# taz.de -- Minderheiten in China: Willkür gegen Uiguren | |
> „China Cables“: Geleakte Regierungslisten zeigen, mit welch absurden | |
> Begründungen Menschen in der Provinz Xinjiang in Lagerhaft gehalten | |
> werden. | |
Bild: UigurInnen bei Protesten in der Region Xinjiang 2009 | |
PEKING taz | Nach Monaten des Leugnens musste die chinesische Regierung im | |
Frühjahr zugeben, dass Hunderttausende Angehörige der muslimischen | |
Minderheit der [1][Uiguren in der Provinz Xinjiang] in lagerartigen | |
Gefängnissen einsitzen, wie es verschiedene Menschenrechtsorganisationen | |
berichtet hatten. Die chinesischen Staatsmedien starteten darauf eine | |
Propagandakampagne. | |
In einem Videobeitrag des „China News Service“ vom vergangenen März sieht | |
man den damals 22-jährigen Arapat Yusup. „Ich stand in Kontakt mit Leuten, | |
von denen ich nicht wusste, ob sie gut oder schlecht für mich waren“, | |
gesteht der scheinbar reumütige Mann: „Ohne dass ich es erkannt habe, wurde | |
ich von extremem Gedankengut infiziert“. Pekings Kernbotschaft: Es handele | |
sich nicht um Gefangene, vielmehr werde die muslimische Minderheit der | |
Uiguren [2][in Ausbildungszentren auf den Arbeitsmarkt vorbereitet] und von | |
religiösem Extremismus abgehalten. | |
Ein knappes Jahr später taucht Arapat Yusup erneut auf – in einem 137 | |
Seiten langen Regierungsdokument, das Journalisten zugespielt worden war: | |
Dort sind die Fälle von 311 Muslimen im Landkreis Karakax detailliert | |
aufgelistet. Sie geben Einblick, mit welcher Willkür Peking gegen die | |
Uiguren vorgeht. Arapat Yusup beispielsweise wird dort vorgeworfen, eine | |
„nicht vertrauenswürdige“ Person zu sein. | |
Bereits vor einigen Monaten brachten die sogenannten „China Cables“ | |
grausame Details über die Internierungslager zutage. Die neuen Dokumente | |
stammen von derselben Quelle, einer uigurischen Aktivistin in den | |
Niederlanden. Sie machen erstmals deutlich, nach welchen Kriterien die | |
Betroffenen verhaftet werden. Bislang völlig überraschend: Das | |
Hauptvergehen für knapp ein Drittel aller Internierten ist, als Eltern mehr | |
als die erlaubte Anzahl an Kindern zu haben. Als zweithäufigsten Haftgrund | |
gaben die Behörden an, Personen seien „nicht vertrauenswürdig“. | |
## Peking bricht die eigene Verfassung | |
Äußere Zeichen von Religiösität reichen aus, um in die Lager zu geraten: | |
Einem Mann wurde vorgeworfen, dass er „von März 2011 bis 2014 einen Bart“ | |
trug. In einem anderen Fall wurde ein Muslim, dessen zwei Kinder interniert | |
wurden, als „vertrauenswürdig“ eingestuft, als dieser nach einem Jahr | |
Abstinenz wieder Alkohol zu trinken begann. Und im Eintrag 114 steht über | |
einen 37-jährigen Uiguren geschrieben: „Fünf Familienmitglieder haben sich | |
um ein Reisepass beworben; bereiteten sich auf Reisen vor“. In der Familie | |
herrsche zudem eine „strenge religiöse Atmosphäre“. Der Eintrag endet | |
schließlich mit dem Fazit: „Weitere Schulung empfohlen“. | |
Der Forscher Adrian Zenz bezeichnet das Dokument als „stärksten bisherigen | |
Beweis, dass Peking aktiv ganz normale Glaubenspraktiken strafrechtlich | |
verfolgt, was direkt gegen die Verfassung des Landes verstößt“. Zenz gilt | |
als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet, jahrelang hat er | |
institutionell unabhängig und aus eigener Tasche seine Studien über die | |
Unterdrückung der muslimischen Minderheit in Xinjiang finanziert. | |
Mittlerweile arbeitet Zenz in Washington bei der Denkfabrik „Victims of | |
Communism Memorial Foundation“. Er sieht als bewiesen an, dass die | |
chinesische Regierung das Unschuldsprinzip ausgehebelt hat und auch vor | |
Sippenhaft nicht zurückschreckt. Die massenhafte Internierung vergleicht | |
Zenz mit einer „mittelalterlichen Hexenjagd, wenngleich auch mit | |
behördlicher Perfektion und eiserner Disziplin ausgeführt“. | |
Mittlerweile behauptet Peking, die „Ausbildungslager“ geschlossen zu haben. | |
Tatsächlich gehen unabhängige Experten ebenfalls davon aus, dass ein Teil | |
der Inhaftierten aus den Lagern entlassen wurden. Frei sind sie deshalb | |
jedoch nicht, wie die nun geleakten Dokumente belegen: Ihnen zufolge ist | |
eine ständige Evaluierung und Überwachung der ehemaligen Inhaftierten | |
vorgesehen, damit diese auf Linie bleiben. | |
„Peking macht das einzige, was es kennt: Es sendet eine Botschaft der | |
Unterdrückung“, sagt Wuer Kaixi, einer der führenden Köpfe der | |
Studentenbewegung vom Pekinger Tienanmen-Platz 1989. Mittlerweile lebt der | |
Uigure im Exil in Taiwan, von wo aus der Aktivist als Kritiker gegen Peking | |
auftritt. Er erklärt die brutale Unterdrückung der Muslime in Xinjiang mit | |
vorauseilendem Gehorsam der Lokalregierung, die sich mit übereifrigen | |
Maßnahmen die Loyalität der Zentralregierung in Peking sichern will. | |
18 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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