Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Traum vom guten Leben
> Nawar Alkilan y Alkadri flüchtete von Syrien nach Deutschland. Hier hat
> er sich hochgearbeitet. Aus Liebe zu seiner Frau.
Bild: Zakieh Hammadieh und Nawar Alkilan y Alkadri in ihrem gemeinsamen Wohnzim…
Nawar Alkilan y Alkadris Wahlheimat ist Hattingen. Vor fünf Jahren kam er
aus Syrien, heute leitet er die Eisproduktion einer Cafékette und ist vor
Kurzem Vater geworden.
Draußen: Ein Linienbus fährt den Hügel hinauf. Zwischenstopp: Hattingen.
Zweistöckige Häuser, gestutzte Büsche, Müllhäuschen aus Waschbeton. „Kei…
Wendemöglichkeit“ steht auf einem Schild.
Drinnen: Nawar Alkilan y Alkadri öffnet barfuß die Tür, seit der jüngsten
Corona-Lockerung sind Treffen wieder erlaubt. Rechts geht es ins
Wohnzimmer: Eine Eckcouch wie aus dem Katalog, auf dem Couchtisch eine
Stickdecke, drauf die Fernbedienung. Im Regal der Koran, deutsche Märchen
und ein Kochbuch für glutenfreie Speisen.
Das neue Leben: Nawar Alkilan y Alkadri, 27, dunkle Haare, über der Stirn
eine Narbe. Er lehnt sich gegen sein Fenster. Unten im Tal schlängelt sich
die Ruhr durch Hattingen. Spaziergänger mit den Händen hinter dem Rücken
gehen sie entlang. Dazu voluminöse Bäume und eine Wiese. Das ist das Bild,
mit dem seine Tochter aufwachsen wird. Keine Bilder aus Syrien. Mariam ist
an diesem Tag 13 Tage alt, sagt ihre Mutter Zakieh Hammadieh. Sie sitzt auf
der Couch, die Hände im Schoß gefaltet. Seit gestern sind sie ein Jahr
verheiratet.
Nawar Alkilan y Alkadri: Ein Enthusiast, sagt seine Frau. Er arbeitet in
einem Café und ist für die Eisherstellung sämtlicher Filialen
verantwortlich. Tagsüber steht er hinter der Theke, abends studiert er,
nachts kümmert er sich ums Kind. Sein Leben sei plötzlich ein komplett
anderes, sagt er. Schon wieder.
Das alte Leben: Alkilan y Alkadri wächst zwölf Kilometer entfernt von
Damaskus auf, in einem „Vorort wie Hattingen zu Bochum“. Er schneidert
Jeans und Hemden, lebt von Gelegenheitsjobs. Die vielleicht schönste
Erinnerung an sein Familienhaus: der große Garten, in dem sie Zucchini
anpflanzten. „Ich liebte das.“
Der Krieg: 2011 werden Alkilan y Alkadri und sein Bruder aufgefordert, zum
Militär zu gehen. Aber: „Wir wollten keine Mörder sein“, sagt er. 2015 r�…
der Vater ihnen, besser das Land zu verlassen, sie fliehen nach Istanbul.
Mit dem Studentenvisum geht es weiter nach Deutschland. Auch heute sind sie
immer zusammen, erzählt Alkilan y Alkadri, während sein Bruder in der Küche
sitzt und die Wiege anstupst, sobald das Babyphone knistert.
Die Ankunft: Ein Jahr lang lernen sie Deutsch an der Uni, zahlen einen
vierstelligen Betrag für die Kurse und Prüfungen. Einen Asylantrag stellen
kam für Alkilan y Alkadri nicht infrage: Er habe in fünf Jahren Deutschland
keinen einzigen Cent vom Staat genommen, sagt er und reibt sich die Hände
an der Jeans ab.
Das Kopfkino: Einmal vor Kursbeginn rufen Mitstudenten plötzlich:
„Polizei!“ Ein Scherz, sagt Alkilan y Alkadri. Denn wer damals auf sie
zukommt, ist bloß der universitäre Sicherheitsdienst. Trotzdem zuckt er in
diesem Moment zusammen – und schweigt. Sagt nichts über die Todesangst, die
er mit einem Mal verspürt. Nichts darüber, wie sehr ihn das an seine
frühere Heimat erinnert, wo Uniformträger fast alles mit einem machen
konnten. „Tötet ihn!“, habe ihm ein syrischer Soldat einmal
hinterhergeschrien, sagt er. Sein Bruder rettete ihm das Leben.
Die alte Angst: Manche Bilder von früher sind sehr dunkel, sagt Alkilan y
Alkadri. Wie die Erinnerung an den Moment, als es an der Tür klingelte.
Davor Beamte, die sagen, einer seiner Brüder sei getötet worden. Keine
Gründe, kein Beileid, keine Leiche. Alkilan y Alkadri weiß nur, dass er im
Gefängnis saß, und auch, was das bedeutet. Das mit der Angst habe erst in
Deutschland aufgehört.
Die Chance: Eines Tages bekommt er einen Flyer in die Hand gedrückt. Ein
Eiscafé sucht MitarbeiterInnen. Beim Probearbeiten versteht er kein Wort:
Kelle, Gabel, Messer. Trotzdem wird er eingestellt. Erst ist er
Tellerwäscher, Koch, Servicekraft – am Ende: Produktionsleiter der gesamten
Speiseeis-Herstellung. Der Chef bezahlt sein Studium in Business
Administration an der Abendschule. „Ich will nicht ohne Zertifikat
arbeiten.“ Alkilan y Alkadri bohrt seine Zehen in den Teppich.
Zakieh Hammadieh: Ihr Gesicht ist eingerahmt in ein rosa Kopftuch, sie
stellt arabischen Kaffee auf den Tisch. Es sei hart gewesen, als er
fortging, sagt sie mit zarter Stimme. „Aber ich habe gewusst, dass er hier
eine Chance hat.“ Sie kennt Alkilan y Alkadri seit dem Abitur. Aus dem
Regal zieht sie ein Buch, darin eine zerknitterte Bleistiftzeichnung: Zwei
Menschen von hinten, sie halten Händchen, dazwischen ein Herz. Alkilan y
Alkadri hatte es damals für sie gezeichnet.
Das Kennenlernen: „Wir waren 20“, sagt sie. „Ne, 18“, sagt er, seine Z�…
kommen zum Vorschein, als er lacht. „Ich habe ihn sofort gemocht“, sagt
Hammadieh, die erst zu schüchtern gewesen sei, ihn anzusprechen. Erst am
Ende des Schuljahres habe sie sich doch getraut und ihn gefragt, ob er ihr
eine Rose malen könne.
Die Fernbeziehung: Über vier Jahre führen sie eine Art Fernbeziehung,
obwohl sie in derselben Stadt leben: „Wegen unserer Kultur können wir uns
nicht einfach auf der Straße treffen“, sagt Hammadieh. Sie schreiben sich
SMS. Dann kommt der Krieg. „Wir waren immer in Kontakt“. Auch dann noch,
als er ihr sagt, dass er gehen wird. Hammadieh hat einen kanadischen Pass,
besuchte ihren Freund in Deutschland immer wieder.
Die Heirat: „Wir sind nur deshalb so weit gekommen, weil es so hart war“,
sagt Hammadieh. Kurz vor der Heirat im Mai 2019 verließ sie ihre Heimat
endgültig, doch noch immer ist ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt. „Ich musste
einen tiefen Atemzug nehmen, um dieses neue Leben zu verstehen“, sagt sie
auch. Sie lernte vier Tage in der Woche Deutsch, dann kam Corona, die
Schule musste schließen.
Die neue Angst: „Als die Krise begann, hatte ich Angst, dass alles
auseinanderfällt“, sagt Hammadieh. Ihr Mann sieht das anders: „Ich habe
schon Schlimmeres erlebt.“ Angst sei etwas anderes. Wenn man beim
Einschlafen nicht weiß, ob man morgen wieder aufwacht. Dagegen sei Corona,
überspitzt ausgedrückt, eine Erkältung. Kein Grund zur Panik in
Deutschland, wo die Regierung doch so vieles regelt: Gehälter,
Versicherungen, Krankenversorgung.
Die Geburt: Als die Coronapandemie beginnt, ist Hammadieh hochschwanger.
Drei Tage liegt sie in den Wehen. An der Pforte wird Alkilan y Alkadri
abgewiesen: „Es war die Hölle“, sagt Hammadieh. Sie ist alleine, bis die
Geburt beginnt, weint und fleht. Nach zwölf Stunden kommt ihre Tochter per
Kaiserschnitt. Erst weinen sie, dann lachen sie und können gar nicht mehr
aufhören. „Wir waren fertig an diesem Tag.“ Am Ende liegen sie im Bett,
dazwischen das Kind, und denken: „Wahnsinn, wir sind jetzt endlich zusammen
und haben jetzt auch noch ein Baby.“
Mariam: Alkilan y Alkadri hält seine Tochter in einer weißen Decke, sie
kann die Augen kaum öffnen, die Haare schimmern blond. „Es ist
überwältigend und du willst nur das Beste für sie“, sagt Hammadieh.
Das Heimweh: Wenn sie die Wahl hätte, würde sie wieder nach Syrien
zurückgehen, sagt Hammadieh. Alkilan y Alkadri schüttelt sich. Warum sollte
er zurück in die Dunkelheit gehen? Er reibt seine Hände: „Ich fühle mich
jetzt machbar, sagt man das so?“, fragt er. „Es macht Sinn, dass ich hier
bin.“
Die Wünsche: Sie träumen davon, dass die Großeltern ihr Enkelkind
kennenlernen können und davon, ein Haus mit Garten wie in Syrien zu
besitzen. Hühner wären auch nicht schlecht, sagt Alkilan y Alkadri. Sie
wünschen sich „ein gutes Leben“. Und das sei vor allem: „Sicherheit“.
12 Jul 2020
## AUTOREN
Ann Esswein
## TAGS
Der Hausbesuch
Schwerpunkt Syrien
Integration
Geflüchtete
Schwerpunkt Syrien
Berlin-Mitte
Cottbus
Vereinte Nationen
Entwicklungszusammenarbeit
Der Hausbesuch
Schauspielerin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Fund von Sprengstoff: Israel greift Ziele in Syrien an
Das israelische Militär beschuldigt den Iran, Sprengstoff an der Grenze der
Golanhöhen platziert zu haben. Laut Aktivist*innen gab es mehrere Tote.
Der Hausbesuch: Das dänisch-bulgarische Dreamteam
Nina Hall stammt aus Dänemark und ist Musikerin, Veso Portarsky aus
Bulgarien und Schriftsteller. Mit ihrem gemeinsamem Kind leben sie nun in
Berlin.
Der Hausbesuch: Ein Wanderlehrer auf Wanderschaft
Asmelash Dagne hatte in Äthiopien längst gelernt und gelehrt, wie man
nachhaltig Landwirtschaft betreibt. Nun studiert er es in Cottbus.
UN-Hilfe für Syrien: Russland diktiert die Bedingungen
Hilfslieferungen für Flüchtlinge im Norden Syriens werden eingeschränkt.
Nur noch ein Grenzübergang darf dafür genutzt werden.
Der Hausbesuch: Eine Urliebe für die Freiheit
Salua Nour will, dass Entwicklungsgelder bei den Menschen landen. Die
ägyptische Berlinerin lebte lange in der Demokratischen Republik Kongo.
Der Hausbesuch: Was den Hof bewegt
Antonia Ley und Simon Arbach sind Teil eines Hofprojekts in Neu-Eichenberg
in Hessen, das eine solidarische Landwirtschaft betreibt.
Der Hausbesuch: Alles ist Momentaufnahme
Bianca Künzel tanzt, schreibt, gärtnert, spielt auf der Bühne.
Schauspielerin will sie sich aber nicht nennen. Zu Besuch bei ihr in
Düsseldorf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.