| # taz.de -- Unterdrückung von Uiguren in China: Verbotener Kinderwunsch | |
| > China reduziert laut einem Medienbericht die Geburtenrate der Muslime in | |
| > Xinjiang stark – mit Zwangsabtreibungen und Strafverfolgung. | |
| Bild: Eine Frau mit Kindern in Hotan in der Region Xinjiang in China | |
| Peking taz | Der Vorwurf lautet „demografischer Genozid“: Eine Recherche | |
| der Nachrichtenagentur AP zeigt, mit welch drakonischen Maßnahmen Chinas | |
| Regierung die Geburtenrate der muslimischen Minderheit in Xinjiang | |
| drosselt. Hunderttausende, vorwiegend uigurische Frauen sollen demnach zu | |
| Zwangssterilisationen und -abtreibungen gezwungen worden sein. | |
| AP hat mehrere Dutzend Interviews geführt, darunter auch mit der | |
| mittlerweile nach Kasachstan geflüchteten Gulnar Omirzakh: Nachdem die Frau | |
| ihr drittes Kind zur Welt brachte, wurde sie von der Regierung | |
| aufgefordert, sich eine Verhütungsspirale einsetzen zu lassen. | |
| Zwei Jahre später verlangten vier Militäroffiziere in Uniform zudem, dass | |
| die Familie eine Strafe von umgerechnet rund 2.500 Euro zahlen müsse. | |
| Andernfalls würden sie in einem Internierungslager landen. | |
| Dass das kein Einzelfall ist, belegen die Statistiken: Die Geburtenrate in | |
| den Regionen Hotan und Kashgar, die hauptsächlich von Uiguren bevölkert | |
| sind, brach zwischen 2015 und 2018 um mehr als 60 Prozent ein. | |
| ## Versiebenfachung der Abtreibungen | |
| Gleichzeitig stieg die Zahl der Abtreibungen in Xinjiang um das Siebenfache | |
| auf 60.000, während sie im restlichen Land deutlich gesunken ist. | |
| Die Volksrepublik ist ein kulturell vielfältiges Land, das seit der | |
| Volkszählung 1982 insgesamt 55 ethnische Minderheiten staatlich anerkennt. | |
| Noch während der Kulturrevolution (1966-77) war die Regierung gegenüber | |
| ihnen stark misstrauisch, viele Mitglieder der Ethnien waren willkürlicher | |
| Strafverfolgung und einer systematischen Assimilierungspolitik ausgesetzt. | |
| Doch ist der offizielle Anteil der Minderheiten an der Gesamtbevölkerung | |
| kontinuierlich gestiegen. 1982 machten sie nur 6,7 Prozent aus, 1990 waren | |
| es bereits 8,0 Prozent. | |
| Forscher der Nationaluniversität Singapur fanden 2019 heraus, dass sich der | |
| demographische Wandel nicht allein mit einer höheren Geburtenrate erklären | |
| lässt, sondern mit einem politischen Umdenken. Um die nationale Sicherheit | |
| zu wahren, wurden die ethnischen Minderheiten seit den 80er Jahren stärker | |
| integriert: Religiöse Stätten wie Moscheen wurden wieder errichtet, | |
| bestimmte Gegenden zu autonome Regionen erklärt und Universitätsquoten | |
| eingeführt. | |
| ## Ein-Kind-Politik machte Ausnahmen bei Minderheiten | |
| Vor allem aber sorgte die „Ein-Kind-Politik“ für Transformation: Diese | |
| erlaubte nämlich den Minderheiten in 26 Provinzen jenseits der | |
| urbanisierten Ostküstenregionen, ein zusätzliches Kind zu zeugen. Dies | |
| wiederum hatte zur Folge, dass Millionen Chinesen, die sich zuvor als | |
| Han-Chinesen identifiziert hatten, nun zu ethnischen Minderheiten zählen | |
| ließen. | |
| „Einerseits könnte es sein, dass die Leute ihre Identifizierung strategisch | |
| beansprucht haben, um die Ein-Kind-Politik zu umgehen“, sagt Studienautor | |
| Francis-Tan: „Andererseits könnte es ebenfalls sein, dass die Leute sich | |
| endlich zu ihrer wahren Identität bekannt haben, da die politische und | |
| gesellschaftliche Klima wohlwollender gegenüber Minderheiten wurde“. | |
| Tatsächlich sind viele der Minderheiten, darunter auch Muslime, gut in der | |
| von Han-Chinesen dominierten Mehrheitsgesellschaft integriert. Vor allem | |
| aber zwischen den muslimischen Uiguren und der Kommunistischen Partei | |
| herrschen seit jeher krasse Spannungen: | |
| Teile der uigurischen Bevölkerung, die von einem eigenen Staat namens | |
| Ostturkestan träumen oder wenigstens die versprochene Autonomie ernst | |
| genommen sehen wollen, nehmen die kommunistische Regierung als | |
| imperialistische Besetzer wahr, die die rohstoffreiche Region im Westen | |
| China ausbeuten und die Bevölkerung unterjochen. | |
| ## Systematische Internierungskampagne | |
| Eine radikale Separatistenbewegung zeichnet zudem für einige der brutalsten | |
| Terroranschläge der letzten zwei Dekaden in China verantwortlich. Peking | |
| hat daraufhin unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung mit einer | |
| [1][systematischen Internierungskampagne] reagiert, die in ihrem Ausmaß | |
| ihresgleichen sucht. | |
| Rund eine Million Uiguren hatte die chinesische Regierung laut | |
| Menschenrechtsorganisationen [2][in Lagern eingesperrt]. Frühere | |
| Insassen, die mittlerweile außer Landes leben, berichten von Folter und | |
| politischer Indoktrination. | |
| Peking nennt die Lager dagegen „Ausbildungszentren“ zur Entradikalisierung | |
| und wertet sie als Erfolg auf ganzer Linie: In den letzten drei Jahren sei | |
| es zu keinen Terroranschlägen von Uiguren mehr gekommen, heißt es in einer | |
| jüngst vom staatlichen Propagandasender CGTN ausgestrahlten Dokumentation. | |
| Dass es bei den Lagern nicht nur um Terrorbekämpfung geht, legten bereits | |
| zuvor interne Datenleaks nahe. Der Großteil der Internierten sitzt nämlich | |
| einzig aus dem Grund ein, zu viele Kinder gezeugt zu haben. Die von AP | |
| interviewten Frauen berichten, dass sie in den Lagern von Wächtern | |
| regelmäßige Injektionen bekommen haben, offenbar zur Verhinderung von | |
| Schwangerschaften. | |
| 30 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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