit „A Man of Integrity“ zu den | |
Festspielen eingeladen und ausgezeichnet worden. Es folgten eine weitere | |
Verurteilung und zahlreiche Auflagen für die Zeit danach. | |
Auch jetzt dürften die iranischen Zensoren sich kaum erfreut zeigen über | |
den aktuellen Wettbewerbsbeitrag ihres Landsmannes. Rasoulofs „There Is No | |
Evil“ ist in seinen vier Episoden eine allegorische Auseinandersetzung mit | |
der Behauptung moralischer Integrität in Zeiten einer willkürlich | |
handelnden staatlichen Macht. Mit jenen Menschen, die mitmachen – und jene, | |
die dem Regime den Dienst verweigern, jene die dabei selten genug in den | |
Blick der Öffentlichkeit geraten. | |
## Der Henker liebt Katzen | |
Dabei versteht es Rasoulof, geschickt einen Spannungsbogen zu entwickeln, | |
der die Geschichten ambivalenter erscheinen lässt als vielleicht zunächst | |
angenommen. In Episode 1 erzählt „There Is No Evil“ von einem liebenden | |
Familienvater in Teheran. Nach getaner Arbeit fährt er mit Frau und Kind | |
durch die verstopften Straßen der Hauptstadt. | |
Gemeinsam erledigen sie Einkäufe, pflegen seine Mutter, gehen Pizza essen. | |
Der Mann rettet eine Katze, die sich im Keller verfangen hat. Aber er | |
schläft schlecht. Und trägt in seinen müden Augen ein Geheimnis mit sich. | |
Mit beiläufiger Routine wäscht er sein Obst – und drückt auf den Knopf für | |
die Hinrichtung zum Tode Verurteilter im Gefängnis. | |
Bis zu dieser Szene am Ende von Episode 1 deutet der filmisch dargestellte | |
Alltag dieser iranischen Mittelständler nicht auf deren materielle | |
Grundlage: Es ist die des Handwerks eines Henkers. Rasoulof bildet „die | |
Banalität des Bösen“ hier exemplarisch ab, verzichtet auf überzeichnende | |
Kommentare. Ein völlig illusionsloser, nüchterner Blick. | |
## Kunstvolle Verknüpfung | |
Doch wie sich zeigt, nicht so ganz. Die pure Hoffnungslosigkeit, sie wäre | |
schwer erträglich. Und so widmen sich in kunstvollen Verknüpfungen die | |
Episoden 2, 3 und 4 mit widerständigen Handlungen. Und mit dem, was aus | |
diesen hervorgeht. Aber auch mit dem, was die Folge ist, sofern sie | |
ausbleiben. Der Opportunist stirbt an sich selbst. | |
Bisweilen gleicht Rasoulofs Erzählung einem Brecht’schen Lehrstück. Aber im | |
iranischen Kontext ist dies aktuell und verständlich. Ebenso die | |
pathetische Feier des Ausbruchs eines Rekruten, der dem | |
Hinrichtungskommando zugeteilt war. Jede Handlung birgt Konsequenzen in | |
sich. Denn einer, der auf Befehl oder aus Gleichgültigkeit das Leben | |
anderer opfert, opfert damit immer auch seine Seele. | |
In diesem Film haben sich viele in die innere Emigration zurückgezogen, | |
etwa auf malerische alte Bauernhöfe am Kaspischen Meer. Oder sie züchten | |
Bienen in kargen, goldgelb schimmernden Landschaften. Aber gerade dort, wo | |
sich Fuchs und Wolf gute Nacht sagen, verbindet Rasoulof seine Geschichte | |
mit Exil, Gegenwart und Zukunft. Ein überzeugendes Statement. | |
29 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Iranischer-Spielfilm-auf-der-Berlinale/!5664420 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Spielfilm | |
Iran | |
Film | |
Spielfilm | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Dokumentarfilm | |
Iran | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Verhältnis Iran - Israel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Asghar Farhadi über „A Hero“: „Nichts ist dem Zufall überlassen“ | |
Der Regisseur Asghar Farhadi redet über Social Media im Iran, Politik in | |
Beziehungen und seine ungewöhnliche Heldenfigur in dem Film „A Hero“. | |
Iranischer Spielfilm bei Berlinale: Wohin mit dem Baby? | |
Im Film „Ta farda“ entwirft der iranische Regisseur Ali Asgari das Porträt | |
einer ebenso desillusionierten wie leidenschaftlichen Generation. | |
Essayfilm „Der nackte König“ online: Die Substanz der Revolte | |
Was haben Ayatollah Khomeini und Lech Wałęsa gemein? Der schweizer | |
Essayfilm „Der nackte König“ sucht „Fragmente der Revolution“. | |
Iranische Künstler in der Schirn: Groteske Eselsrunde vor Laptops | |
Die Gebrüder Haerizadeh sowie Hesam Rahmanian setzen sich gegen engstirnige | |
Frömmler mit Humor zur Wehr. Eine große Kunstschau in Frankfurt. | |
Iranischer Spielfilm auf der Berlinale: Wagen vor der Tür | |
In „Namo“ leidet ein Lehrer unter der allgegenwärtigen Kontrolle. Es ist | |
ein beeindruckendes Statement unabhängiger Filmemacher Irans. | |
Berlinale „Born in Evin“: Die Rettung des iranischen Films | |
Maryam Zarees Werk berichtet von den Nachwirkungen der Iranischen | |
Revolution im Exil und ist ein Highlight aus der Perspektive Deutsches | |
Kino. | |
Kommentar 40 Jahre Mullah-Regime: Der Irrtum der iranischen Linken | |
40 Jahre nach Chomeinis Machtübernahme ist der Lack des islamistischen | |
Regimes ab. Wenn die Generation von 1979 ausstirbt, brechen viele Konflikte | |
auf. |