Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Adbusting gegen Corona: Noch ein illegaler Demozug
> Protestieren wie Werber: Weil andere Aktionsformen in Zeiten von Corona
> rigoros unterbunden werden, setzen Aktivisten in Berlin auf Adbusting.
Bild: Es dauerte nicht lange, bis auch dieser Protest entfernt wurde
Berlin taz | Für soziale Bewegungen ist es während des
[1][Corona]-Kontaktverbots schwierig, sich politisch zu äußern. Das zeigen
nicht nur von der Polizei abrupt beendete Aktionen wie [2][vor dem
Brandenburger Tor vergangenes Wochenende]: Dort verteilten die Beamten
nicht nur Bußgeldbescheinigungen und Anzeigen gegen Demonstrierende wegen
Verstößen gegen die Corona-Verordnung, sondern sackte auch deren politische
Botschaften und Material kurzum ein.
Außerhalb des Internets bleibt kaum Raum, politisches Missfallen zu äußern.
Etwa, wenn man es [3][für erbärmlich hält], dass Deutschland 80.000
Spargelstecher:innen einfliegen will, es aber seit Wochen nicht hinbekommt,
1.500 Minderjährige aus griechischen Flüchtlingslagern zu evakuieren.
Legitim erscheinen in Folge klandestine Protestformen, die nicht auf
Infektionsschutz, dafür aber auf Anmeldungen verzichten wollen.
Wohl auch deshalb haben vor einer Woche Adbusting-Kollektive zugeschlagen
und unter anderem eine BVG-Werbung zu einer politischen Kundgebung gemacht.
Adbusting ist eine sich zunehmender Beliebtheit erfreuende Protestform, die
darauf setzt, im öffentlichen Raum Irritationen auszulösen. Oftmals
verfremden Aktivist:innen Werbeplakate auf humorvolle Weise, um auf
Missstände aufmerksam zu machen. Adbusting richtet sich gegen Sexismus,
Bundeswehr und Exekutive. Jetzt widmen sich in Berlin Aktivist:innen der
Beschneidung der Freiheitsrechte und der Frage, inwiefern die Pandemie
soziale Ungleichheiten verschärft.
Als Grundlage dafür diente ein Bauzaun der U5-Baustelle vor dem Roten
Rathaus, auf dem eine etwa 50 Meter lange BVG-Werbung angebracht ist: eine
im Comic-Stil gezeichnete U-Bahn mitsamt Fahrgästen. Ihnen haben die
Adbuster:innen in Sprechblasen Kommentare in den Mund gelegt. Die Aktion
wirkte so wie eine Versammlung vor dem Rathaus.
## Grüße an Xavier Naidoo
Ein Motz-Verkäufer sagt auf dem verfälschtem Plakat etwa: „Zu Hause bleiben
kann nur, wer ein Zuhause hat.“ Einem Mann mit orangefarbener Warnweste ist
die Sprechblase „Adbusting entfernen ist kein systemrelevanter Job“ in den
Mund gelegt. Und auch Verschwörungsideolog:innen bekommen eins mit:
„Antisemitismus bekämpfen statt Verschwörungstheorie teilen“ sagt eine Fr…
beim Selfie mit lässiger Sonnenbrille.
Ein Typ mit swaggy umgedrehtem Cap ist sogar zweimal abgebildet, einmal mit
goldener Dollarzeichenkette und einmal mit lila Schal. Damit die Zwillinge
sich weiter fancy Modeacessoires leisten können, fordern sie: „Miete statt
Grundrechte beschneiden“ und „Corona trifft die Masse: Weg mit ‚privat‘
oder Kasse!“ Daneben lächelt eine strickende Oma und fordert „Krankenhäus…
statt Bundeswehr“.
Warum die Werber daneben auch noch den Bundesadler, besser bekannt als
fette Henne, in die U5 haben steigen lassen, wird wohl ewig ihr Geheimnis
bleiben. Eine politische Botschaft verkündet das wohlgenährte Wappentier
dennoch: „Solidarität statt Euer Volksgemeinschaft“. So bildet der Zug
trotz grammatikalischer Ungenauigkeit eine bunte Demo.
Kommunikationsgueriller@s nennen die Aktion auf [4][Indymedia] dann auch
„Demozug“.
Eine Aktivistin sagt dort: „Da wir aufgrund des notwendigen Social
Distidingsbums aktuell keine großen Demonstrationen für sinnvolle,
politische Maßnahmen im Angesicht der kapitalistischen Dauerkrise
veranstalten können, macht das jetzt die BVG-Werbung für uns.“ Weiter wolle
der Protest auf die Krisenanfälligkeit der Kapitalismus aufmerksam machen:
„Die Corona-Krise zeigt erneut, wie verletzlich diese Systeme sind und wie
schnell sie Menschen ihre Lebensgrundlage entziehen.“
Die emanzipatorische Linke müsse Utopien wagen, „Autonomie und Kooperation
statt Herrschaft!“ fordern. Und weil herkömmliche Protestformen nicht mehr
zulässig seien, brauche es jetzt außergewöhnliche Mittel des Protests“, so
eine Aktivistin. Ebenso forderte das „Demozug-Bündnis“ dazu auf,
mitzumachen. Man solle den gedruckten Zug vor dem Roten Rathaus in den
nächsten Tagen besuchen und gerne selbst Forderungen ergänzen. Blöd nur,
dass die BVG mittlerweile sämtliche Sprechblasen wieder entfernen ließ. Die
Bekämpfung von Adbusting ist also scheinbar doch systemrelevant.
Aber beispielhaft war die Aktion dennoch: Auch andere Bündnisse setzen
mittlerweile auf die Straße. In der Hasenheide sind an zahlreichen Stellen
Fußabdrücke aufgemalt, die von dem Spruch des Seebrücken-Bündnisses
#Leavenoonebehind wegführen.
Nur zwei Tage vor der Adbusting-Aktion an der U5 hatten Aktivist:innen auch
Plakate in Werbevitrinen vor der Landesvertretung Baden-Württemberg
ausgetauscht. Dort stand „Wir können alles. Sogar Militäreinsatz.“ mit der
Bebilderung der bekannten Image-Kampagne des Bundeslandes. Hintergrund sei
der schwäbische Plan, „bewaffnetes Militär mit Polizeiaufgaben auf die
Straße zu schicken“, wie es zur Erklärung hieß.
Nur: Ungefährlich für Aktivist:innen sind diese Aktionsformen keineswegs.
Zuletzt gab es in Berlin sogar Hausdurchsuchungen wegen Adbusting, auch
[5][ein Gerichtsverfahren] führte die Staatsanwaltschaft wegen
vermeintlichen schweren Raubs von Plakaten (die taz berichtete). Zuletzt
hatte Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) es zudem als „lächerlich“
kritisiert, dass Adbusting sogar im Verfassungsschutzbericht auftaucht – im
Abschnitt „[6][gewaltorientierter Linksextremismus].“
7 Apr 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[2] /Proteste-fuer-Gefluechtete/!5673520
[3] /Hilfsaktion-fuer-gefluechtete-Kinder/!5674582
[4] https://de.indymedia.org/node/74933
[5] /Gerichtsverfahren-in-Berlin/!5628524/
[6] /Kriminalisierung-von-Adbusting/!5664706/)
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Soziale Bewegungen
Schwerpunkt Coronavirus
Adbusting
Adbusting
Polizei Berlin
Polizei Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Polizei Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verfremdete Werbeplakate in Hamburg: Zu schön, um wahr zu sein
Eine Adbusting-Gruppe hängt Plakate auf, die aussehen wie Werbeplakate der
Stadt, inhaltlich aber unter anderem Kommerzialisierung kritisieren.
Repression gegen Adbusting: Wilder werben
In Berlin sind Adbustings, also politisch verfremdete Werbeplakate, keine
Kleinigkeit: Sie sorgten für Hausdurchsuchungen und einen Gerichtsprozess.
Gewerkschaft sehnt sich nach alten Zeiten: Die Polizei mobilisiert zum 1. Mai
Vor dem 1. Mai belebt die Gewerkschaft der Polizei alte Feindbilder: die
linke Szene sowie Rot-Rot-Grün. Und fragt: „Was ist mit der 18-Uhr-Demo?“
Einschränkungen wegen Corona: Ein trauriger Sommer in Berlin
Kein CSD, keine Konzerte, kaum Touristen und auch Demos wird es in diesem
Sommer nicht geben. Immerhin die Zoos machen nächste Woche wieder auf.
Politische Bewegungen in Corona-Zeiten: Stirbt auch der Protest?
Wegen der Coronapandemie sind auch Demos verboten. Autonome wollen sich dem
nicht beugen – und machen für den 1. Mai mobil.
Corona und Demonstrationsrecht: Ruhe im Karton
Coronaverordnungen schränken politischen Protest ein. Auf die Gelegenheit,
Versammlungen ganz zu verbieten, scheinen einige nur gewartet zu haben.
Proteste für Geflüchtete: Schuhe dürfen nicht demonstrieren
Eine Aktion für die Geflüchteten in den griechischen Lagern wird in Berlin
und anderswo polizeilich unterbunden. Das pauschale Verbot wird kritisiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.