# taz.de -- Prozess gegen mutmaßliche syrische Folterer: Zeuge erscheint vermu… | |
> Im Prozess gegen zwei mutmaßliche syrische Folter-Schergen sagt ein | |
> Ex-Mitarbeiter des Regimes aus. Er bleibt anonym, seine Familie wird | |
> bedroht. | |
Bild: Prozess in Zeiten der Coronapandemie: der Gerichtssaal in Koblenz | |
KOBLENZ taz | „Teilweise vermummt“ werde der Zeuge erscheinen, sagt die | |
vorsitzende Richterin Anne Kerber. Wegen „der Gefährdungslage“ müsse er | |
auch seine Personalien nicht angeben. Die Identität des Zeugen, der am | |
Mittwoch und Donnerstag in Saal 128 des Koblenzer Oberlandesgerichts | |
aussagt, wird geheim gehalten, in den Akten wird er Z 28/07/16 genannt. Es | |
ist die erste Zeugenaussage dieser Art in dem Prozess, bei dem seit Ende | |
April [1][zwei Syrer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht | |
stehen]. | |
Der Zeuge, zumindest so viel gibt er preis, hat 21 Jahre lang für den | |
Allgemeinen Geheimdienst in Syrien gearbeitet. Jetzt sagt er – maskiert mit | |
Perücke, angeklebtem Bart und dickem Brillengestell – gegen zwei Männer | |
aus, die wegen ihrer Arbeit in einem Foltergefängnis dieses Geheimdienstes | |
vor Gericht stehen. | |
Anwar R., dem Hauptangeklagten, legt die Anklage 58-fachen Mord, Folter in | |
mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung zur | |
Last. R. hat in der Abteilung 251 des Geheimdienstes die Unterabteilung | |
„Ermittlungen“ geleitet und war für das berüchtigte Gefängnis al-Khatib … | |
Damaskus verantwortlich. | |
Z 28/07/16 spricht Arabisch, seine Aussage wird übersetzt. Er berichtet, | |
wie Hierarchien und einzelne Abteilungen des Geheimdienstes funktionieren, | |
wie sich die Lage nach dem Ausbruch der Proteste im Frühling 2011 | |
zugespitzt hat. Danach habe es praktisch keine Vernehmung mehr gegeben, bei | |
der nicht gefoltert wurde, Tote habe man in Kauf genommen. | |
## Grausame Foltermethoden | |
Wie eine Vernehmung ablaufe, fragt die Richterin. Dem Häftling würden die | |
Augen verbunden und die Hände gefesselt, übersetzt der Dolmetscher. | |
„Manchmal wird er auch an der Decke aufgehängt, so dass die Fußspitzen | |
gerade den Boden berühren.“ Dann zählt er die Foltermethoden auf: Schläge, | |
Stromstöße, heißes Wasser, Zigarettenkippen auf der Haut. | |
Er berichtet von abgebundenen Penissen, Nägeln auf Stühlen und dass Köpfe | |
in Wasserfässer gesteckt werden. Auf Nachfragen von R.s Verteidiger Michael | |
Böcker, ob er denn ein Gefängnis besucht und an einer Vernehmung | |
teilgenommen habe, bejaht Z 28/07/16 dies. Viel mehr erfährt man über die | |
Arbeit des Zeugen nicht. | |
„Wer ordnet die Folter an?“, will die Richterin wissen. „Das ist eine | |
Routinesache“, sagt Z 28/07/16. Wenn der Abteilungsleiter freie Hand gebe, | |
benutze er dafür Codewörter. „Das Erforderliche anwenden“ etwa bedeute, | |
dass jedes Mittel zulässig sei. Die Vernehmungsbeamten wiederum würden | |
Folter manchmal verbal, manchmal mit Handzeichen konkret in Auftrag geben. | |
Ob eins dieser Codewörter auch der Begriff „strenge Vernehmungen“ sei, | |
fragt Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der einige der Nebenkläger in dem | |
Prozess vertritt, später nach. Diesen Begriff hatte Anwar R. in seiner | |
Aussage bei der Polizei benutzt. „Mit strengen Vernehmungen ist gemeint, | |
dass alle Mittel angewendet werden, auch wenn der Gefangene dabei | |
verstirbt“, antwortet der Zeuge. | |
## Anonymität und Glaubwürdigkeit | |
Auch in einem anderen Punkt belastet Z 28/07/16 den Angeklagten. Anwar R. | |
hatte [2][in seiner Einlassung behauptet, er sei unschuldig]. Er habe sich | |
bereits im Juni 2011 vom Regime abgewendet und sei entmachtet worden, weil | |
er Inhaftierte entlassen habe. Offiziell aber sei er weiter Oberst und | |
Leiter der Unterabteilung geblieben. „Das ist unvorstellbar“, sagt der | |
Zeuge dazu. Bestenfalls würde er versetzt und zum Handlanger degradiert. | |
Als der Zeuge anhand einer Skizze, die an die Frontseite des Saals | |
projiziert wird, die Struktur einer Abteilung erläutert, fragt Verteidiger | |
Böcker, ob der Arbeitsort des Zeugen zu sehen sei. Die Richterin weist die | |
Frage als nicht zulässig ab. | |
Später führt sie aus, dass nicht nur Leib und Leben des Zeugens in Gefahr | |
seien, auch seine Familie, die noch in Syrien lebe, werde vom Geheimdienst | |
bedroht: Sie würden im Gefängnis landen, wenn er nicht zurückkomme. Dann | |
bestehe, so die Richterin, die Gefahr schwerer Misshandlung bis zum Tod. | |
Deshalb müsse die Identität des Zeugen geschützt werden. | |
Trotzdem fragt der Verteidiger den Zeugen immer wieder: „Woher wissen Sie | |
das?“ Jedes Mal schreitet der Anwalt des Zeugen ein. Böckers Fragen mögen | |
prozesstaktisch begründet sein, aber sie zeigen auch das Dilemma von | |
anonymisierten Zeugenaussagen auf: Sie lassen vieles offen und wirken vor | |
Gericht weniger tragfähig. | |
Doch der Schutz des Zeugen und seiner Familie geht vor, daran lässt die | |
Richterin keinen Zweifel. Z 28/07/16 ist nicht der einzige Zeuge in diesem | |
Prozess, der noch Familie in Syrien hat. | |
13 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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