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# taz.de -- Gabriels Job bei Fleischfabrik Tönnies: Wo es stinkt
> Der ehemalige SPD-Chef war bei Tönnies als hochbezahlter Berater tätig.
> Verboten ist das nicht. Aber die SPD wird dringend darüber sprechen
> müssen.
Bild: Sigmar Gabriel hat noch was zwischen den Zähnen
Fairness muss sein: Etwas Illegales hat Sigmar Gabriel nicht gemacht.
[1][Dass sich der Ex-SPD-Chef, wie er selbst bestätigt, entschieden hat,
von März bis Mai 2020 den mittlerweile höchst umstrittenen
Fleischproduzenten Tönnies zu beraten]; dass er dafür monatlich 10.000 Euro
einstrich und dazu ein vierstelliges Honorar für jeden Reisetag – er darf
das. Seine privatwirtschaftlichen Tätigkeiten nach seiner Politikkarriere
unterliegen keiner Veröffentlichungspflicht. Aber da hört das Verständnis
auch auf.
Sigmar Gabriel geißelte noch 2015, in seiner Zeit als
Bundeswirtschaftsminister, das System der Fleischindustrie als „Schande für
Deutschland“ und prangerte – zu Recht – die Ausbeutung osteuropäischer
Arbeitskräfte an. Nur hat sich in den letzten fünf Jahren, wie wir alle am
Beispiel Tönnies erfahren haben, an den miserablen Arbeitsbedingungen und
Wohnverhältnissen der osteuropäischen Arbeiter*innen wenig geändert.
Dass Gabriel ausgerechnet für diesen Konzern gearbeitet hat, in dem Mensch
und Tier für den maximalen Profit ausgebeutet werden, schadet auch
rückwirkend seiner politischen Glaubwürdigkeit.
Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek bringt das so auf den Punkt:
„Sigmar Gabriel hat bei Tönnies nach Schröder’scher Manier die Hand
aufgehalten – nach dem Motto: Man nimmt mit, was man kriegen kann.“ Dass
ausländische Arbeitskräfte Schweine schlachten, schlecht bezahlt und mies
behandelt werden in Jobs, die sonst niemand machen will, während der
Konzern für einen Ex-Politiker so tief in die Tasche greift, ist ein
Sinnbild der sozialen Spaltung in diesem Land. Und das alles, während
über Grundrente und Mindestlohnerhöhungen im Centbereich gestritten wird.
Wer kann das noch nachvollziehen?
## „Aufrechte Sozialdemokraten“
Sigmar Gabriel ist bei Weitem nicht der Erste, der nach seiner
Politikkarriere durch kritikwürdige Wirtschaftsarbeit auffällt. Es ist erst
einen Tag her, dass [2][Ex-Kanzler Schröder als Gazprom-Lobbyist im
Bundestag aufgetreten ist]. Doch Gabriel verkörpert – ähnlich wie Schröder
– das Dilemma der Sozialdemokraten. Auf dem SPD-Bundesparteitag 2009 in
Dresden, wo sich Gabriel dazumal als neuer starker Mann in der Partei
feiern ließ, sagte er noch: „Wir dürfen uns nicht in die Vorstandsetagen
und Sitzungsräume zurückziehen.“ Und: „Wir müssen dahin, wo es laut ist,
dahin, wo es brodelt, dahin, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch
stinkt.“ Gewissermaßen ist Gabriel ja auch da hingegangen, wo es brodelt
und stinkt, nur leider auf der falschen Seite.
Tragisch ist, dass er, wie auch Schröder, nicht aus reichen Verhältnissen
kommt. Beide hätten per Biografie Glaubwürdigkeit genießen, eine sozial
gerechtere Politik verkörpern können. Für die SPD-Parteivorsitzenden Saskia
Esken und Norbert Walter-Borjans, die um einen mehr linken Kurs bemüht
sind, bedeutet die Neuigkeit einen enormen Imageschaden. Sie distanzieren
sich: „Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren
Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand
hält.“
Ganz so einfach sollten die beiden es sich nicht machen. Denn die Sache
berührt noch auf ganz andere Weise den Kern sozialdemokratischer Politik.
Dass ausgerechnet Aufsteiger*innen den inneren Kompass verlieren, erzählt
vielleicht etwas über gesellschaftliche Strukturen im Land. Warum ist
Aufstieg hier so schwer? Warum ist er oft von Entfremdung begleitet? Wenn
die SPD zukunftsfähig sein will als Partei, in der sich Arbeiter*innen
wiederfinden, dann muss sie sich diese Fragen stellen. Gabriel als Geist
der Vergangenheit abzutun ist zu simpel.
2 Jul 2020
## LINKS
[1] /Umstrittener-Fleischkonzern/!5697885
[2] /Schroeder-im-Wirtschaftsausschuss/!5693456
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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