# taz.de -- Proteste in Belarus: Nicht zu blocken | |
> In Belarus sperrt die Regierung immer wieder das Internet. Der Messenger | |
> Telegram bleibt aber zugänglich – und wird zum Medium des Protests. | |
Bild: Mit den Taschenlampen im Smartphone gegen den Wahlbetrug – denn die fun… | |
BERLIN taz | Montagmorgen in Minsk. Eigentlich wollte der belarussische | |
Präsident Alexander Lukaschenko die Arbeiter des staatlichen | |
Fahrzeugherstellers MZKT auf Linie bringen. Er wollte auf eine Bühne | |
treten, eine Rede halten, seine Macht demonstrieren. [1][Doch die Arbeiter | |
brüllen Lukaschenko nieder], rufen „Geh weg“ und „Tritt zurück“. Vide… | |
Vorfalls kursieren Minuten später im Internet. Kurz darauf gibt es | |
zahlreiche Berichte, dass im ganzen Land das Internet blockiert ist. | |
Netblocks.org, eine Aktivist:innengruppe, die sich für digitale Rechte und | |
Cybersicherheit einsetzen, dokumentieren im Rahmen ihres „Internet Shutdown | |
Observatory“ Internetausfälle und -blockaden. Für diesen Montagmorgen | |
[2][bestätigen sie den Vorfall]. Die Regierung, so wird vermutet, drosselte | |
das Internet, um die Verbreitung der Videos zu verhindern. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass das Internet in diesen Tagen in Belarus | |
blockiert wird. Die Ausfälle begannen mit der Präsidentschaftswahl am 9. | |
August. Gegen 3 Uhr am Morgen des Wahlsonntags kam es zu den ersten | |
Störungen. Das geht aus [3][Beobachtungen von Netblocks.org hervor]. Als | |
die Wahllokale öffneten, seien immer mehr Seiten im Internet nicht mehr | |
aufrufbar gewesen, heißt es. Dann traf es auch soziale Netzwerke wie | |
Facebook, Instagram und Twitter. Bis 20 Uhr hatte sich die Störung auf ganz | |
Belarus ausgeweitet. | |
Schon Tage vor der Wahl [4][forderten Aktivist:innen und NGOs] die | |
Lukaschenko-Regierung auf, freien Internetzugang während der Wahlen zu | |
gewährleisten. Am Tag nach der Wahl machte [5][Lukaschenko ausländische | |
Kräfte für die Störungen verantwortlich]. [6][Die staatseigene | |
Telekommuniaktionsfirma RUE Beltelecom behauptete außerdem], sie arbeite | |
daran, die Ausfälle zu beheben und den Dienst nach „mehreren Cyberangriffen | |
unterschiedlicher Intensität“ wiederherzustellen. | |
## Telegram funktioniert auch bei instabilem Internet | |
Anna Litvinenko ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für | |
Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität | |
Berlin. Sie forscht zu sozialen Medien und politischer Mobilisierung in | |
autoritären Regimen. Am Tag der Wahl war sie selbst in einem belarussischen | |
Dorf nahe der polnischen Grenze, die Internetblockade erlebte sie mit. Mit | |
der Internetblockade wollte die Regierung die Deutungshoheit erlangen, sagt | |
sie. „Die Idee war, dass die Leute sich nicht mehr im Internet vernetzen | |
können und stattdessen den Fernseher einschalten.“ Geklappt hat das nicht. | |
Denn eine Messenger-App konnte weiterhin genutzt werden: Telegram. „Im | |
Gegensatz zu vielen anderen Messengerdiensten funktioniert Telegram auch | |
bei instabilem Internet“, sagt Aliaksandr Herasimenka, Doktorand an der | |
Oxford University. Er forscht zu Telegram und dessen Einfluss auf | |
Protestorganisation. Für ihn ist Telegram das entscheidende Instrument für | |
die Proteste. | |
Da Telegram appbasiert ist und keine sogenannten http-Protokolle benötigt, | |
um Daten zu übertragen, so Herasimenka, kann sie staatliche | |
Internetblockaden weitestgehend umgehen. In den ersten Protesttagen sind | |
Hunderte Telegram-Kanäle entstanden: für Regionen, Städte, Viertel und | |
Straßen. Betrieben werden sie meist anonym und genutzt, um sich zu | |
organisieren. Wo kann man sich treffen? Welche Hilfe wird benötigt? | |
Zu einem der wichtigsten Kanäle zählt „Nexta live“. Fast minütlich werden | |
dort Videos hochgeladen, die dokumentieren, was im Land passiert. Gegründet | |
wurde „Nexta“ vor zwei Jahren vom heute 22-jährigen Blogger Stepan Putilo, | |
der im Exil in Polen lebt. Laut Putilo kuratiert den Kanal eine vierköpfige | |
Redaktion. Mehr ist über die Mitarbeitenden nicht bekannt. Als das ganze | |
Land offline schien, wurde „Nexta live“ zur Hautpinformationsquelle. | |
Mittlerweile hat der Kanal über zwei Millionen Abonnent:innen. Im | |
Vergleich: Tut.by, eine unabhängige Medienplattform aus Belarus, zählt | |
gerade einmal knapp 350.000 Abonnent:innen. | |
Journalist:innen nutzen mittlerweile ausschließlich Telegram. „Viele | |
unabhängige Medien haben im Grunde ihre Inhalte auf Telegram verlagert. | |
Updates werden darüber verbreitet, nicht mehr über ihre Website“, sagt | |
Herasimenka. „Was wir jetzt in Belarus sehen, ist, zumindest für Europa, | |
ein neues Level an Koordination von Protesten durch Telegram“, sagt | |
Litvinenko. Die Regierung wird wohl weiter versuchen zu blockieren. Und | |
Telegram wird wohl online bleiben. | |
20 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/TadeuszGiczan/status/1295273367092830210?s=20 | |
[2] https://twitter.com/netblocks/status/1295284932575731712 | |
[3] https://twitter.com/netblocks/status/1292862300647559170?s=20 | |
[4] https://www.accessnow.org/appeal-to-president-lukashenko-of-belarus-to-keep… | |
[5] https://www.belta.by/president/view/lukashenko-internet-v-belarusi-otkljuch… | |
[6] https://beltelecom.by/news/main/vnimaniyu-abonentov-3 | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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