# taz.de -- Repression gegen Adbusting: Wilder werben | |
> In Berlin sind Adbustings, also politisch verfremdete Werbeplakate, keine | |
> Kleinigkeit: Sie sorgten für Hausdurchsuchungen und einen | |
> Gerichtsprozess. | |
Bild: Adbusting: Da muss man sich schon vergewissern, was da beworben wird | |
BERLIN taz | Keine zehn Meter hinter Anna und Jan steht ein | |
Mannschaftswagen der Polizei. Doch die im Wagen sitzenden Polizist:innen | |
passen nicht auf. Weder schöpfen sie Verdacht, als zwei unscheinbare | |
Personen mit Käppis, Warnwesten, Handschuhen und einer Plakatrolle aus | |
Plastik über der Schulter in ihre Richtung gehen, noch als diese sich an | |
der Werbevitrine einer Bushaltestelle zu schaffen machen. Der Kasten mit | |
Glasscheibe liegt am Washingtonplatz direkt vor dem Hauptbahnhof – mit | |
Blick auf das Kanzleramt. Trotz einer Unwetterwarnung sind an diesem | |
Samstag recht viele Menschen unterwegs. | |
Dennoch merkt niemand, dass exakt in diesem Moment die | |
Kommunikationsguerilla zuschlägt: Jan öffnet die Werbevitrine mit einem | |
modifizierten Sechskant-Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt. Zusammen mit | |
Anna hängt er das alte Plakat ab und steckt es an die Seite des | |
Schaukastens. Dann öffnet Jan seine Plakatrolle und holt ein neues Poster | |
raus. Zusammen befestigen die beiden das große, weiße Plakat im | |
Schaukasten. „Kasernen zu Kinos, Kneipen und Krankenhäusern. 13. Juni – Tag | |
ohne Bundeswehr – ausgedient“, steht darauf mit schwarzer Schrift. Darunter | |
ist noch das Schwarze Kreuz der Bundeswehr zu sehen, in dem ein | |
pinkfarbener Pfeil steckt. | |
Dann schließen sie den Kasten wieder, er rastet mit einem lauten Knacken | |
ein. Nach nur einer Minute ist die Aktion vorbei. Statt einer Werbung für | |
Harry-Potter-Hörbücher hängt nun ein antimilitaristisches Plakat hinter der | |
Glasscheibe der Werbevitrine. | |
Anna und Jan sind Adbuster:innen. Ihre richtigen Namen wollen sie nicht | |
verraten. Das Wort Adbusting kommt aus dem Englischen von „Advertisement“ | |
wie Werbung und „to bust“ wie zerstören. Sie verfremden und überkleben | |
Werbebotschaften im öffentlichen Raum, um staatliche Strukturen, | |
insbesondere Sicherheitsbehörden wie Geheimdienste, Bundeswehr und Polizei | |
zu kritisieren und lächerlich zu machen. Neben institutionellem Rassismus | |
und Polizeigewalt sind häufig auch Sexismus, Kapitalismus, Konsum sowie die | |
Allgegenwart von Werbung im Alltag selbst Ziel von Kritik in Adbustings. | |
Unterwegs sind Anna und Jan am Nachmittag des 13. Juni 2020. Eigentlich ist | |
heute Tag der Bundeswehr, eine Art Tag der offenen Kasernentore, an dem | |
sich das Militär als moderner Arbeitgeber präsentieren will. Weil aber in | |
diesem Jahr wegen der Coronapandemie sämtliche Festivitäten und Akte der | |
Selbstbeweihräucherung des Militärs ausfallen, feiern ihn Aktivist:innen | |
mit ihrer Plakataktion erst recht – und zwar als „Tag ohne Bundeswehr“ und | |
Sprüchen, die auf all die schlechten Eigenschaften des Militärs hinweisen | |
sollen. | |
Glaubt man einigen Sicherheitsbehörden, sind Anna und Jan fast so etwas wie | |
Linksterrorist:innen. Das [1][Bundesamt für Verfassungsschutz ordnet im | |
Jahresbericht 2018] Adbustings im Kapitel „gewaltorientierter | |
Linksextremismus“ ein – allerdings ohne jegliche Belege für die insinuierte | |
Gewalttätigkeit dieser Protestform. Eine kleine Anfrage der Linken im | |
Bundestag ergab Ende Februar 2020, dass in vier Adbusting-Fällen sogar das | |
überregionale [2][Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum | |
(GETZ) informiert wurde]. Das wurde 2011 als Reaktion auf das | |
Behördenversagen nach der Selbstenttarnung des NSU gegründet, um | |
Ermittlungen gegen Rechtsterrorismus zu verbessern. | |
Drei der Meldungen an das Terrorabwehrzentrum wurden vom Berliner | |
Verfassungsschutz gemacht, wie kürzlich eine [3][Kleine Anfrage der Linken | |
im Abgeordnetenhaus] ergab. Der Grund dafür: Auf Adbustings wurde dazu | |
aufgerufen, sich an regulär angemeldeten Demonstrationen zu beteiligen. Bei | |
einer davon ging es ausgerechnet um das Ende des NSU-Prozesses am 19. Juli | |
2018 – ganz so, als sei es „linksextremistisch“, gegen mangelnde | |
juristische und staatliche Aufklärung von Rechtsterrorismus zu | |
protestieren. | |
Die Berliner Staatsanwaltschaft zeigte nicht weniger Ermittlungseifer, als | |
sie ein Verfahren wegen Adbusting sogar zur Anklage brachte. Drei | |
Beamt:innen des Staatsschutzes waren an Ermittlungen über einen Zeitraum | |
von vier Jahren beteiligt, wie [4][eine weitere Linken-Anfrage] nach einem | |
unverhältnismäßig erscheinenden [5][Prozess am Amtsgericht Tiergarten] | |
ergab. Ermittler:innen machten zwei Hausdurchsuchungen und glichen | |
Fingerabdrücke an Plakaten in verschiedenen Bundesländern ab. | |
Anklage erhob die Staatsanwaltschaft wegen schweren Diebstahls und | |
Sachbeschädigung, worauf im Falle einer Verurteilung zwischen [6][drei | |
Monaten und zehn Jahren Haft] stehen. Auch aufgrund der während des | |
Prozesses offenkundig werdenden Unverhältnismäßigkeit mit gestohlenen | |
Werbeplakaten wurde das Verfahren im November 2019 gegen eine Auflage von | |
120 Sozialstunden eingestellt. | |
Aber es gibt noch weitere Adbusting-Fälle in Berlin, bei denen DNA-Spuren | |
gesichert, Hausdurchsuchungen gemacht und Fingerabdrücke genommen wurden. | |
Die taz konnte im Zuge von Recherchen mit einer Betroffenen sprechen und | |
verschiedene Ermittlungsakten einsehen. | |
Insbesondere das auf Linksextremismus spezialisierte Dezernat des | |
Staatsschutzes, das LKA 521, betreibt einen unverhältnismäßigen Aufwand bei | |
der Verfolgung offenkundig geringfügiger Bagatelldelikte. Der | |
Verfassungsrechtler Andreas Fischer-Lescano bezeichnet die überzogene | |
Ermittlungspraxis als „hanebüchen“ und „unverhältnismäßig“ und spri… | |
einem „Justiz- und Politikversagen“. | |
Anna und Jan kennen die Repressionsgeschichten der Kolleg:innen. Wohl auch | |
deswegen pumpt während ihrer Protestaktion jede Menge Adrenalin durch ihre | |
Blutbahnen. „Der kritischste Moment ist nicht der, wenn wir die Vitrine | |
öffnen und das alte Plakat abnehmen, sondern der, wenn wir das neue | |
entrollen“, sagt Jan später, „ab diesem Zeitpunkt kann man sehen, dass wir | |
keine Mitarbeiter der Werbefirma sind.“ | |
Und Anna und Jan haben Pech: Unglücklicherweise rollt genau in dem Moment, | |
als die Vitrine mit dem neuen Poster wieder geschlossen ist, und die beiden | |
zügig von der Bushaltestelle weggehen, ein Polizeiauto heran und hält an | |
einer roten Ampel direkt vor den beiden Aktivist:innen. | |
Nach einigen langen Sekunden schaltet die Ampel auf Grün. Dann fährt das | |
Polizeiauto wieder an. Zum Glück für die beiden Aktivist:innen haben die | |
Beamt:innen die Aktion nicht bemerkt. Später sagt Jan: „Die Warnwesten | |
machen unsichtbar. Die funktionieren fast wie der Unsichtbarkeitsmantel bei | |
Harry Potter.“ Anna sagt: „Das sind so die kleinen Momente, die Spaß | |
machen: Dass wir uns das getraut haben, obwohl die Polizei in der Nähe | |
war.“ | |
Nach der Werbevitrine vor dem Hauptbahnhof überqueren die beiden in ihren | |
Warnwesten auf der Fußgängerbrücke die Spree und laufen durchs | |
Regierungsviertel. Auch dort warten noch ein paar Schaukästen. Insgesamt | |
tauchen an diesem Tag innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings 29 solcher | |
Plakate in Vitrinen der Wall GmbH auf – einige davon haben Anna und Jan | |
aufgehängt. Weitere Poster befinden sich vor Schloss Bellevue, am | |
Checkpoint Charlie, am Zoo und vielen weiteren prominenten Orten. Der Tag | |
der Bundeswehr ist auch in anderen Städten für Kommunikationsguerillas | |
Großkampftag: Ähnliche Aktionen finden in Dresden, Freiburg und Hildesheim | |
statt. | |
Lediglich einige Passant:innen merken zunächst, dass irgendetwas an der | |
vermeintlichen Bundeswehrwerbekampagne faul ist. An der Bushaltestelle in | |
der Nähe des Kanzleramtes steht eine Familie mit drei Kindern direkt neben | |
dem Schaukasten mit dem neuen Poster und wartet auf den Bus. Nachdem die | |
Vitrine wieder verschlossen ist, betrachtet ein Junge das Plakat: Ein | |
Multiple-Choice-Kästchen lädt zur Rekrutierung: „Vorbildung: Nazi-Prepper, | |
Sexist, Gewaltaffin (Mehrfachnennung erwünscht!)“. Der Junge, er ist | |
vielleicht zwölf, hält eine Tüte Snacks in der Hand und kann sich keinen | |
Reim drauf machen, wie es scheint. | |
Beim Aufhängen eines weiteren Plakats an der Bushaltestelle gegenüber hält | |
ein Fahrradfahrer und schaut interessiert dabei zu, wie Anna und Jan ein | |
„Bei uns kannst du auch ohne Corona sterben“-Poster aufhängen. Irritiert | |
blicken sich die beiden um, als der Mann vom Rad steigt. Ein Zivilpolizist? | |
Nein: Er habe Sympathie für die Aktion, sagt der Radfahrer. Er habe bereits | |
ein verfälschtes Plakat in der Nähe entdeckt und es fotografiert. | |
Polizist:innen hätten etwas ratlos davor gestanden und nicht gewusst, was | |
sie machen sollten, berichtet er, bevor er weiterfährt und noch „viel Spaß�… | |
wünscht. | |
Ob sie schon mal von der Polizei beim Adbusting erwischt wurden? „Nein“, | |
sagt Jan, einmal sei es allerdings sehr knapp gewesen. | |
## Besonders schwerer Fall des Diebstahls | |
Frida Henkel (richtiger Name der Redaktion bekannt) ging es da anders. Im | |
Rahmen der Recherche erreicht die taz sie per Telefon. Sie erzählt, dass | |
sie zusammen mit einer Freundin im Juni 2019 bei einer Adbustingaktion von | |
zwei Zivilpolizisten erwischt wurde. Sie wollten ebenfalls tagsüber ein | |
verfremdetes Plakat der Bundeswehr aufhängen. Darauf war statt des Slogans | |
„Dienst an der Waffe geht auch ohne Waffe“ zu lesen: „Kein Dienst an der | |
Waffe geht ohne Waffe – Mach, was wirklich zählt: Rheinmetall blockieren! | |
Bundeswehr kaputtmachen!“ Sie sei wegen besonders schweren Falls des | |
Diebstahls angezeigt worden, so Henkel. | |
Im Nachgang hatte sie mit Post, also einer Vorladung oder einem | |
Strafbefehl, gerechnet. Aber es kam härter, wie Henkel erzählt: Drei Monate | |
später stand im Morgengrauen ein halbes Dutzend Polizist:innen für eine | |
Hausdurchsuchung vor der Tür ihrer Wohnung, in der sie zusammen mit ihrer | |
Mutter wohnt. | |
Allerdings ist Henkel nicht anzutreffen, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt | |
bei ihrem getrenntlebenden Vater aufhält. Die Polizist:innen durchsuchen | |
die Wohnung dennoch nach Beweismitteln wie Plakate, Werkzeug, Kameras, | |
Handys und Tablets – finden aber nichts. Zeitgleich durchsuchen sie ebenso | |
erfolglos die Wohnung ihrer Freundin. Danach schüchtern die Polizist:innen | |
Henkels Mutter ein und fragen nach dem aktuellen Aufenthaltsort ihrer | |
Tochter, wie Henkel erzählt. Ihre Mutter sagt den Polizist:innen, dass sich | |
ihre Tochter beim Vater befinde. Die Beamt:innen wollen daraufhin auch die | |
Wohnung des Vaters durchsuchen. Laut Henkel sagen sie der Mutter, dass sie | |
unter keinen Umständen ihre Tochter warnen dürfte. | |
Kurz darauf befinden sich die Polizist:innen auch vor der Haustür ihres | |
Vaters und wecken dort Henkel. „Ich dachte, ich bin im falschen Film“, sagt | |
sie. „Es ist vollkommen unverhältnismäßig und übertrieben, so krass in | |
meine Privatsphäre einzudringen – die haben uns doch auf frischer Tat | |
ertappt, dann braucht man doch keine Hausdurchsuchungen – was für Beweise | |
brauchten die denn noch?“, fragt Henkel. | |
Sie fühlt sich auch Monate nach der Hausdurchsuchung noch empfindlich in | |
ihrer Privatsphäre verletzt. „Die haben Fotos von allen Räumen gemacht, | |
sogar von Wäschekammer und vom Wäscheständer. Dort sind total viele | |
irrelevante Sachen, die niemanden was angehen“, sagt sie. Weil Henkel die | |
Situation so schnell wie möglich beenden will, gibt sie den Polizist:innen | |
fünf Plakate, die sich in der Wohnung befinden. Werkzeug sei keines | |
dagewesen. Dafür beschlagnahmten die Polizist:innen allerdings noch Henkels | |
Smartphone. „Noch schlimmer aber finde ich, dass meine Eltern da mit | |
reingezogen wurden und dass die Polizei es wagt, wegen Adbustings meiner | |
Mutter zu drohen“, so Henkel. | |
Nachdem die taz mit Henkel telefoniert hat, schickt sie eine Kopie des | |
Durchsuchungsbeschluss. „Wegen besonders schweren Falls des Diebstahls“, | |
steht auf dem Dokument. Die Ermittlungen geführt hat die für | |
Linksextremismus zuständige Staatsschutzabteilung des LKA, das Dezernat | |
521. | |
## Fragwürdige Prioritäten | |
Es ist nicht das erste Mal, dass der Berliner Staatsschutz mit einer | |
fragwürdigen Prioritätensetzung auffällt. So hatte der Berliner | |
Staatsschutz wenige Monate vor dem Anschlag 2016 auf den Weihnachtsmarkt am | |
Breitscheidplatz die [7][Observation des islamistischen Terroristen Anis | |
Amri eingestellt] – um stattdessen zwei Linke aus der Hausbesetzerszene um | |
die Rigaer Straße 94 zu beobachten. Ebenso sorgte ein ehemaliger | |
Mitarbeiter des Berliner Staatsschutzes für Schlagzeilen, weil er 2017 | |
offenbar [8][Drohbriefe gegen 42 Linke] schrieb und dafür sensible | |
Informationen aus der Polizeidatenbank sammelte. Er soll damit gedroht | |
haben, persönliche Daten an rechtsextreme Organisationen weiterzuleiten. | |
Seine Freundin, ebenfalls Polizistin beim Staatsschutz, half ihm wohl | |
dabei. | |
Das Verfahren gegen Henkel wird drei Monate nach der Durchsuchung im | |
Dezember 2019 immerhin eingestellt. Ihre Freund:innen hätten ihr | |
gratuliert, aber bei ihr sei Wut und das Gefühl zurückgeblieben, erheblich | |
in ihrer Privatsphäre verletzt worden zu sein, sagt Henkel. Nach langem | |
Nachdenken will sie jetzt gegen die Durchsuchung klagen. Zusammen mit ihrem | |
Anwalt bereitet sie gerade rechtliche Schritte gegen die Maßnahme vor. | |
Sie dürfte dabei keine allzu schlechten Chancen haben, wie der | |
Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano einschätzt. Der Rechtswissenschaftler | |
von der Uni Bremen ist empört über die Ermittlungspraxis und beharrt auf | |
seinem [9][Verfassungsblog auf der Unverhältnismäßigkeit solcher | |
Repressionen gegen Adbusting]. Die taz zeigte Fischer-Lescano den | |
Durchsuchungsbeschluss von Henkel, den ein Ermittlungsrichter des | |
Amtsgerichts Tiergarten unterschrieben hat. Fischer-Lescano sagt: „Dass ein | |
Gericht sich für so etwas hergibt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Es | |
ist ja eine Sache, wenn Sicherheitsbehörden wie die Polizei durch Kritik | |
getriggert werden. Aber dass sich ein Gericht auf so dünner Grundlage an | |
solchen Grundgesetzwidrigkeiten beteiligt, finde ich skandalös.“ | |
„Hausdurchsuchungen wegen Adbusting sind völlig unverhältnismäßig“, sagt | |
Fischer-Lescano. Solange man das Plakat nicht entwende und der Zustand also | |
reversibel sei, liege nicht einmal eine Straftat vor, so Fischer-Lescano | |
zur taz. Und bei der Entwendung eines Plakats „liegt schon gar kein | |
schwerer Diebstahl vor, weil das voraussetzt, dass der Wert eines Plakats | |
die Bagatellgrenze übersteigt“. | |
Das Bundesverfassungsgericht sage klar, dass es bei Ermittlungen eine | |
Verhältnismäßigkeit geben müsse. Eine Hausdurchsuchung sei ein schwerer | |
Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und in die | |
Privatsphäre. „Das ist bei solchen Bagatellsachen bereits in der | |
Ermittlungsarbeit unzulässig. Ebenso sind genetische Tests in solchen | |
Verfahren unverhältnismäßig“, sagt Fischer-Lescano. | |
Aber auch die hat es in Fällen von Adbusting in Berlin bereits gegeben, wie | |
verschiedene linke Gruppen immer wieder durch Pressemitteilungen und | |
Veröffentlichungen auf Indymedia darlegen. Eine Gruppe, die kontinuierlich | |
von überzogener Repression wegen Adbusting berichtet, heißt Plakativ. Über | |
sie hat die taz Einblick in anonymisierte Teile mehrerer Ermittlungsakten | |
zu verschiedenen Fällen bekommen. | |
Die eingesehenen knapp 90 Seiten zeigen: Auch in weiteren Fällen ermitteln | |
die Staatsschützer:innen des für Linksextremismus zuständigen LKA 521 | |
übereifrig: Nachdem die Polizei vor rund einem Jahr auch in Tempelhof fünf | |
verfälschte Plakate der Bundeswehr sichergestellt hat, lässt sie die Poster | |
mit Aufschriften wie „Die Bundeswehr macht den [10][Franco A.]“ | |
spurensicher verpacken und unterzieht sie kriminaltechnischen | |
Untersuchungen. Die Ermittlerin weist die Suche nach daktyloskopischen | |
Spuren, also Fingerabdrücken, an und bittet das Labor um die Sicherung von | |
DNA-Rückständen. | |
Aktenkundig für Plakativ ist der Fall deshalb geworden, weil der | |
Staatsschutz die Tempelhofer Plakate mit einem anderen Fall, nämlich dem | |
von Henkel, verknüpfte. In beiden Fällen war die selbe Ermittlerin tätig. | |
Die Akten zeigen auch, dass die Zivilpolizisten, welche Henkel und ihre | |
Freundin erwischen, zuerst gar nicht wissen, um welche Straftat es sich bei | |
Adbusting handeln soll. Erst nach einer Rücksprache mit dem LKA 521 | |
fertigten sie eine Strafanzeige gegen die beiden an. Am Ende hat die | |
[11][Ermittlungsakte 120 Seiten]. | |
## Sachschaden für ein Plakat: 150 Euro | |
Sogar die Wall GmbH wird eigens von der Kriminaloberkommissarin | |
angeschrieben und soll ein beiliegendes Formular ausfüllen und angeben, ob | |
sie Strafantrag stellen wolle und „wie hoch der entstandene Sachschaden | |
ist“. Die Wall GmbH lässt sich nicht lange bitten und erstattet Anzeige | |
gegen eine Aktion, die sie angesichts ihrer rund 4.000 Werbevitrinen in | |
Berlin von sich aus wohl gar nicht mitbekommen hätte. Als Sachschaden gibt | |
die Firma für ein Plakat stattliche 150 Euro an. | |
Auf Nachfrage der taz schreibt Wall, dass der Preis von Plakaten je nach | |
Material und Format variiere – zwischen einstellig und knapp dreistellig. | |
Die Verteidigung des zur Anklage gebrachten Adbustingverfahrens vom | |
vergangenen Oktober ging in der Verhandlung hingegen von einem Sachwert von | |
fünf Euro pro Plakat aus. | |
Im Wissen darum, dass ein Plakat jedenfalls kein allzu „besonders schwerer | |
Diebstahl“ ist, reiten Ermittler:innen in der Akte dann vor allem auf dem | |
politischen Tatmotiv herum. Ganz so, als wenn Staatskritik oder in diesem | |
Fall Bundeswehrkritik erschwerend zum Diebstahl eines Posters hinzukäme und | |
Meinungsbekundungen auf Plakaten per se strafbar seien. | |
„Antimilitarismus ist eines der traditionellen Themenfelder militanten | |
linken Szene“, steht in einem fünfseitigen Zwischenbericht, mit dem ein | |
Durchsuchungsbeschluss angeregt werden soll. „In der Bundeswehr sieht sie | |
eine Organisation zur Durchsetzung imperialistischer Politik und | |
kapitalistischer Interessen im Ausland.“ Werbekampagnen der Bundeswehr | |
seien geeignete Ziele zur Sachbeschädigung, heißt es ganz so, als sei es | |
verboten, gegen Waffenexporte und Militarisierung zu demonstrieren. | |
Genau diese Argumentation ist aus Sicht des Rechtswissenschaftlers | |
Fischer-Lescano besonders problematisch, wie er sagt: „Es darf keine | |
Strafverschärfungen wegen des Inhalts von Meinungsäußerungen geben, solange | |
diese sich im Bereich der Meinungsfreiheit bewegen.“ Man könne seit Jahren | |
beobachten, dass in Sicherheitsbehörden die Bereitschaft steigt, | |
staatskritische Tätigkeiten von Links mit aller Härte zu verfolgen, während | |
in anderen Bereichen Mittel und Bereitschaft fehlen. Fischer-Lescano sagt: | |
„Es ist schon sehr auffällig, wie akribisch gegen Links ermittelt wird und | |
was es doch immer wieder für Fehlstellen bei Ermittlungen gegen Rechts gibt | |
– von den [12][Neuköllner Brandanschlägen] bis hin zu [13][weiteren | |
Untergründen].“ | |
Tatsächlich ist das LKA 521 auch nur zuständig, wenn Polizeibeamt:innen | |
politische Motive hinter Adbustings vermuten. Würden die Schaukästen | |
einfach nur eingeschlagen oder Plakate ohne erkennbaren politischen | |
Hintergrund geklaut, würden die Ermittlungen [14][laut Linken-Anfrage bei | |
den zuständigen Polizeiabschnitten bleiben] – und wohl in der Regel ohne | |
größeren Ermittlungsaufwand ergebnislos eingestellt. Wie kann es also bei | |
einem noch geringeren Schaden von einem entwendeten Werbeplakat sein, dass | |
dennoch ein Durchsuchungsbeschluss gegen Henkel erging? Das Amtsgericht | |
Tiergarten erklärt auf Anfrage erst die Nichtzuständigkeit und dann auf | |
allgemeine Nachfrage zum Tatbestandsmerkmal, dass man bereits von besonders | |
schwerem Diebstahl ausgehen könne, wenn ein Gegenstand „durch ein Schloss | |
gegen Wegnehmen besonders gesichert gewesen“ sei. Fragen zum konkreten | |
Beschluss könne das Amtsgericht allerdings nicht beantworten. | |
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft ist nicht weniger abenteuerlich: | |
Gegen Henkel habe es den Verdacht auf besonders schweren Diebstahl und des | |
Verdachts auf Sachbeschädigung gegeben, wie es von der Staatsanwältin Mona | |
Lorenz auf Anfrage der taz heißt. Der Anfangsverdacht reiche bei Straftaten | |
für eine Hausdurchsuchung aus. Bei der Aktion „soll ein nicht geringer | |
Schaden entstanden sein, worunter auch die mangelnde Vertragserfüllung des | |
Schaukasteninhabers fällt“, schreibt die Staatsanwaltschaft – nur um | |
daraufhin mitzuteilen, dass das Verfahren mittlerweile wegen | |
Geringfügigkeit eingestellt worden sei. | |
Die Polizei antwortet auf eine Anfrage der taz zur Verhältnismäßigkeit der | |
Ermittlungen bei Adbustings bis Redaktionsschluss nicht. | |
## Vergeudung von Steuermitteln | |
Der Staatsrechtler Fischer-Lescano sagt dazu: „Der Durchsuchungsbeschluss | |
ist ein Justizversagen.“ Es sei „hanebüchen“, einen solchen | |
Ermittlungsaufwand zu betreiben, wenn schon die Strafbarkeit unklar sei: | |
„Das ist eine Vergeudung von Steuermitteln und ein Eingriff in die | |
Grundrechte der Betroffenen.“ | |
Immerhin: Im gerade veröffentlichten [15][Verfassungsschutzbericht für | |
2019] taucht Adbusting nicht mehr auf. Dazu dürfte auch anhaltende Kritik | |
in Medien und Politik geführt haben. Die Adbusting-Gruppe Plakativ freut | |
sich darüber. Ein Sprecher, er nennt sich Klaus Poster, sagt kurz nach der | |
Veröffentlichung: „Gewonnen! Das zeigt: Geheimdienstliche Hetze ist ein | |
stumpfes Schwert gegen Kommunikationsguerilla.“ Aber irgendwie sei es auch | |
schade, findet er: „Gerade 2020 ist der Geheimdienst ein beliebtes Ziel | |
geworden und die Aktionen haben mehr Aufmerksamkeit als je zuvor erhalten.“ | |
Abzuwarten bleibt, ob nun auch der Verfolgungsdruck sinkt. | |
Anna und Jan jedenfalls denken nun erst recht nicht daran, mit Adbusting | |
aufzuhören. Jan sagt: „Adbusting ist von dem Recht auf freie | |
Meinungsäußerung genauso geschützt, wie es das Recht gibt, die Stadt mit | |
Werbung vollzuklatschen.“ Und sie sind damit offenbar nicht allein. Im | |
Gegenteil: In Berlin kam es in diesem Jahr gefühlt zu mehr Aktionen als in | |
den Jahren zuvor. Gerade während des Lockdowns schien Adbusting eine der | |
wenigen nichtdigitalen Protestformen zu sein, die noch funktionierten. | |
Allerdings werden Anna und Jan wegen des hohen Verfolgungsdrucks auch | |
weiterhin ordentlich Adrenalin ausschütten, wenn sie mit ihren Warnwesten | |
unterwegs sind. Und das wohl auch zu Recht: Wenig später, unweit des | |
Brandenburger Tors, wollen sie ein letztes Plakat für heute aufhängen: „Und | |
dann gibt es die Bundeswehr nur noch im Museum – ausgedient“, steht drauf. | |
Dieses Mal ist die Aktion ob des fließenden Verkehrs und damit auch | |
zahlreicher Zeugen an der Straße Unter den Linden noch waghalsiger. | |
Direkt gegenüber eines Klohäuschen, an dem die Werbevitrine ist, sitzen | |
mehrere Polizist:innen in einem Polizei-Bus – keine zehn Meter vom Plakat | |
entfernt, aber ohne direkten Blick auf den Schaukasten. Und plötzlich biegt | |
ein weiteres Polizeiauto auf die Straße ein und fährt geradewegs auf Anna | |
und Jan zu, während sie bereits das Plakat ausgerollt haben. Sie bemerken | |
das Polizeiauto und drehen sich in Richtung des Wagens um. | |
Ihre Bewegungen wirken nun auf einmal hektisch – erneut schaut sich Jan zum | |
Polizeiauto um, als der Wagen an der Ampel auf Höhe des Plakats anhält. Die | |
beiden bleiben direkt vor dem Plakat stehen und wurschteln weiter an dem | |
Glaskasten herum. Die Ampelphase dauert eine gefühlte Ewigkeit. | |
Doch Anna und Jan haben noch einmal Glück: Die Ampel springt auf Grün, das | |
Polizeiauto fährt weiter. Schnell verschließen die beiden die Vitrine, | |
gehen eiligen Schrittes weiter und verschwinden hinter der nächsten Ecke. | |
9 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf | |
[2] /Kriminalisierung-von-Adbusting/!5664706 | |
[3] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-23… | |
[4] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-21… | |
[5] /Gerichtsverfahren-in-Berlin/!5628524 | |
[6] https://dejure.org/gesetze/StGB/243.html | |
[7] /Anis-Amri-und-die-Rigaer-Strasse/!5510622 | |
[8] https://www.zeit.de/2019/24/polizei-berlin-linke-szene-anis-amri-breidschei… | |
[9] https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetz… | |
[10] /Franco-A/!t5466730 | |
[11] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-2… | |
[12] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550 | |
[13] /Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502 | |
[14] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web… | |
[15] https://www.verfassungsschutz.de/download/vsbericht-2019.pdf | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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