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# taz.de -- Prostitution in Zeiten von Corona: Sexworker:innen in Wartestellung
> Eine Wellness-Massage geht, eine erotische nicht: Sexuelle Dienstleister
> fühlen sich benachteiligt. Lockerungen gibt es überall, nur bei ihnen
> nicht.
Bild: Die Forderungen des „Sexy Aufstand Reeperbahn“ verhallen ungehört
Hannover taz | Enttäuschend finde sie den Umgang der Politik mit
Sexworker:innen, sagt Dorothee Türnau von „Phoenix“, der
Fachberatungsstelle für Sexarbeitende in Hannover. Es hatte ja so ein paar
Hoffnungen gegeben – in Hamburg und Bremen hatten sich noch im Juli
Lockerungen angedeutet, eine Abkehr vom kompletten Verbot jeglicher
sexueller Dienstleistungen im Zeichen von Corona.
In Hamburg waren Sexarbeiter:innen von der Herbertstraße bis zur Davidwache
marschiert – und hatten mit ihren goldenen Masken vor den Gesichtern für
schöne, medienwirksame Bilder gesorgt. In Bremen drohte die „Joy Company“
mit einer Klage gegen die Bestimmungen des Senats, wenn sie nicht
wenigstens erotische Massagen in ihrem Bordell am Rande der Neustadt
anbieten dürfe.
In beiden Städten hatte es einzelne Äußerungen von Politiker:innen gegeben,
die in der Branche Hoffnung schürten. Umso größer ist nun die Enttäuschung,
dass sowohl in Bremen als auch in Hamburg und Niedersachsen die Bordelle
bei den Lockerungen nicht bedacht wurden und die Entscheidung ein weiteres
Mal aufgeschoben wurde.
Man wolle die Entwicklung des Infektionsgeschehens abwarten, sagte Hamburgs
Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD). Außerdem strebe die Stadt eine
einvernehmliche Regelung mit den Nachbarländern an. Ähnlich argumentiert
das niedersächsische Gesundheitsministerium, das sogar auf eine bundesweit
einheitliche Regelung setzt.
## In Niedersachsen ist zumindest der Escort erlaubt
Die Gruppe „Sexy Aufstand Reeperbahn“, die auch die Demos angemeldet hat,
reagierte empört. Dorothee Türnau auch: „Ich weiß nicht, was man da noch
machen oder sagen soll.“ [1][Seit Monaten hätten Branchenverbände und
Beratungsstellen] detaillierte und differenzierte Konzepte entwickelt,
welche sexuellen Dienstleistungen unter welchen Hygienevorschriften möglich
wären. Immerhin sei der Körperkontakt ja nicht in allen Sparten und bei
allen Spielarten gleich intensiv.
Empört sind die Sexarbeiter:innen auch über die Ungleichbehandlung im
Vergleich zu anderen Branchen. Immerhin gibt es eine ganze Reihe von
körpernahen Dienstleistungen, die wieder zugelassen sind. Warum dürfen
andere massieren, schneiden, epilieren und tätowieren – Sexworker:innen
aber niemanden anfassen?
Genau mit diesem Argument war Anfang August eine Bordellbetreiberin vor dem
Oberverwaltungsgericht im Saarland erfolgreich. Das dortige
Prostitutionsverbot wurde gekippt. Aber weil das natürlich nur für die
Regelung im Saarland gilt, kann sich hier darauf niemand berufen.
[2][Wie in fast allen Bereichen sind die Regelungen auch was Sexarbeit
betrifft zwischen den Bundesländern höchst unterschiedlich.] In
Niedersachsen beispielsweise hatte die Landesregierung nach einem
OVG-Urteil zähneknirschend das Prostitutionsverbot aufgehoben, verboten ist
nur noch der Betrieb von Prostitutionsstätten. Escortservice – also das
Aufsuchen von Kunden in deren Wohnungen oder in Hotelzimmern – ist erlaubt.
Das, erklären Saskia Apelt und Johanna Ulrichs von der Beratungsstelle
Phoenix, bringe aber auch wieder Ungerechtigkeiten und eigene Probleme mit
sich.
„Wer es nicht gewohnt ist, im Escort zu arbeiten, der hat auch keine
Strategien, wie man da verhandelt oder für die eigene Sicherheit sorgt“,
sagt Ulrichs. „Was macht man denn, wenn man an einer fremden Wohnungstür
klingelt und dahinter steht nicht nur ein Kunde, sondern mehrere Männer?“
## Die Krise bedroht vor allem kleine und legale Etablissements
Noch stärker vom Verbot betroffen sind diejenigen Sexworker:innen, die
vorher schon in prekären Verhältnissen gearbeitet haben. Wer auf dem
Straßenstrich war und drogenabhängig ist, kann jetzt nicht mal eben
aufhören. [3][Die Anbahnung ist aber schwieriger geworden und Übergriffe
können nicht mehr angezeigt werden] – die Freier wissen das.
Aber auch diejenigen, die vor Corona in besseren Arbeitsverhältnissen
angeschafft haben, kommen an ihre Grenzen. „Irgendwann ist das Ersparte und
die Rücklagen fürs Alter eben aufgebraucht – da werden Existenzen auf Jahre
hinaus zerstört“, sagt Ulrichs.
Vor allem im ländlichen Raum stehen viele kleinere Etablissements von
Frauen vor dem Aus, sagt Apelt. Das seien aber häufig diejenigen, die gute
Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten bieten – gut laufende,
ordnungsgemäß gemeldete, solide Adressen.
## Grüne fordern Landesregierung auf sich zu positionieren
Dass solche Strukturen kaputt gehen, während illegale und prekären
Beschäftigungen florieren, ist eine Sorge, die auch die frauenpolitische
Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag, Imke Byl, umtreibt. Sie
hat eine Anfrage an die Landesregierung gestellt, in der sie eine klarere
Positionierung und eine Perspektive für die Branche fordert.
„Wir haben den Eindruck, dass die Landesregierung dieses unliebsame Thema
einfach ausblendet“, sagt Byl. Möglicherweise, argwöhnen viele in der
Branche, weil es einigen Menschen ganz recht wäre, wenn hier etwas kaputt
ginge. Erst im Mai hatten Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien,
darunter auch der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD), ein totales
Sexkaufverbot gefordert – auch nach Corona.
28 Aug 2020
## LINKS
[1] /Bordelle-wegen-Corona-geschlossen/!5695181&s=Sexarbeit+Corona/
[2] /Sexarbeit-in-Zeiten-von-Corona/!5698096&s=Sexarbeit+Corona/
[3] /Mehr-Gewalt-gegen-Prostituierte/!5700172&s=Sexarbeit+Corona/
## AUTOREN
Nadine Conti
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