# taz.de -- Geflüchtete in der Türkei: Uiguren droht Auslieferung | |
> Ungefähr 50.000 Uiguren sind aus China in die Türkei geflüchtet. Nun | |
> müssen viele Angst vor der Ratifizierung eines Auslieferungsabkommen | |
> haben. | |
Bild: Kind mit türkischer Fahne und Maske in den Farben der uigurischen Unabh�… | |
ISTANBUL taz | Es ist ein kleines Grüppchen von Leuten, die mit ihren | |
Schildern vor der Auffahrt zum chinesischen Generalkonsulat in Istanbul | |
stehen. Auf den meisten Schildern der rund 30 Demonstranten sind Fotos von | |
Familienangehörigen abgebildet, die in China in Lagern festgehalten werden. | |
Es sind Uiguren, die sich Sorgen um ihre Angehörigen machen. Das Konsulat | |
liegt ganz im Norden Istanbuls, in einem Nobelvorort am Bosporus und ist | |
weiträumig abgesperrt. | |
Auch wenn die türkischen Medien den Demonstranten bislang wenig | |
Aufmerksamkeit widmen – das Problem der Uiguren hat politische Sprengkraft | |
in der Türkei. Die Uiguren gehören ethnisch zum turksprachigen Teil | |
Zentralasiens. Sie sind eine Minderheit in China und viele von ihnen sind | |
gläubige Muslime. Sie leben an der westlichen Grenze Chinas zu Kasachstan | |
und Kirgisien. Die chinesische Führung betrachtet sie als | |
Unsicherheitsfaktor. Die Aktionen einiger gewalttätiger Separatisten hat | |
sie zum Vorwand genommen, Hunderttausende [1][Uiguren in Arbeits- und | |
Umerziehungslagern] zu internieren. | |
„Die Türkei ist bislang ein sicherer Zufluchtsort für uns“, sagt Burhan | |
Uluyol, ein etwa 50-jähriger Professor und Sprecher der Gruppe der Uiguren | |
vor dem Konsulat in Istanbul. „Wir sind der türkischen Regierung sehr | |
dankbar.“ Tatsächlich sind gerade für türkische Islamisten und | |
Nationalisten die Uiguren Schutzbedürftige, die nach ihrer Sichtweise „zu | |
uns“ gehören und jede Unterstützung verdienen. Schon lange grummelt es in | |
diesen Kreisen deshalb, weil der türkische Präsident zu den Berichten über | |
die massive Unterdrückung der Uiguren schweigt. Der sonst so wortgewaltige | |
Recep Tayyip Erdoğan hat bislang jede öffentliche Kritik an den Lagern, in | |
denen bis zu eine Million Uiguren festgehalten werden, vermieden. | |
Geht es nach China, soll aber bald aus bloßem Schweigen eine aktive | |
Unterstützung der Repression gegen die Uiguren werden. China will die | |
Auslieferung etlicher Aktivisten, die in der Türkei Zuflucht gefunden | |
haben. „Wir alle stehen wahrscheinlich auch auf deren Auslieferungsliste“, | |
sagt Burhan Uluyol und zeigt auf die Gruppe der Demonstranten. „Aber wir | |
gehen fest davon aus, dass die Türkei keinen Uiguren an China ausliefert. | |
Das türkische Volk würde das nicht zulassen.“ | |
## China hat seinen Druck erhöht | |
Tatsächlich steht Erdoğan vor einem enormen Dilemma. Vor gut drei Jahren | |
hatte China mit massivem wirtschaftlichem Druck erreicht, dass zwischen | |
beiden Ländern ein Auslieferungsabkommen vereinbart wurde. Die Türkei legte | |
dieses Abkommen jedoch erst einmal auf Eis. Gegen den prominentesten | |
Uigurenführer in der Türkei, Abdülkadir Yapcan, wurde wegen Unterstützung | |
terroristischer Aktivitäten zwar Anklage erhoben, doch der Prozess verlief | |
bislang im Sande. Ausgeliefert wurde er erst recht nicht. | |
Doch die Situation ändert sich. China hat seinen Druck erhöht und jetzt | |
steht die Ratifizierung des Auslieferungsabkommens plötzlich auf dem | |
Programm des türkischen Parlaments. Im Moment verhandelt der Auswärtige | |
Ausschuss darüber. | |
„Sie erpressen die Türkei mit dem Impfstoff“, ist Burhan Uluyol überzeugt. | |
Tatsächlich erwartet die türkische Regierung die mit Abstand größte Menge | |
an Impfstoff gegen Covid-19 aus China. [2][Der Impfstoff Sinovac] wurde und | |
wird in der Türkei getestet und soll das Rückgrat für die türkische | |
Impfkampagne bilden. | |
In der Uiguren-Community geht die Angst um. Obwohl sie der türkischen | |
Regierung vertrauten, wie Medine Nazimi sagt, die ebenfalls seit Tagen vor | |
dem chinesischen Konsulat für die Freilassung ihrer Schwester demonstriert. | |
Ungefähr 50.000 Uiguren sind aus China in die Türkei geflüchtet. Gut die | |
Hälfte von ihnen hat mittlerweile die türkische Staatsangehörigkeit und | |
damit nichts mehr zu befürchten. Viele andere haben langfristige | |
Aufenthaltsgenehmigungen, aber es gebe auch etliche, die „noch keine | |
Papiere“ haben, so Burhan Uluyol. „Viele von denen haben Angst und wollen | |
die Türkei in Richtung Europa verlassen.“ | |
Medine Nazimi ist aber eigentlich überzeugt, dass die Türkei keine Uiguren | |
nach China ausliefert wird. „Sonst gehen wir alle nach Ankara und machen | |
dort einen großen Protest“, sagt auch Burhan Uluyol. „Das türkische Volk | |
wird eine Auslieferung von Uiguren verhindern.“ | |
3 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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