# taz.de -- Besuch beim belarussischem Radiosender: Gleich hinter der Grenze | |
> Zensur und Gleichschaltung der Medien in Belarus können dem Sender Radio | |
> Racja nichts anhaben. Denn der sendet vom polnischen Staatsgebiet aus. | |
Bild: Das Studio im polnischen Białystok: Von hier aus sendet „Radio Racja“ | |
Białystok taz | „Wir sind zwar hier in Polen, aber mit all unseren Gedanken | |
und Gefühlen bei den mutigen Freiheitskämpfern in Belarus“, sagt Eugeniusz | |
Wappa. Wappa ist Chef des [1][belarussischen] Exilradios Racja in der | |
ostpolnischen Großstadt Białystok. Die Tür seines Büros steht offen, und | |
immer wieder kommen Redakteure vorbei, um ihm kurz zu signalisieren, dass | |
ein wichtiges Interview ausgestrahlt werden kann. Oder aber dass einer der | |
rund 30 Korrespondenten in Belarus Probleme hat, seine Informationen in die | |
Redaktion in Białystok zu schicken. „Lukaschenko kann zwar in Belarus alle | |
Medien gleichschalten und auch das Internet blockieren, aber unser Radio | |
kann er nicht abschalten“, sagt der 56-Jährige. „Wir senden rund um die Uhr | |
Nachrichten, aber auch Unterhaltung und – im Moment ganz wichtig – die neu | |
entstehenden belarussischen Protestsongs und Freiheitslieder.“ | |
Im großbürgerlichen Mietshaus an der Ciepła-Straße 1 sind die Wohnungen | |
groß genug für Institutionen, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien. Vor | |
einigen Jahren wurde das Haus grundsaniert, in einem warmen Gelbton | |
gestrichen, und auch die gusseisernen Balkone und Stuckarbeiten aus dem 19. | |
Jahrhundert wurden rekonstruiert. | |
Hier hat Radio Racja seinen Sitz. Entstanden ist es bereits 1997 in Polens | |
Hauptstadt Warschau. Doch finanzielle Schwierigkeiten zwangen die | |
Radiomacher, ihren Sender im Jahr 2002 zu schließen. Mit zunehmenden | |
Repressalien des Lukaschenko-Regimes gegen freie Medien und unabhängige | |
Journalisten in Belarus wuchs der Bedarf an einer glaubwürdigen | |
Informationsquelle in belarussischer Sprache. So ging Radio Racja im Jahr | |
2006 erneut auf Sendung – diesmal von der ostpolnischen Stadt Białystok | |
aus. Die Geldgeber – neben der polnischen Regierung auch die Niederlande, | |
Belgien, Österreich und Großbritannien sowie etliche Stiftungen – sorgten | |
dafür, dass das technische Equipment der Studios auf den neuesten Stand | |
gebracht werden konnte. | |
„Wir machen von Polen aus ein Radio von [2][Belarussen für Belarussen]“, | |
sagt Wappa, steht von seinem Arbeitsplatz auf und zeigt auf der großen | |
Wandkarte, welche Reichweite das Radio hat. „Früher haben wir über | |
Mittelwelle gesendet, inzwischen erreichen wir über UKW das gesamte | |
polnisch-belarussische Grenzgebiet, teils auch das polnisch-litauische und | |
das polnisch-ukrainische Grenzgebiet. Außerdem sind wir kostenlos im | |
Internet und auch per App zu empfangen.“ | |
## Unzensierte Sicht | |
Regelmäßige Hörerforschungen zeigten, dass das Radio großen Anklang bei den | |
Belarussen finde – egal ob das die lang eingesessene belarussische | |
Minderheit in Polen, die neu exilierten Belarussen oder die Hörer in | |
Belarus selbst seien. „Gerade [3][als Lukaschenko das Internet in den | |
letzten Wochen blockierte], waren wir für viele in Belarus eine letzte | |
Quelle unabhängiger und glaubwürdiger Informationen. Viele riefen bei uns | |
an und dankten uns für unsere Arbeit.“ Über Radio Racja konnten die | |
Demonstranten in Belarus erfahren, was sich überall in ihrem Lande wirklich | |
ereignete, denn die Staatsmedien bringen seit Jahren nur noch eine | |
zensierte Sicht der Realität. | |
„Insgesamt beschäftigt Radio Racja 40 Mitarbeiter“, erläutert Wappa, dess… | |
Familie ursprünglich aus dem Grenzgebiet zwischen Sachsen und Bayern stammt | |
und vor Jahrhunderten ins historische Livland gezogen war. „Ich fühle mich | |
aber heute ganz und gar als Belarusse, auch wenn ich polnischer | |
Staatsbürger bin. Doch dies nur am Rande“, setzt der Radiochef hinzu. „Hier | |
in den Studios in Białystok arbeiten gerade mal zehn Redakteure und | |
Verwaltungsangestellte. Knapp 30 Korrespondenten hingegen arbeiten in | |
Belarus und senden uns aus vielen Städten aktuelle Informationen und auch | |
fertige Sendungen zu.“ | |
Da Radio Racja Lukaschenko von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen sei, | |
hätten die Korrespondenten trotz offizieller Anfragen noch nie eine | |
Akkreditierung bekommen. „Das Problem ist, dass nach belarussischem Recht | |
ihre Arbeit ohne Presse-Akkreditierung illegal ist. Und so bekommen sie | |
immer wieder Geldstrafen. Oder werden vor die Wahl gestellt: entweder die | |
Arbeit an der Universität, im Labor oder Krankenhaus – oder für das Radio. | |
Da springen dann verständlicherweise immer wieder gute Korrespondenten ab.“ | |
Er schaut auf die Uhr. In ein paar Minuten muss er auf Sendung. Doch er | |
wartet noch ein paar Sekunden bis zur vollen Stunde und dreht das | |
Radiogerät im Büro auf volle Lautstärke. Zu hören ist der Racja-Jingle. | |
„Toll, oder?“, strahlt Wappa. „Das sind wir – dynamisch und kraftvoll. … | |
so muss das auch sein!“ | |
15 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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