| # taz.de -- Maßnahmen gegen Raser: Dann halt die Straße dicht machen | |
| > Was tun, um illegale Autorennen und schwerste Verkehrsunfälle zu beenden? | |
| > Die Verbände Changing Cities und ADFC fordern radikales Handeln. | |
| Bild: Nach Unfällen wie dem 2016 auf der Tauentzienstraße soll erst mal kein … | |
| Nach dem Horror-Crash auf dem Ku'damm, bei dem am Montag der mutmaßliche | |
| Teilnehmer an einem Autorennen eine 45-Jährige lebensgefährlich und ihre | |
| 17-jährige Tochter schwer verletzt hat, fordern der Mobilitätsverband | |
| Changing Cities und der Fahrrad-Club ADFC, Rasern die „rote Karte“ zu | |
| zeigen. Sie präsentierten am Donnerstag einen Forderungskatalog, mit dem | |
| die vom Senat verkündete „Vision Zero“ endlich umgesetzt werden soll – a… | |
| das Versprechen, [1][Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden] | |
| irgendwann auf Null zu reduzieren. | |
| Die radikalste Maßnahme, für die die Organisationen plädieren: Es sollen | |
| „Fahrstreifen und Kreuzungen nach motorisierter Gewalt aus Gründen der | |
| Gefahrenabwehr sofort stillgelegt werden, bis die Sicherheit aller | |
| Verkehrsteilnehmer*innen an der gegebenen Stelle gewährleistet ist“. Der | |
| Begriff „motorisierte Gewalt“ ist offenkundig an „sexualisierte Gewalt“ | |
| angelehnt, und das nicht ohne Grund: „Ein Vorfall mit Getöteten oder | |
| Schwerverletzten wird nur im Straßenverkehr als Unfall verharmlost und geht | |
| meist als leicht bestraftes Kavaliersdelikt durch“, so die Verbände. | |
| Eine Stilllegung würde „ein klares Signal an alle Bürger*innen senden: Wir | |
| nehmen keine Verkehrstoten mehr hin!“, so Changing-Cities-Sprecherin | |
| Ragnhild Sørensen. In ihrer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung | |
| verweisen die Verbände darauf, dass es sich beim Rasen keineswegs um | |
| isolierte Fälle handelt: Just am Dienstag wurde in der Warschauer Straße in | |
| Friedrichshain eine Radfahrerin verletzt, als sich drei Motorradfahrer ein | |
| Rennen lieferten. | |
| Da die Zahl der im Verkehr Getöteten und Verletzten dieses Jahr Rekordhöhen | |
| zu erreichen droht, hatten der ADFC und Changing Cities den Senat schon | |
| Anfang letzter Woche zum „Paradigmenwechsel“ aufgefordert: Der Regierende | |
| Bürgermeister Michael Müller, Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) und | |
| Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) sollten Sofortmaßnahmen zur | |
| Reduktion der Verkehrsunfälle ergreifen. „Auf eine Antwort warten wir bis | |
| heute“, so die Mobilitätsverbände. | |
| Sie verlangen unter anderem eine „Task Force Verkehrssicherheit“ beim | |
| Regierenden Bürgermeister, die eine definierte Anzahl von Kreuzungen sicher | |
| gestalten soll, etwa durch getrennte Ampelphasen für den Rad- und | |
| Fußverkehr einerseits und den Kfz-Verkehr andererseits. Auf allen | |
| Kreuzungen, wo sich in den vergangenen zwei Jahren schwere Lkw-Unfälle | |
| ereigneten, solle die getrennte Signalisierung sofort umgesetzt werden. Bis | |
| zur jeweiligen technischen Lösung, müsse ein Rechtsabbiegeverbot gelten. | |
| ## Überholspuren sollen wegfallen | |
| Weitere Forderungen: der Rückbau von zweistreifigen Abbiegespuren (die | |
| aufgrund fehlender Sichtbeziehungen ein hohes Unfallrisiko bedeuten), der | |
| Wegfall von Überholspuren auf Hauptverkehrsstraßen 2. und 3. Ordnung, die | |
| Ausweitung von Tempo 30 bei konsequenter Kontrolle der Einhaltung. Bei | |
| Berufs-KraftfahrerInnen, die einen schweren Unfall verursachen, müssten die | |
| Begleitumstände – wie Dienstpläne, Sicherheitsmanagement, oder | |
| Wartungsintervalle – viel genauer überprüft werden. Gegebenenfalls brauche | |
| es „die zeitweise Stilllegung des Betriebs, wie es bei | |
| sicherheitsrelevanten Betriebsunfällen durchaus üblich ist“. | |
| Die Ereignisse auf dem Ku'damm vom Montag haben wieder gezeigt, dass die | |
| zentralen Boulevards der Stadt [2][regelmäßig dazu missbraucht werden,] mit | |
| PS zu protzen und sich spontane Rennen zu liefern. Zuletzt wie bei den | |
| beiden Rasern, die Anfang 2016 auf der Tauentzienstraße einen unbeteiligten | |
| Fahrer töteten und im Anschluss wegen Mordes verurteilt wurden. Das | |
| Verfahren gegen sie ist nach dem Gang durch mehrere Instanzen nach wie vor | |
| nicht abgeschlossen. | |
| Der verkehrspolitische Sprecher der Grünenfraktion, Harald Moritz, sagte am | |
| Donnerstag zur taz, er könne die Ungeduld der Verbände durchaus verstehen. | |
| Nur auf die Infrastruktur zu schauen, reiche aber nicht aus. In Bezug auf | |
| die Forderungen, Straßen nach Unfällen erst einmal für den Kraftverkehr | |
| dichtzumachen, gab er zu bedenken, dass die Ermittlungen von Polizei und | |
| Unfallkommission oft Monate dauerten: „Dann wäre auch die Straße so lange | |
| gesperrt.“ | |
| ## Mehr Blitzer! | |
| Für Moritz gehört die Ausweitung des Überwachungsdrucks zu den wichtigsten | |
| Maßnahmen, um Sicherheit herzustellen: „Wir müssen etwa die Kontrollen beim | |
| Rechtsabbiegen von Lkw deutlich verschärfen, die ja verpflichtet sind, | |
| dabei Schrittgeschwindigkeit zu fahren.“ Auch mehr Blitzer müssten zum | |
| Einsatz kommen, allerdings nicht unbedingt in Form fest installierter | |
| Säulen, sondern als mobile Anhänger, die immer wieder an unterschidlichen | |
| Stellen positioniert werden können. Von diesen Geräten gibt es bislang | |
| lediglich zwei in Berlin. | |
| Auch der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard | |
| Naumann (SPD), hatte nach dem Unfall vom Montag seine Forderung nach | |
| Blitzergeräten für Ku’damm und Tauentzien wiederholt. Er richtete sie | |
| allerdings an die grüne Verkehrssenatorin, was aus deren Haus umgehend an | |
| eine SPD-Adresse zurückgespielt wurde: Für die Verkehrsüberwachung sei nun | |
| mal die Polizei als nachgeordnete Behörde der Innenverwaltung von Senator | |
| Geisel zuständig, so Sprecher Jan Thomsen: „Wir haben aber keine Blitzer.“ | |
| Fahrradaktivist Heinrich Strößenreuther wiederum twitterte: „An der | |
| Kantstraße wird es nie wieder Autorennen geben, da nur noch hintereinander | |
| gefahren werden kann. Genau darum bettelt auch der Ku’damm.“ Durch die | |
| Einrichtung eines Pop-up-Radwegs auf der Kantstraße ist mittlerweile nur | |
| noch eine Fahrspur für Kfz übrig. Übertrüge man das auf den Ku'damm, würde | |
| es allerdings auf eine Abschaffung der Busspuren und somit eine | |
| Benachteiligung des ÖPNV hinauslaufen. | |
| Im Übrigen: Bei der kriminellen Energie, die die [3][spontanen und meist | |
| nächtlichen Autorennen] voraussetzen – wer garantiert, dass einer der | |
| Beteiligten dann nicht einfach parallel auf der gegenläufigen Fahrbahn | |
| rast? | |
| 3 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Radpolitik-in-Berlin/!5704141&s=changing+cities/ | |
| [2] /Umweltschuetzer-ueber-Motorradlaerm/!5707361/ | |
| [3] /Opfer-von-Rasern-in-Staedten/!5706682&s=/ | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
| ## TAGS | |
| Illegale Autorennen | |
| Verkehrsunfälle | |
| Changing Cities | |
| ADFC | |
| Regine Günther | |
| Andreas Geisel | |
| Ku'damm | |
| Tempolimit | |
| Illegale Autorennen | |
| Heinrich Strößenreuther | |
| Radverkehr | |
| Regine Günther | |
| Verkehrswende | |
| Grüne Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Illegales Autorennen in Ludwigsburg: Tod durch enthemmte Automobilisten | |
| Mutmaßlich durch ein illegales Autorennen kommen zwei unbeteiligte Frauen | |
| in Ludwigsburg ums Leben. Wie lassen sich die Raser endlich abschrecken? | |
| Karlsruhe zu Kudamm-Raser: Mordurteil gebilligt | |
| Hamdi H. verursachte den Tod eines Rentners. Das Bundesverfassungsgericht | |
| hat keine Einwände gegen die Entscheidung des Berliner Landgerichts. | |
| Schwarz-grüner Klimaschützer: Ober-Radler jetzt in der CDU | |
| Heinrich Strößenreuther stieß das Fahrrad-Volksbegehren und andere | |
| Initiativen an. Grün war er aber nur kurzzeitig – und nun ist er | |
| CDU-Mitglied. | |
| Ein Jahr nach dem tödlichen Unfall: Endlich Vernunft auf der Kantstraße | |
| … oder doch nicht? Berliner RadaktivistInnen loben die Pop-up-Radspur. Bei | |
| deren „Verstetigung“ hakt es aber zwischen Senat und Bezirk. | |
| Streit um Autoverkehr in Berlin: Brücken bauen zwischen Rot und Grün | |
| Die Verkehrspolitik wird zum Wahlkampfthema werden. Die SPD will sich dabei | |
| als Freund der kleinen Autofahrer präsentieren. Nur in Mitte nicht. | |
| Opfer von Rasern in Städten: Autos ausbremsen | |
| Erneut führt ein vermutlich illegales Rennen zum Horrorcrash und Raser | |
| können sich sicher fühlen. Es wird Zeit, dass die Verkehrspolitik radikal | |
| wird. | |
| Bilanz der Verkehrspolitik in Berlin: Ein Puzzle, dem viele Teile fehlen | |
| Ein Jahr vor der nächsten Wahl wirkt die Politik der grünen | |
| Verkehrsenatorin Regine Günther zu oft noch wie Stückwerk. |