# taz.de -- Der Hausbesuch: Queer und Kirche – das geht | |
> Steffi und Ellen Radtke sind Pastorinnen in der Provinz und miteinander | |
> verheiratet. Auf ihrem Youtube-Kanal geben sie viel von sich preis. | |
Bild: Steffi und Ellen Radtke stehen in ihrer Küche im niedersächsischem Eime | |
Zwei Pastorinnen in der norddeutschen Provinz proben die Avantgarde in der | |
evangelische Kirche. Sie geben dabei viel von sich preis. | |
Draußen: Eime in Niedersachsen ist ein Ort mit knapp 3.000 Einwohnern, eine | |
Dreiviertelstunde mit dem Auto von Hildesheim entfernt. Da der Besuch via | |
„Zoom“ stattfindet, verlässt sich die Autorin auf die Beschreibungen ihrer | |
Gesprächspartnerinnen: „Wir haben den längsten“, sagt Steffi Radtke und | |
meint damit: den Kirchturm. Der sei viel höher und eindrücklicher als der | |
der Nachbarstädtchen Leine und Elze. Außerdem sehe er mit seinem dunklen | |
Schieferdach und den kleinen Türmchen aus wie Darth Vader. | |
Drinnen: Das Drinnen bleibt unbeschrieben. Das Teeregal in der Küche ist | |
auf dem Bildschirm zu sehen. Sie haben es aufgehängt, „einfach weil’s | |
hübsch ist“, obwohl beide lieber Kaffee trinken. | |
Die Liebe: Ellen und Steffi Radtke wohnen seit 2017 in Eime. Beide sind | |
Pastorinnen und haben sich im Wohnheim der kirchlichen Hochschule Bethel in | |
Bielefeld kennengelernt. Dort studierten sie Theologie, ein paar Jahre | |
später trafen sie sich in Berlin wieder und wurden ein Paar. Für ihre erste | |
Pastorinnenstelle bekam Steffi Radtke die Gemeinde Eime zugeteilt. Drei | |
Jahre mindestens müssen sie bleiben. | |
Youtube: Ellen Radtke betreut derzeit keine Pfarrei, sondern kümmert sich | |
für die [1][Evangelische Landeskirche] in Niedersachsen um das Thema | |
Digitalisierung. Sie soll herausfinden, wie Menschen auf dem Land besser | |
mit ihrer Gemeinde vernetzt werden können. Da ist ihr, schon biografisch | |
bedingt, aufgefallen, dass das kirchliche Angebot in sozialen Medien oft | |
problematisch ist, ganz besonders, wenn es um Homosexualität geht. | |
Anders Amen: Junge Leute, die queer sind und gläubig, suchten im Netz doch | |
eigentlich Unterstützung darin, dass ihr Glaube und ihre sexuelle Identität | |
vereinbar seien, meint Ellen. Und die fänden sie doch oft nicht. Der Kanal | |
„Anders Amen“ von Ellen und Steffi Radtke soll zeigen: [2][„Queer], Kirche | |
und Dorf, das geht zusammen. Das geht gut zusammen!“, sagt Ellen. Jetzt | |
drehen die beiden Videotagebücher und Talkformate, produziert von einem | |
Team des Evangelischen Kirchenfunks. In ihren Videos besprechen sie späte | |
Outings oder was das Problem mit positiver Diskriminierung ist, aber auch | |
wie ihr Heiratsantrag war und was Kronkorken in der Kollekte sollen. | |
Hormonspritzen: Auch im Konfirmationsunterricht ist die Kamera dabei, zum | |
Beispiel während einer hitzigen Diskussion über Genderstereotype. In einem | |
anderen Video sieht man das Paar im Auto sitzen, Ellen Radtke setzte sich | |
auf dem Parkplatz vor der Kinderwunschklinik noch schnell eine | |
Hormonspritze. „Da haben wir wirklich lange diskutiert, ob wir das zeigen | |
wollen“, sagt Steffi Radtke. „Aber dann dachten wir, wenn nicht, können wir | |
es auch gleich sein lassen.“ | |
Der Kinderwunsch: Ellen Radtke ist mittlerweile schwanger, doch das hat | |
Zeit, Nerven und viel Geld gekostet. Als lesbisches Paar bekommen sie für | |
die künstliche Befruchtung keine finanzielle Unterstützung von der | |
Krankenkasse. „Da saß ich zu Hause und hab tatsächlich geheult“, erzählt | |
Ellen Radtke in einem der Videos. Sie wollen auf ihrem Kanal auch zeigen, | |
welche Schwierigkeiten und Ängste mit einer [3][Kinderwunschbehandlung] | |
verbunden sind, ein „ganz ungesundes Tabu“, sagt Ellen Radtke. „Diese | |
bedrückende Stimmung in den Wartezimmern, Paare, die versuchen, ihre Tränen | |
zurückzuhalten, weil es wieder nicht geklappt hat. Das ist wirklich krass.“ | |
Die Resonanz auf ihre Kinderwunsch-Updates bestätigt die beiden darin, so | |
viel von sich preiszugeben. | |
Unmut: Apropos viel von sich preisgeben: „In der KollegInnenschaft sorgt | |
das eher für Unruhe“, sagt Ellen Radtke. Die PastorInnen der | |
Babyboomergeneration hätten lange gekämpft für eine Trennung von Berufs- | |
und Privatleben, „zum Beispiel, dass sie nicht mehr im Pfarrhaus wohnen | |
müssen“, sagt sie. „Und jetzt kommen wir daher und öffnen unsere Wohnung | |
für Tausende. In deren Augen machen wir damit wertvolle Errungenschaften | |
zunichte.“ Trotzdem seien sie als lesbisches Paar in einer besonderen | |
Situation und müssten, um Getuschel zu vermeiden, offensiver mit ihrem | |
Privatleben umgehen. Steffi Radtke veröffentlichte vor ihrem Amtsantritt | |
einen Gemeindebrief, in dem sie sich und Ellen vorstellte. „Dann wurde zwei | |
Wochen getratscht, und als wir hier ankamen, war die Sau schon durchs Dorf | |
getrieben.“ | |
Generationsfragen: Als Ellen und Steffi Radtke die ersten Videos hochluden, | |
hatten sie noch eine bestimmte Zielgruppe im Kopf. Queere Menschen Anfang | |
20 wollten sie ansprechen, junge Leute, die sich irgendwann nach der | |
Konfirmation von der Kirche abgewandt haben. 25 Uploads später machen die | |
nur etwa 30 Prozent des Publikums aus, fast die Hälfte ist im Alter der | |
Radtkes, darunter viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. „Und dann gibt | |
es noch mal einen Sprung bei den über 50-Jährigen“, sagt Steffi Radtke. Da | |
seien viele Eltern oder Großeltern queerer Jugendlicher dabei, die | |
befürchten, ihren Kindern zu nahe zu treten, und deshalb lieber den beiden | |
Frauen aus dem Internet Fragen stellen. | |
Talar tragen: Obwohl Ellen und Steffi Radtke meist ziemlich spontan | |
entscheiden, welche Einblicke sie geben wollen – ein No-Go gab es von | |
Beginn an: Predigten sollte es keine geben, ganz zu schweigen von | |
Gottesdiensten. Doch dann kam Corona, und ihre ZuschauerInnen wandten sich | |
mit immer bedrückender werdenden Nachrichten an sie. „Da dachten wir, wir | |
sind keine Psychologinnen, aber wir können zumindest ein paar theologische | |
Impulse liefern“, sagt Ellen Radtke. Seit Mitte März sitzen sie nun hin und | |
wieder in Talaren vor der Kamera, sprechen über ihre Sorgen und ermutigen | |
das Publikum zum gemeinsamen Gebet. | |
Kontaktverbot: Ein bisschen kompensieren sie damit auch, dass inniger | |
Kontakt zur Gemeinde momentan verboten ist. Steffi vermisst besonders die | |
älteren Frauen, ihre „Omas“. „Normalerweise passen die auf mich auf, und | |
ich pass auf sie auf“, sagt sie. Zu Ostern versteckte sie mit ihren | |
KonfirmandInnen 600 kleine Holzkreuze im Dorf und schrieb die | |
Osterbotschaft auf ein großes Plakat an den Kirchturm. Auch rief sie ihre | |
Gemeindemitglieder nach und nach an und ging auch mal für sie einkaufen, | |
wenn jemand sie darum bat. „Letzte Woche habe ich einem Gemeindemitglied | |
zum Beispiel Ameisenfallen vorbeigebracht.“ | |
Rückschritte: Natürlich interessiert sie auch, wie die KollegInnen mit der | |
aktuellen Situation umgehen. Ihren Ostersonntag verbrachten Ellen und | |
Steffi Radtke daher auf einem großen Parkplatz in Hildesheim, ausnahmsweise | |
bei den Katholiken in der heiligen Messe. Beim Drive-in-Gottesdienst stand | |
der Pfarrer auf einer kleinen Bühne vor parkenden Autos, und wer die | |
richtige Frequenz einschaltete, hörte ihn auch reden. Eigentlich sei die | |
Krise ja eine gute Zeit, gezwungenermaßen Neues auszuprobieren, meint Ellen | |
Radtke. Sie findet es aber schade, dass der Fokus neuer „Coronaformate“ so | |
sehr auf dem Sonntagsgottesdienst liegt. Zumal nur noch durchschnittlich 3 | |
Prozent der deutschen ProtestantInnen einen Sonntagsgottesdienst besuchten. | |
Klein Radtke: Auch wenn Kontakt zu Gemeindemitgliedern derzeit kaum möglich | |
ist, „wir müssen uns um unsere Jobs keine Sorge machen, wir sind nicht auf | |
Kurzarbeit, das ist Meckern auf hohen Niveau“, sagt Ellen Radtke. Trotzdem | |
gibt es zum Schwangersein wesentlich besser geeignete Zeiten, die Isolation | |
drücke auf die Stimmung. Weil Steffi Radtke mit dem Kind nicht leiblich | |
verwandt ist, sind Ultraschalluntersuchungen für sie besonders wichtig, um | |
eine Beziehung aufzubauen. Aber wegen Corona darf sie nicht mit, sondern | |
sitzt viel mit Vätern im Treppenhaus oder wartet im Auto. „Das ist ziemlich | |
blöd, ich hab den Herzschlag des Kindes noch nie gehört.“ | |
Ein positiver Aspekt: Immerhin haben sie wegen Corona gerade viel Zeit, | |
sich auf „Anders Amen“ zu konzentrieren. Neue Ziele, Einschaltquoten für | |
den Kanal betreffend, haben sie derzeit allerdings nicht. Das erste – 1.000 | |
AbonentInnen in sechs Monaten – war schon nach einer Woche erreicht. | |
2 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Leonie Gubela | |
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