# taz.de -- Elitenforscher über Reichtum: „Milliarden steuerfrei vererbt“ | |
> Deutschland braucht eine Vermögenssteuer. Doch dafür fehle der politische | |
> Wille, bemängelt der Sozialwissenschaftler Michael Hartmann. | |
Bild: Familienfirmen, die immer viel vererben und wenig Steuern zahlen | |
taz: Herr Hartmann, die [1][neue DIW-Studie] zeigt mal wieder, dass sich | |
viel Vermögen in wenigen Händen konzentriert. Wie kann das sein? | |
Michael Hartmann: In Deutschland gibt es sehr viele Familienunternehmen: | |
Jedes zweite der hundert größten Unternehmen ist in Familienbesitz, selbst | |
so große Unternehmen wie BMW, Merck, und Henkel. In anderen Ländern gibt es | |
einen deutlich geringeren Prozentsatz an Familienunternehmen. Das | |
Erbschaftssteuergesetz von 2009 ist für solche Unternehmen besonders | |
günstig. | |
De facto ermöglicht es steuerfreies Vererben von großen | |
Unternehmensvermögen. Das Gesetz über die Erbschaftssteuer für | |
Familienunternehmen wurde immer so präsentiert, als ob es um größere | |
Handwerksunternehmen ginge. Im Wesentlichen aber geht es um große und sehr | |
große Unternehmen. Die Stiftung Familienunternehmen hat für das Gesetz | |
starke Lobbyarbeit gemacht. Wenn man sich anguckt, wer da im Präsidium | |
sitzt, dann sind das keine kleinen Unternehmen. | |
Sondern? | |
Sondern Konzerne wie Henkel, Haniel oder Kärcher. Das | |
Bundesverfassungsgericht hat dann ja auch entschieden, dass das Gesetz | |
nicht verfassungskonform ist. Da werden Milliarden steuerfrei vererbt. Die | |
[2][veränderte Fassung von 2016] hat daran kaum etwas geändert. Es gibt | |
noch einen weiteren Faktor, der die Zustände in Deutschland historisch | |
erklärt: In fast allen Industrieländern gab es eine spürbare Abnahme der | |
Vermögenskonzentration während der 1930er Jahre. Entgegen gängigen | |
Vorstellungen war das in Deutschland nicht so. Die Nazis haben eine | |
außerordentlich unternehmerfreundliche Politik betrieben. | |
Was muss auf politischer Ebene passieren, damit die Zustände sich | |
verbessern? | |
Im Grunde müsste man bei der Eigentumsstruktur der großen Unternehmen | |
ansetzen, aber das ist derzeit wohl unmöglich. Deshalb konzentriere ich | |
mich immer auf [3][die steuerlichen Fragen]. Die Statistiken in Sachen | |
Erbschaftsteuer für Unternehmen zeigen: Je kleiner das vererbte Vermögen, | |
desto höher der Steuersatz. Man müsste die Vermögenssteuer in Deutschland | |
in Kraft setzen. Denn die Zahlen über die Vermögensverteilung sind ja nicht | |
neu. Die kenne ich seit fast zehn Jahren. Jedes Mal ist die Aufregung groß, | |
aber es passiert nichts. | |
Machen andere Länder es besser? | |
Nur sehr begrenzt. In den meisten europäischen Staaten ist die Kluft nicht | |
so groß wie in Deutschland, aber sie ist überall groß und sie ist überall | |
gewachsen. Wenn man sich anschaut, wie viele Multimillionäre es gibt, dann | |
rangiert Deutschland hinter den USA und China immer auf Platz drei, weit | |
vor Frankreich oder Großbritannien. Bei den Milliardären hat Deutschland | |
sogar doppelt so viele wie Großbritannien und dreimal so viele wie | |
Frankreich. | |
Ist das auch ein Problem der Transparenz? | |
Ja, es ist immer noch nicht richtig erfasst, wer was besitzt. Die, die | |
wirklich reich sind, haben kein Interesse daran, dass es transparent wird. | |
Die sind über die Zahlen glücklich, die zumeist veröffentlicht werden, weil | |
ihr Reichtum dort stark unterschätzt wird. Transparenz bedeutet in jedem | |
Falle, dass man nachfragt: Wo kommt das her? Und wo geht das hin? Auch die | |
Bundesregierung blockiert auf EU-Ebene seit Jahren die Vorhaben, | |
Transparenz über Gewinne herzustellen. | |
Warum? | |
Unternehmen wie Amazon, Google zahlen Steuern nur im Promille-Bereich. Wenn | |
die angemessene Steuern zahlen würden, wären das auch für Deutschland | |
Zusatzeinnahmen. Auf der anderen Seite müssten dann aber auch deutsche | |
Firmen zum Beispiel aus der Autoindustrie höhere Steuern in anderen Ländern | |
zahlen, und da befürchtet die Bundesregierung offenbar Einbußen. Was | |
letztlich heißt, dass jeder auf Länderebene guckt, was sich lohnt, und | |
nicht, was es für die EU insgesamt bedeutet. Deshalb werden solche Vorhaben | |
regelmäßig von den Steueroasen Niederlande, Luxemburg oder Irland | |
blockiert, aber eben auch von Deutschland. | |
16 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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