# taz.de -- Streitpunkt Freihandel: Mercosur-Abkommen stoppen | |
> Vor einem Jahr kündigten Bolsonaro, Macri, Macron und Merkel den „größten | |
> Wirtschaftsraum der Welt“ an. Doch aus dem Abkommen wird wohl nichts. | |
Bild: Zerstörter regenwald bei Port Velho, Rondonia, Brasilien | |
Seit jeher ist Exportweltmeister [1][Deutschland der vehementeste | |
Verfechter der sogenannten Freihandelsabkommen]. Während der | |
EU-Ratspräsidentschaft wollte die Bundesregierung denn auch zwei | |
transatlantische Handelsverträge vorantreiben – ein TTIP light und das vor | |
Jahresfrist bombastisch proklamierte „Assoziationsabkommen“ mit der | |
südamerikanischen Zollunion Mercosur. | |
Doch [2][mit Corona haben sich die Prioritäten verschoben]: Angesichts der | |
Systemkrise ist die Maxime von Angela Merkel und Emmanuel Macron nun, die | |
neoliberale EU zu retten. Unter dem Motto „Global Europe“ versucht die | |
EU-Kommission bereits seit 2006, „ihre“ Firmen wettbewerbsfähiger zu machen | |
und die Länder des Südens als Rohstofflieferanten und Abnehmer von | |
EU-Agrarüberschüssen festzuzurren, etwa durch „Freihandels“-Abkommen. Wie | |
die Attac-Pionierin Susan George sprechen wir jedoch lieber von | |
Vampirverträgen – kommen sie ans Tageslicht, steht es schlecht um sie, | |
einer demokratischen Debatte halten sie nur selten stand. | |
EU-Mercosur ist dafür ein Lehrbeispiel. 1999, als der Neoliberalismus in | |
Südamerika seinen Zenit bereits überschritten hatte, wurde das Projekt in | |
Rio aus der Taufe gehoben. Doch dann kam die rosarote Welle mit Lula da | |
Silva in Brasilien, Néstor Kirchner in Argentinien und Hugo Chávez in | |
Venezuela. Unter dem Jubel sozialer Bewegungen gelang es den drei | |
Linkspolitikern 2005 im argentinischen Mar del Plata, in Anwesenheit von | |
George W. Bush, ein anderes neoimperiales Projekt zu begraben: die | |
Freihandelszone FTAA von Alaska bis Feuerland. | |
Das neue Selbstbewusstsein in Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay | |
machte einen asymmetrischen Deal auch mit der Europäische Union undenkbar, | |
die Verhandlungen dümpelten lange vor sich hin. Umgekehrt öffnete die EU | |
aus guten Gründen dem Rindfleisch und dem Gensoja aus dem Mercosur nie | |
grenzenlos ihre Tore. An diesem Sachverhalt ändert auch eine „strategische | |
Partnerschaft“ zwischen Deutschland und Brasilien seit 2008 nichts. | |
## Entwurf nur in Umrissen bekannt | |
Mit dem kalten Putsch gegen Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff 2016, der | |
skandalösen Verurteilung und Inhaftierung Lulas und dem darauffolgenden | |
Sieg von Jair Bolsonaro wendete sich das Blatt: Mit dem Amtsantritt des | |
Rechtsextremisten Anfang 2019 – in Argentinien regierte noch der | |
neoliberale Unternehmer Mauricio Macri – liefen die Verhandlungen plötzlich | |
auf Hochtouren. Nach gerade sechs Monaten stand ein Entwurf im Raum, der | |
bis heute nur in Umrissen bekannt ist. Dennoch feierten Bolsonaro, Macri, | |
Macron und Merkel auf dem G-20-Gipfel in Osaka Ende Juni 2019 die | |
politische Einigung – auch als Signal gegen rechten Protektionismus à la | |
Trump. | |
Mit diesem Deal würde die Rekolonialisierung Südamerikas weiter | |
vorangetrieben. Dies aber liegt weder im Interesse der Bevölkerungen | |
beiderseits des Atlantiks noch der Natur, wie [3][Studien von Misereor, | |
Greenpeace] oder der Europa-Grünen zeigen. Sollte er unterzeichnet und | |
umgesetzt werden, wäre dies vor allem ein Triumph der transnationalen | |
Konzerne und ihrer Profitlogik. | |
Seit 1492 interessieren Europa an Lateinamerika vor allem Ressourcen wie | |
Gold, Edelholz, heute auch Lithium. Nach den Emanzipierungsversuchen der | |
nuller Jahre sollen auch die Mercosur-Länder weiter „reprimarisiert“ | |
werden. Von einer schrittweisen Senkung der Zollschranken würden dort | |
bestenfalls das Agrobusiness und der Importsektor profitieren. | |
Arbeiter:innen, Kleinbäuer:innen und Indígenas hingegen würden die | |
Festschreibung des Sklavenhalterkapitalismus mit der weiteren Zerstörung | |
ihrer Rechte und Lebensgrundlagen bezahlen. | |
Die geplante Liberalisierung des Handels würde Lohndrückerei und | |
Stellenabbau verschärfen, die Konzerne sollen laut EU-Kommission jährlich 4 | |
Milliarden Euro Abgaben einsparen. Neue Geschäftsmöglichkeiten versprechen | |
sie sich auch im Telekom- und IT-Bereich. Neben einer auch ökologisch | |
unsinnigen Ausweitung des Welthandels beharren die EU-Verhandler auf | |
verschärftem Patentschutz, was die Versorgung der Südamerikaner:innen, etwa | |
mit bezahlbaren Generika, aushöhlen würde. Bei Regierungskäufen im | |
Mercosur, die oft zur Stärkung einheimischer Firmen genutzt werden, sollen | |
EU-Multis gleichberechtigt mitspielen können. Für Mitverantwortung bei | |
Umweltverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen aber sind weiterhin keine | |
Sanktionen vorgesehen. | |
## Leichtes Spiel mit neoliberalen Regierungen | |
Mit den neoliberalen Regierungen Brasiliens, Paraguays und Uruguays hat die | |
EU leichtes Spiel. Auch wenn sie von der Deutsch-Brasilianischen | |
Handelskammer hofiert werden: Es ist skandalös, dass der | |
menschenverachtende Regenwaldzerstörer Bolsonaro und seine Militärs Partner | |
eines demokratischen Europas sein sollen. Anders Argentinien: Seit Dezember | |
2019 regiert dort mit Präsident Alberto Fernández ein besonnener | |
Sozialdemokrat. Wie sein alter Freund Lula wünscht er Beziehungen auf | |
Augenhöhe und wird deshalb von den meist konservativ ausgerichteten Medien | |
ignoriert – oder als Totengräber des Mercosur geschmäht. | |
Die Zerstörung nicht nur des Amazonasgebietes, sondern auch der | |
artenreichen Ökosysteme Cerrado und Chaco, ist schon jetzt dramatisch, sie | |
müssen lebensfeindlichen Monokulturen weichen. Bayer-Monsanto aber will | |
noch mehr Gensaatgut und Agrargifte verkaufen, Tönnies & Co. importieren | |
Gensoja. BMW, Daimler und VW, dessen brasilianisches Management bereits vor | |
knapp 40 Jahren mit den Folterern der Militärdiktatur zusammenarbeitete, | |
würden langfristig nicht mehr argentinische, sondern chinesische Autoteile | |
verwenden. | |
Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein neokoloniales, menschen- und | |
umweltfeindliches Projekt, ja ein einziger Anachronismus – und deswegen | |
wird es scheitern. | |
3 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Abkommen-von-EU-und-Mercosur-Staaten/!5631890 | |
[2] /Streit-um-Freihandel-und-Coronavirus/!5682533 | |
[3] /Kritik-an-Freihandelsabkommen/!5693227 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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