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# taz.de -- Der Hausbesuch: Alles ist Momentaufnahme
> Bianca Künzel tanzt, schreibt, gärtnert, spielt auf der Bühne.
> Schauspielerin will sie sich aber nicht nennen. Zu Besuch bei ihr in
> Düsseldorf.
Bild: Binca Künzel nennt sich nicht Schauspielerin, ist aber eine.
Lieber stellt Bianca Künzel Fragen, auch Fragen an sich selbst, als dass
sie Antworten gibt. So nähert sie sich den Menschen und dem Leben.
Draußen: Es ist eine ruhige Seitenstraße in Düsseldorf. Straßenkreide ist
auf den Asphalt geschmiert. Auf den Balkonen blühen Blumen. An Garagen geht
es vorbei, durch ein Tor, dann steht man in einem Garten, der nicht in die
Kulisse zu passen scheint. Es riecht nach Rosmarin. Ein Feigenbaum steht
zwischen heimischen Bäume, die sich über die anderen Häuser recken. Ein
Gartenschlauch schlängelt sich über die weite Terrasse.
Drinnen: Es ist ein schlauchförmiges Gebäude, mehr Häuschen als Haus. Eine
Finca, sagt die Bewohnerin, mit Fensterläden wie in Italien. Holzclogs
stehen neben dem Schuhabstreifer. Decken liegen über der Sitzgarnitur,
Dattelkugeln sind in einer Schale angerichtet. Am Gartentisch sitzt Bianca
Künzel, den Kopf in die Hände gestützt.
Bianca Künzel: Blau umgibt sie. Sie trägt eine blaue Bluse, blaue Ohrringe,
hat blaue Augen. Sie ist Mutter zweier Kinder, 47, Sprecherin, Performerin,
Schauspielerin, gröber gefasst: Künstlerin. So zumindest von außen
beschrieben: „Ich finde es schwer, nur in Bezeichnungen zu denken“, sagt
sie. Denn eigentlich sei sie auch „die, die in den Iran geht. Und die, die
gerne Gartenarbeit macht.“ Hinter ihrem Haus, zwischen weißen
Häuserfassaden liegt ihr „kleiner Acker“. Sie definiere sich lieber über
ihr Tun. Wer sie ist, so gesehen: Die, die gerade vier Stunden an einem
Stück über Großmütter gearbeitet hat.
Das Leben der Großmütter: Im Mai vor einem Jahr saß sie am selben
Gartentisch. Ein paar Freundinnen und Kolleginnen aus Palästina,
Griechenland, Iran, Deutschland waren da. Alle ähnlich kosmopolitisch, aber
unterschiedlich, wenn es zum Gespräch über die Großmütter kommt: „Wir hab…
geredet und geredet, auch geheult.“ In der Auseinandersetzung über ihre
Großmütter erkannten sie ein „Einfallstor“. Das Kollektivprojekt haben sie
„Waltraud 900“ genannt. Um was es gerade in Coronazeiten geht: „Die
Unsichtbarkeit der Großmütter.“
Die Unsichtbaren: Gegenseitig gingen sie auf Spurensuche zu ihren
Großmüttern, führten Interviews, sammelten Stoff für ein Theaterstück. Der
fremde Blick sei „dreister“, sagt Künzel. Sie stellten ihren Großmüttern
Fragen wie: „Wie viel Revolution hast du mitbekommen?“ „Hast du mal mit
einer Frau geschlafen?“ Oder: „Wie viele Sexualpartner hast du gehabt?“
Künzel fährt sich über den Arm und lacht: „Gänsehaut. Obwohl ich mich sch…
so lange mit dem Thema beschäftige.“ Auch sie hat ihre Mutter gefragt: „Was
hat Oma glücklich gemacht?“ Ihre Mutter wusste es nicht. Ihre Großmutter
hätte es wahrscheinlich selbst nicht gewusst. Warum sie das Ganze macht? Um
das kulturelle Erbe der Großmüttergeneration zu verstehen und sich darüber
auszutauschen. Aber auch, um die eigene Biografie besser zu begreifen:
„Wenn du wissen willst, wo du hinwillst, musst du wissen, wo du herkommst.“
Die eigene Großmutter: Freitags fuhren sie los, in den Garten von Oma, wo
ein typisch ostdeutsches Kleingartenszenario herrschte: „Mach’s mit, mach�…
nach, mach’s besser.“ Ferienfilm schauen morgens um zehn Uhr. Einwecken.
Feiern. „Sie haben mich immer extrem supported“, sagt Künzel. Wenn sie sich
auf den Tisch stellte und mit dem Kochlöffel in der Hand die ganze
Hitparade heruntersang, schrie die Oma: „Bravo, bravo!“ Die Oma sei immer
alleine gewesen. Künzel erinnert sich, wie sie sagte: „In mein Leben kommt
kein Mann mehr.“ Künzel schenkt sich Kaffee in 70er Jahre Geschirr. „Du
siehst plötzlich nicht mehr die Oma, die dich auf der Hollywoodschaukel
gekrault hat, sondern die, die alleine war. Und du weißt nichts über ihre
Traumatisierung.“ Sie sieht in den Garten. Ein Windspiel klirrt im Wind.
Raus aus Zwickau: Mit 16 ging sie so schnell wie möglich weg aus Zwickau,
erzählt Künzel. Nach Weimar, das sei zumindest ein inspirierender Ort
gewesen. Es war um die Wendezeit. „Ein Ausnahmezustand.“ Wohin mit ihr, das
habe sie lange nicht gewusst. Sie zog in das einzige besetzte Haus, wohnte
zusammen mit acht Männern, machte eine Ausbildung als Erzieherin, ohne in
dem Beruf zu arbeiten. In einer Zeit, in der sie Feminismus nicht einmal
hätte buchstabieren können, geht sie in ein Frauenzentrum, „was heute
altbacken klingt“. Mit 24 bekommt sie ihre Tochter. Eigentlich wollte sie
Theaterpädagogin werden.
Das Kennenlernen: Sie hatte einen Praktikumsplatz beim Theater bekommen.
Einer der Schauspieler dort passte während der Proben auf das Baby auf. Der
Mann, der später ihr Partner wurde, konnte auch Schränke aufbauen. Sie
seien eher die „Fliesenleger unter den Schauspielern“ gewesen, „quer auf
die Bühne geschubst“. Künzel sei eher zufällig Schauspielerin geworden,
etwas, wofür andere jahrelang vorsprechen: „Das hätte ich nicht gemacht.
Dafür hätte ich viel zu viele Selbstzweifel gehabt.“ Aber sie weiß auch,
dass ihr Karriere nicht so wichtig ist. „Ich brauche nicht zwingend den
Applaus.“
Keine Kategorien: Bei Bewerbungen wurde sie gefragt, was sie mache:
„Schauspiel, Assistenz, Regie“, antwortet sie. „Nun was denn?“ wurde
zurückgefragt. Man werde immer nur in Kategorien gelesen. Eine extreme
Reduzierung. „Ich bin lange einer Erwartung von außen gefolgt.“ Irgendwann
habe sie einfach entschieden, dass sie sich nicht entscheiden muss. Was sie
ist, beantworte sie jeden Tag neu: „Ich sehe mich eher als eine Bewegung.“
Und korrigiert sich: „Ich versuche es.“ Natürlich sei sie auch programmiert
auf Kategorien. Künstlerin. Schauspielerin. Mutter.
Die Kinder: Die Küche ist schwarz-weiß gefliest. In Gold eingerahmt sind
zwei Blumenkränze. Ein Gummi-Hai hängt darüber. Durch das schlauchförmige
Haus, vorbei an ihrem Arbeitszimmer, durch einen Türrahmen hindurch, voll
getürmt mit Büchern, geht es in das Kinderzimmer. Gustav ist zehn.
Legosteine liegen auf dem Teppich verteilt. Im Homeschooling lerne er
gerade das selbst erfundene Fach „Leben-Lernen“. Die aktuellen Themen:
Urknall und Nähen.
Neugier: Was wohl ihre Enkelkinder sie einmal fragen könnten? Sie lacht.
Das frage sie sich selbst oft. Vielleicht: Was mit ihrem humanitären
Gewissen los war, warum Menschen auf dem Mittelmeer ertranken und wir
Fleisch aßen: „Das ist für mich selbst nicht fassbar, warum ich das
zulasse. Wie kann ich das meinen Enkelkindern so hinterlassen?“
Rhinozeros-Beziehung: Vielleicht wird ein Enkel, eine Enkelin auch fragen:
Wie schaffst du es, immer noch mit demselben Mann zusammen zu sein?
Manchmal frage sie sich, ob sie ihren Kindern da etwas Falsches vorlebe. In
ihrem Freundeskreis seien sie die letzten „Rhinozerosse“. Sie stützt den
Kopf in die Hand und schaut in den Garten: „Scheiße, nein, aber ich bin
immer noch verliebt, auch wenn ich den manchmal zum kotzen finde.“ Er ist
Schauspieler, eher der Shakespeare-Typ, sagt Künzel später in ihrem
Arbeitszimmer. Sie setzt sich auf die Couch. Kaffee und der Blick nach
draußen, das sei ihr Morgenritual. Eine halbe Stunde Allein-Zeit bevor die
anderen aufwachen.
Ohne Internet aufwachsen: Auf jeden Fall, sagt Künzel, werden die
Enkelkinder auch fragen, wie das wohl war, ohne Handy und Smartphone: „Na,
wir haben nächtelang Scrabble gespielt und Wodka getrunken“ werde sie dann
antworten.
Was bringt die Zukunft? Nach Corona will sie mit ihrer
Großmütter-Performance touren. Aber wer weiß: Sie könnte auch Gedichte
rezitieren, einen Kaffeewagen bauen und vielleicht fertigt ihr Kollektiv
bald Schränke. Alles ist „Momentaufnahme“.
Noch eine Frage: Auf der Eckbank vor der Eingangstür liegt ein Fernglas.
Wozu? „Ich habe eigentlich keine Lust auf Tiere“, sagt Künzel, aber
manchmal sitzen sie und ihr Mann hier und beobachten die Vögel. „Vielleicht
werden wir langsam alt.“
14 Jun 2020
## AUTOREN
Ann Esswein
## TAGS
Schauspielerin
Düsseldorf
Mittelmeer
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