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# taz.de -- Wohnungsbau in Hamburg: Wohnraum versus Wilder Wald
> In Wilhelmsburg sollen auf einer Waldfläche neue Wohnungen entstehen. Die
> Initiative „Waldretter“ will das verhindern.
Bild: So soll das Spreehafenviertel mal aussehen
Hamburg taz | Vor den Cafés in der Veringstraße in Wilhelmsburg sitzen
Menschen vor ihren Laptops oder schlürfen Cappuccino. Den Ruf, abgelegen
und uninteressant zu sein, hat der Stadtteil schon lange nicht mehr. Es
gibt Gemeinschaftsgärten, Kumpir-Läden und farbenfrohe Architektur. Für
letzteres ist vor allem die IBA Hamburg verantwortlich, die als
Tochterunternehmen der Stadt unter anderem die Neubauten am Bahnhof
Wilhelmsburg gestaltet hat.
Doch noch aus einem anderem Grund ist [1][Wilhelmsburg] inzwischen beliebt:
Man ist schnell in der Natur. Elbkanäle durchziehen das Viertel, es gibt
Parks und in nördlicher Richtung erstreckt sich hinter dem
Ernst-August-Kanal in Richtung Dove-Elbe der Wilde Wald.
Hier wächst seit 60 Jahren ein Auenwald mit Weiden und Pappeln. Das
Bruchholz bleibt liegen und bietet Insekten und Vögeln Unterschlupf und
Nahrung. „Wenn man hier steht, kann man manchmal einen Eisvogel entdecken“,
sagt Alexandra Werdes und blickt über den Ernst-August-Kanal Richtung Wald.
Werdes wohnt in Wilhelmsburg und ist Mitbegründerin der
[2][„Waldretter“-Initiative].
Der Wilde Wald soll bald für das Bauprojekt „Spreehafenviertel“ der IBA
gefällt werden und 1.000 neuen Wohnungen weichen. Eine „urbane
Nachbarschaft“ ist geplant, Radwege und ein Kinderspielplatz. Werdes, ihre
Mitstreiterin Regina Leidecker und andere Anwohner*innen wollen das
verhindern. „Der Wilde Wald ist der einzige Wald in Hamburg Mitte“, sagt
Leidecker. „Es ist ein Ruhepol für uns, ein Lärmschutz und gerade für
Familien und Kitas ein Ausflugsziel.“ Mal eben woanders hinfahren, könnten
sich viele auch nicht leisten, meint Werdes.
Auch die IBA selbst sieht im „grünen Charakter“ Wilhelmsburgs Potential.
Diesen wolle man erhalten und Dächer und Fassaden der neuen Häuser
begrünen. Auch solle der vorhandene Baumbestand „bestmöglich“ in die
Quartiersentwicklung integriert werden. So bleibe auch ein Teil des Waldes
erhalten.
## Auch der Nabu will den Wald erhalten
Die Waldretter wollen [3][den Wald aber komplett erhalten] und haben
deshalb ein Bürgerbegehren gestartet. Darin fordern sie einen
Planungsstopp, um das Vorhaben noch einmal aus ökologischen Gesichtspunkten
zu überprüfen. Bis vergangenen Freitag konnten Anwohner*innen des Bezirks
Mitte die Petition für den Erhalt des Waldes unterschreiben. Der Nabu
unterstützt das Vorhaben, auch Fridays For Future wies auf Demonstrationen
auf die Petition hin.
Am Freitagmorgen rechneten Werdes und Leidecker nicht damit, die nötigen
rund 6.000 Unterschriften noch zu erreichen. „Es ist schwierig, so ein
Anliegen auf Bezirksebene stark zu machen“, sagt Werdes. In Wilhelmsburg
hätten viele Leute unterschrieben, „aber gehen sie mal nach St. Georg, da
wird man sie nur fragen: Was ist bitte das Spreehafenviertel?“.
Wilhelmsburg sei eben eine Insel und entsprechend wenig wüssten die anderen
Stadtteile über den Wilden Wald.
Dazu komme, dass in Wilhelmsburg selbst nur etwa 60 Prozent der Menschen
wahlberechtigt seien. „Ein Großteil der Menschen hier kann seine Interessen
nicht politisch geltend machen“, sagt Regina Leidecker. „Und das hier ist
das erste Bürgerbegehren, das in Wilhelmsburg je gestartet wurde“, fügt
Werdes hinzu. Das zeige auch, wie schwer es sei, hier einen Widerstand
aufzubauen.
Die Wohnungsnot ist eines der zentralen Probleme der Stadt. 2016 entschied
der damalige Oberbürgermeister Olaf Scholz, jährlich 10.000 neue Wohnungen
bauen zu lassen. An diesem Ziel hält die aktuelle rot-grüne Koalition fest.
Neben Wilhelmsburg soll unter anderem in Oberbillwerder und Harburg neuer
Wohnraum entstehen.
Die Waldretter fordern anstelle des Spreehafenviertels, Wilhelmsburg in
westlicher Richtung auszubauen und auch das Ende der Veringstraße mit ihren
netten Cafés mit Wohnungen auszustatten. In dieser Richtung beginnt jedoch
das Hafengebiet und dort ist Wohnungsbau nicht zugelassen. „Aber unser Wald
steht auch auf Industriegebiet“, sagt Regina Leidecker. „Da zu bauen ist
nur der leichtere Weg, weil man da der Hafenbehörde nicht in die Quere
kommt.“
## Der Baubeginn steht noch nicht fest
Die IBA selbst lehnt einen Ausbau Wilhelmsburgs nach Westen ab. „Aufgrund
der direkten Nähe zur Industrie, mit den dort verursachten Emissionen, ist
eine Wohnbebauung beziehungsweise Quartiersentwicklung nicht möglich“, sagt
IBA-Sprecher Arne von Maydall. Wilhelmsburg benötige insgesamt dringend
mehr Wohnungen, um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen.
Entsprechend des Hamburger Drittelmixes seien auch im Spreehafenviertel je
ein Drittel öffentlich geförderte Mietwohnungen, frei finanzierte
Mietwohnungen und Eigentumswohnungen geplant. Der Baubeginn steht noch
nicht fest. Die IBA wollte erst das Bürgerbegehren abwarten.
Obwohl das wohl misslungen ist, geben die „Waldretter“ nicht auf. Viele
Anwohner*innen seien jetzt erst auf das Bauprojekt aufmerksam geworden.
Darauf will die Initiative aufbauen und Menschen mobilisieren.
„Natürlich nehmen wir Wohnungsnot ernst“, sagt Alexandra Werdes. Doch die
Fläche des Wilden Waldes zu bebauen, sei nicht die einzige Möglichkeit,
Wohnraum zu schaffen. „Die Planer sind oft gar nicht vor Ort sondern planen
von außen“, sagt sie und deutet auf Brombeergestrüpp am Ernst-August-Kanal,
gegenüber eines Autoreifengeschäfts: „Hier sollen Bänke zur Erholung
entstehen. Mit Blick auf den Reifenhandel und die Autobrücke daneben.“
2 Aug 2020
## LINKS
[1] /Naturschuetzer-klagen-gegen-wildes-Bauen/!5693046
[2] https://waldretter.de/
[3] /Wissenschaftler-schlagen-Alarm/!5698019
## AUTOREN
Sarah Mahlberg
## TAGS
Hamburg
Wald
Wohnungsmangel
Wohnungsbau
Naturschutz
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Bebauung
Umwelt
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