# taz.de -- Medien(un)freiheit in Belarus: Minsk all inklusive | |
> Der Ukraine-Korrespondent der taz, Bernhard Clasen, strandet am Flughafen | |
> der Hauptstadt von Belarus. Er darf nicht einreisen, wird aber voll | |
> verpflegt. | |
Bild: Ankunft am Minsker Flughafen. Manche schaffen es sogar in die Innenstadt | |
MINSK taz | Das Flugzeug Kiew – Minsk ist an diesem Donnerstag morgen bis | |
auf den letzten Platz besetzt. Das hat wohl auch damit zu tun, dass | |
flugreisende EU-Bürger für Belarus kein Visum mehr brauchen. Bevor ich auf | |
die Kabinen mit den Grenzern zusteuere, erwerbe ich eine belarussische | |
Krankenversicherung für 10 Tage. Länger will ich auf keinen Fall bleiben. | |
Und so bin ich der Letzte in der Schlange vor der Passkontrolle. | |
Die Beamtin ist nett, schnell und sie interessiert sich wirklich nicht für | |
ihr Gegenüber. Meine Papiere und meine Hotelbestätigung prüft sie nur sehr | |
oberflächlich. Sie lächelt mich an, ohne mich wirklich zu meinen und | |
rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. | |
Doch auf einmal scheint etwas auf dem Bildschirm aufgetaucht zu sein, was | |
ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Während sie zum Telefon greift, | |
blickt sie mir zum ersten Mal wirklich ins Gesicht. Dann legt sie den Hörer | |
auf und sagt: „Wir haben noch ein paar Fragen, warten Sie bitte hier auf | |
meine Kollegen“. | |
In diesem Augenblick kommen zwei Männer und zwei Frauen schnellen Schrittes | |
auf die Kabine zu, bitten mich, mit ihnen zu einer Sitzreihe an der Wand zu | |
gehen. Während mich ein Mann in ein Gespräch verwickelt, laufen die anderen | |
mit – zu beiden Seiten und hinter mir her. | |
## Mit Reisegruppen unterwegs | |
„Was ist das Ziel Ihrer Reise?“ fragt er. Ich erzähle ihm, warum mir | |
Belarus seit jeher wichtig sei, meine Geschichte mit der Aktion „Kinder von | |
Tschernobyl“, meine letzte Reise vor einigen Jahren und dass mich der | |
Tourismus in Belarus interessiere. Schließlich sei ich mit Reisegruppen | |
auch immer wieder mal in Russland und der Ukraine unterwegs. | |
Er hört sich das alles sehr interessiert an, sagt, dass er sich über das | |
ehrliche Interesse an seinem Land und auch darüber freue, dass ich aus | |
Mönchengladbach käme, wo es doch so eine gute Fußballmannschaft gebe. Dann | |
bittet er mich, „alles nur Routine“, meine Sachen aus meiner Tasche | |
auszupacken. | |
Ich lege alles auf einen Tisch. Doch ihn interessieren nur der Computer, | |
das Tablet, Fotoapparat und Smartphone, meine ukrainische | |
Aufenthaltserlaubnis. Und meine Mitgliedskarte der Malteser, die mir im | |
Krankheitsfall einen kostenlosen Transport aus der Ukraine nach Hause | |
ermöglicht. Alles andere kann ich sofort wieder einpacken. | |
Was ich achtlos auf den Tisch gelegt habe, ordnet er schön an und | |
arrangiert Identitätskarten und meinen Ausweis kunstvoll auf dem Computer. | |
Danach fotografiert er sein Werk. Dann bedankt er sich sehr herzlich, | |
wünscht mir und den Mönchengladbacher Fussballern noch viel Glück und | |
verabschiedet sich. | |
## Große Kamera | |
Ich muss zurück in die leere Schalterhalle. Vor den Kabinen der | |
Grenzsoldaten heißt es erstmals warten. Fünf Meter von mir entfernt sitzen | |
zwei Esten. Im Gegensatz zu mir sind sie mit ihrer großen Kamera sofort als | |
[1][Journalisten] erkennbar. Sie zeigen bisherige Akkreditierungen vor und | |
sagen sofort, dass sie Journalisten und nur gekommen seien, um vor Ort eine | |
Akkreditierung zu beantragen. | |
Letztlich haben wir alle keine Chance: die Esten, die die Wahrheit gesagt | |
haben, werden genauso abgewiesen wie ich, der ich versucht habe, meine | |
Arbeit für die taz zu vertuschen. Irgendwann kommt ein hoher Offizier in | |
Begleitung von drei weiteren Militärs in die inzwischen menschenleere | |
Halle. Nicht einmal mehr die Grenzerinnen sitzen in ihren Kabinen. | |
Jetzt bin ich allein – mit den beiden Esten und den vielen Offizieren, die | |
vor uns stehen. Der ranghöchste von ihnen, mit dem meisten Silber auf den | |
Schulterklappen, beschuldigt uns, Artikel 30 des Gesetzes 105 verletzt zu | |
haben. Deswegen werde Belarus uns die Einreise nicht gestatten und er müsse | |
uns auffordern, das Land mit dem nächsten Flieger zu verlassen. Ich frage | |
noch: „Kann ich diese Entscheidung schriftlich haben?“ Etwas verdutzt | |
schweigt der Offizier und antwortet dann: „Das ist bei uns nicht üblich.“ | |
Dann heißt es, schnell die Sachen packen und ab geht es nach oben in den | |
zweiten Stock, immer schön von Grenzern flankiert. In zwei größeren Sälen | |
sitzen nur Männer. In einem davon liegt gewaschene Wäsche auf den | |
Fensterbrettern. Im anderen Raum sind in zwei Ecken Schlafkabinen mit einem | |
Bett und einem kleinen Tisch darin. | |
## Beschallung aus jeder Ecke | |
Da kann sich ausruhen, wer die Gespräche der anderen, das ständig laufende | |
Programm des russischen Fernsehens oder des aserbaidschanischen | |
Internetradios aus der Ecke, wo zwei Aserbaidschaner sitzen, nicht hören | |
will. | |
Ein Bangladeshi, ein Pakistani, ein Slowake, ein Mann aus der | |
Elfenbeinküste, zwei Aserbaidschaner, zwei Polen, ein Deutscher und ein | |
Franzose sind für ein paar Stunden meine Mitbewohner. Nun sind die Grenzer | |
auf einmal sehr locker. Es ist wie ein Spiel: Die einen wollen rein, die | |
anderen lassen sie aber nicht. Nichts Persönliches, jeder macht nur seine | |
Arbeit. | |
Plötzlich verwandelt sich der Saal in ein Reisebüro. „Nein, sagen die | |
Esten, „wir wollen nicht nach Tallin, uns reicht Helsinki.“ „Kein Problem… | |
sagt der Grenzer, „ich bemühe mich zeitnah um ein Ticket“. Der Deutsche, | |
der mit zwei polnischen Journalisten reist und sich als Reporter der stramm | |
rechten „Jungen Freiheit“ outet, bittet meinen Grenzer, ihm ein Ticket nach | |
Warschau zu besorgen. Auch das organisiert der Grenzer. | |
Ein wenig später kommt eine Frau in weißem Arbeitskittel mit einer großen | |
Tasche vorbei. Es gibt Mittagessen – Kartoffeln, ein kleines Schnitzel, | |
eine Scheibe Brot, Fischsalat, eine Tüte Orangensaft. Das alles ist in viel | |
Plastik eingepackt. „Essen gibt’s jeden Tag drei Mal“ erklärt der | |
Pakistani, der schon seit 10 Tagen in den Abschieberäumen festsitzt. | |
## Kein Groll | |
Sein Problem sei, dass Belarus ihn nicht reinlassen wolle, er aber die | |
Ukraine aus aufenthaltsrechtlichen Gründen für ein paar Tage habe verlassen | |
müssen. “Netterweise kann ich hier sein und muss nicht in Minsk auf der | |
Straße übernachten“ sagt er. Groll gegen die Belarussen hegt er nicht. | |
Ich habe immer noch nicht genau verstanden, was man mir vorwirft. Deswegen | |
frage ich einen Grenzer, der im Nebenraum sitzt und irgendwie auf uns | |
aufpassen soll, ob er mir das nicht mal erklären könne. „Holen Sie Ihren | |
Computer, wir sehen uns das im Internet an“, sagt er schließlich und zeigt | |
es mir dann. | |
In Gesetz 105, Artikel 30 steht, dass Belarus Ausländern, die bei der | |
Einreise falsche Angaben machten, die Einreise verweigern könne.Der | |
Pakistaner erklärt mir wenig später, er habe in der vergangenen Woche schon | |
viele Journalisten gesehen, die vergeblich versucht hätten, einzureisen. | |
Aber nur die Hälfte derer, die sich an diesem Tag hier aufhalten, sind | |
Journalisten. Die anderen kommen meist von anderen Kontinenten und sind aus | |
ganz verschiedenen Gründen in Minsk gestrandet. | |
## Fehlende Dokumente | |
Der Bangladeshi Nasmun Krim ist IT-Fachmann. Auf ihn wartet in der Ukraine | |
ein Job mit einem Monatsgehalt von umgerechnet 2000 Euro. Nach Belarus habe | |
er problemlos einreisen können, doch die Weiterreise in die Ukraine | |
verzögere sich, weil sein künftiger Arbeitgeber noch nicht alle notwendigen | |
Dokumente eingereicht habe. Und solange er das nicht tue, werde Krim weiter | |
im Transitbereich festgehalten. | |
Lucas Sika kommt aus der Elfenbeinküste. Er hat einen Studienplatz an der | |
Landwirtschaftsschule in Grodno bekommen. Mit den Unterlagen der Uni habe | |
er zwar die Anreise nach Minsk bewerkstelligen können. Doch die Hochschule | |
verlange 3000 Dollar Studiengebühren pro Jahr und die habe er nicht | |
rechtzeitig bezahlt. Und solange dieses Geld nicht auf dem Konto der | |
Universität eingegangen sei, werde diese ihm nicht die für die Einreise | |
notwendigen Unterlagen zukommen lassen. | |
Lucas Sika spricht nur Französisch. Ihm fällt es schwer, der Uni zu | |
erklären, dass er nicht eben mal zu Western Union gehen könne, um | |
Geldtransaktionen zu tätigen, solange er in Abschiebegewahrsam sei. Dem | |
Verbindungsmann der Uni fehlt offensichtlich die Geduld, mit Lucas Sika zu | |
verhandeln. Er verlangt, Sika solle wieder nach Hause fahren und erst | |
wiederkommen, wenn er bezahlt habe. | |
So bleibt Sika nur, auf eine Möglichkeit zur Rückreise zu warten. Am Abend | |
klappt es endlich. Um 20 Uhr huscht dann zum ersten Mal ein Lächeln über | |
das Gesicht des Ivorers. Der Grenzer kommt herein und ruft ihm kurz zu: | |
„Flight to Istanbul. I´ll be back in 5 minutes“. Sofort hat Lucas seine | |
wenigen Sachen gepackt und wartet, bis der Grenzer ihn erneut aufruft. Als | |
er geht, verabschiedet er sich von allen per Handschlag – Corona, so | |
scheint es, interessiert ihn jetzt wirklich nicht. | |
Um 22:45 Uhr geht endlich auch mein Rückflug nach Kiew. Bis zum Flugzeug | |
begleitet mich ein Grenzbeamter, dort erst am Flugzeug überreicht er mir | |
meinen Pass und ein Papier in englischer Sprache. Darin wird kurz erklärt, | |
dass mir die Einreise verweigert wurde. Reisespesen werde ich übrigens | |
dieses Mal nicht abrechnen. Ich bin ja vom belarussischen Staat verpflegt | |
worden und das nicht mal schlecht. | |
22 Aug 2020 | |
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Bernhard Clasen | |
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