# taz.de -- Demonstrationen in Belarus: Abertausende gegen die Diktatur | |
> Trotz erneuter Drohungen von Staatschef Alexander Lukaschenko halten die | |
> Proteste für Neuwahlen an. Auch die Repression geht weiter. | |
Bild: Zeichen des Protests gegen die Regierung Belarus': die weiß-rot-weiße F… | |
KIEW taz | Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am Sonntagnachmittag mit | |
einem „Marsch für ein neues Belarus“ im Zentrum der belarussischen | |
Hauptstadt Minsk gegen den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko, | |
für Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Bereits | |
eine halbe Stunde nach Beginn der Demonstration meldete das Portal der | |
belarussischen Menschenrechtsorganisation Charta 97 eine | |
TeilnehmerInnenzahl von weit über 200.000 Menschen. Noch um 14 Uhr hatten | |
Milizionäre KundgebungsteilnehmerInnen per Megafon aufgefordert, den Platz | |
zu verlassen. „Haut doch ihr ab“, schallte es ihnen entgegen. | |
„Ich bin begeistert“, sagt die Ingenieurin Alla telefonisch gegenüber der | |
taz. „So weit ich sehen kann, überall Demonstranten hier im Zentrum.“ Noch | |
am Morgen hatte sie befürchtet, dass dieses Mal weniger Leute [1][als zur | |
letzten Demonstration] kommen würden. Schließlich sei Regen angekündigt | |
gewesen. Außerdem fürchtete sie, die Drohungen von Staatschef Lukaschenko, | |
der auch die Verhängung eines Ausnahmerechts nicht mehr ausgeschlossen | |
hatte, könnten viele von einer Teilnahme abhalten. | |
Die Polizei griff bis Redaktionsschluss zwar nicht ein, zeigte jedoch in | |
voller Kampfmontur Präsenz. Demonstrativ hatten viele Polizeiwagen in | |
unmittelbarer Nähe des zentralen Unabhängigkeitsplatzes geparkt. | |
Auch in anderen Städten Weißrusslands waren Zigtausende auf die Straßen | |
gegangen. In Gomel, der zweitgrößten Stadt von Belarus, war der zentrale | |
Lenin-Platz voll mit Demonstrierenden. In Mosyr hatten sich Tausende unter | |
einem Transparent mit der Aufschrift „Wir haben keine Angst mehr“ | |
versammelt. Auch in Grodno und Schodino hatten sich Tausende versammelt. | |
Überall prägten die Demonstrationen weiß-rote Flaggen. Diese Flagge war bis | |
zum Regierungsantritt von Lukaschenko Nationalflagge und ist jetzt das | |
Erkennungszeichen der Opposition. | |
## Rhetorik von Präsident Lukaschenko wird härter | |
Seit 15 Tagen demonstriert die Opposition in Belarus bereits gegen den | |
Präsidenten und die Wahlfälschungen vom 9. August 2020. Die letzten Tage | |
waren vor allem von Menschenketten mit Frauen in weißer Kleidung in den | |
Städten geprägt. „Blumen statt Gewehrkugeln“ war eines der Mottos dieser | |
Menschenketten. Ihre Taktik war es, immer nur für kurze Zeit an bestimmten | |
Straßen zu stehen und sofort den Ort zu wechseln, sobald die Polizei | |
aufkreuzte. „Die Veränderungen in Belarus haben ein weibliches Gesicht“, | |
sagte eine der Veranstalterinnen gegenüber dem russischen Portal lenta.ru. | |
Unterdessen nimmt die Rhetorik von Präsident Lukaschenko und Vertretern | |
seiner Regierung gegenüber den Demonstrierenden immer härtere Züge an. Am | |
Samstag hatte Lukaschenko erklärt, er habe die Truppen von Belarus in | |
Alarmbereitschaft versetzt. Bei einer Verletzung der westlichen | |
Landesgrenzen, zitiert die in Moskau publizierende Internetzeitung | |
gazeta.ru den belarussischen Staatschef gegenüber dem | |
Verteidigungsministerium, solle man „ohne Vorwarnung reagieren“. | |
Die Bereitschaft, die Truppen in Alarmbereitschaft zu versetzen, sei seine | |
schwerste Entscheidung in den letzten 26 Jahren gewesen, so die gazeta.ru. | |
Schließlich bewegten sich Truppen der Nato Richtung Belarus, so Lukaschenko | |
weiter. Neben dem innenpolitischen Faktor spiele nun auch ein | |
außenpolitischer Faktor eine Rolle, „nämlich eine ernsthafte Bewegung von | |
Nato-Truppen in die unmittelbare Nähe von Belarus“. Gleichzeitig erteilte | |
er Vermittlungsbemühungen des französischen Präsidenten Macron eine Absage. | |
Dieser werde ja nicht einmal mit seinen „Gelbjacken“ fertig, wolle nur von | |
den eigenen Problemen ablenken. | |
Und Verteidigungsminister Viktor Chrenin warnte in einer Videobotschaft vor | |
militärischen Eingriffen vor dem Obelisken von Minsk, der inzwischen zum | |
Wahrzeichen der demonstrierenden Opposition geworden ist: „Sollte die | |
öffentliche Ordnung und Ruhe an diesen Plätzen bedroht sein, werdet ihr es | |
nicht mehr mit der Miliz, sondern der Armee zu tun haben.“ Gleichzeitig | |
kündigte der Verteidigungsminister wegen der „neuen Situation an den | |
belarussischen Grenzen“ Manöver der Armee an den Westgrenzen in der Zeit | |
vom 28. bis 31. August an. | |
## 70 Menschen sind spurlos verschwunden | |
Am Samstag entdeckte man den Leichnam des 28-jährigen Nikita Krawzow, | |
erhängt an einem Baum. Er wurde seit zehn Tagen vermisst. Seine Frau Elena | |
ist sich sicher, dass das kein Selbstmord war. Unterdessen berichten | |
weißrussische Menschenrechtler, dass seit den Verhaftungen nach dem | |
Wahlsonntag 70 Personen spurlos verschwunden seien. | |
Inzwischen wurden neue Verhaftungen bekannt. Am Samstag nahmen | |
belarussische Polizisten in Grodno mehrere Aktivisten aus der Anarcho-Szene | |
fest. Diese hatten sich zuvor an einer nicht genehmigten Kundgebung gegen | |
die Wahlfälschungen und für eine Freilassung von politischen Gefangenen | |
beteiligt. | |
23 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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