| # taz.de -- Linke Globalisierungskritik: Aus Versehen Hand in Hand | |
| > Auch Nationalisten wie Trump lehnen große Freihandelsabkommen meist ab. | |
| > Das sollte Progressiven zu denken geben. | |
| Bild: Mercosur könnte die Abholzung des Regenwaldes vorantreiben befürchtet d… | |
| Was haben das katholische Hilfswerk Misereor und Donald Trump gemeinsam? | |
| Oft lehnen sie internationale Handelsabkommen ab. Die Kirchenorganisation | |
| aus Aachen warnt davor, den geplanten Vertrag zwischen der Europäischen | |
| Union und den südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay | |
| sowie Uruguay zu unterschreiben. Der Nochregierungschef aus Washington hat | |
| das EU-USA-Handelsabkommen TTIP auf Eis gelegt und trat aus einer | |
| Vereinbarung mit pazifisch-asiatischen Staaten (TPP) aus. | |
| Wie halten wir es mit der Globalisierung? Diese Frage ist gerade wieder | |
| sehr aktuell. Manche EU-Mitgliedsregierungen, Grüne und | |
| Gewerkschafter:innen warnen vor dem geplanten Freihandelsabkommen mit | |
| den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Es fördere die Abholzung des | |
| Amazonaswaldes, lautet ein Argument. | |
| Auch Rechte und Nationalisten wie Trump kritisieren die Globalisierung. | |
| Gewiss lehnen sie den grenzüberschreitenden Wirtschaftsaustausch und | |
| internationale Abkommen aus anderen Gründen ab als Linksliberale. Viele | |
| Leute bei Misereor betrachten Trump und die antidemokratischen | |
| Organisationen, die ihn unterstützen, als politische Gegner. Wenn | |
| Progressive im Ergebnis jedoch dasselbe fordern wie Rechte, sollten sie | |
| sich Gedanken machen. Fortschrittsorientierte Menschen müssen den | |
| Welthandel heute nicht nur vor rechten Globalisierungskritikern in Schutz | |
| nehmen, sondern auch vor China. | |
| Wie Misereor und Greenpeace das umstrittene Abkommen sehen, haben sie in | |
| ihrer Studie [1][„EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und | |
| Menschenrechte“] dargelegt. Demnach fördert der Vertrag zunehmende Exporte | |
| von Soja, Zucker, Bioethanol, Rind- und Geflügelfleisch, Kohle und | |
| Metallerzen aus den südamerikanischen Staaten nach Europa. Die | |
| dahinterstehende industrielle Wirtschaftsstruktur wirke als „Haupttreiber | |
| der Abholzung des Amazonasregenwaldes, Treibhausgasemissionen, | |
| Landvertreibungen und Menschenrechtsverletzungen“. Die Leidtragenden seien | |
| vor allem die indigenen und armen bäuerlichen Landbewohner:innen. | |
| „Verbindliche Menschenrechts- und Umweltstandards sowie effektive | |
| Durchsetzungsmechanismen sucht man in dem Abkommen vergebens“, heißt es. | |
| In Europa würden davon unter anderem die Fleischkonzerne profitieren. Weil | |
| im Zuge des Abkommens Steuern und Zölle für Export und Import sänken, | |
| erhielten die Firmen beispielsweise billigere Futtersoja aus dem Mercosur. | |
| Auch hiesige Chemieunternehmen wie Bayer und BASF könnten sich freuen. Sie | |
| rechneten mit zunehmenden Exporten von Pestiziden nach Südamerika, von | |
| denen viele in Europa verboten sind. Fazit von Misereor und Greenpeace: | |
| „Die postkoloniale Rollenteilung zwischen lateinamerikanischen | |
| Rohstoffexporteuren und europäischen Herstellern von Industrieprodukten | |
| würde einmal mehr zementiert.“ | |
| ## WG-Konsens, gepaart mit Befreiungstheologie | |
| Ein guter Teil dieser Kritik erscheint plausibel. Was aber folgt daraus? | |
| Misereor formuliert unrealistische, maßlose Forderungen, wie ein guter | |
| Vertrag aussehen müsste. Da ist etwa die Rede von einem „partizipativen | |
| Prozess unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft“ und „einer ebenso | |
| inklusiven Diskussion der geeignetsten Instrumente, um als besonders prekär | |
| identifizierte Handelsbeziehungen zu transformieren“. Heißt: Bevor eine | |
| Entscheidung fällt, müssen alle Betroffenen zustimmen. | |
| Das ist Wohngemeinschaftskonsens, gepaart mit Resten von | |
| Befreiungstheologie, die Misereor-Aktivist:innen in den 1980er Jahren aus | |
| Nicaragua und El Salvador mitbrachten. Solche paradiesischen Bedingungen | |
| erfüllt die Organisation bei internen Entscheidungen vermutlich nicht | |
| einmal selbst. Wie sollen so internationale Verhandlungen möglich sein? | |
| Aufgeweckte Globalisierungskritiker:innen müssten stattdessen gangbare Wege | |
| vorschlagen, um den Regierungen konkrete Verbesserungen abzuverlangen. | |
| Misereor dagegen igelt sich in seiner grundsätzlichen Ablehnung von Handel | |
| und Handelsabkommen ein. | |
| Rechte und linke Globalisierungskritik widersprechen sich zwar | |
| grundsätzlich. Rechte befürworten exklusive Wirtschaftsbeziehungen | |
| zugunsten des eigenen Volkes, Linke fordern inklusive Strukturen, um | |
| soziale und ökologische Gerechtigkeit für alle im Norden und Süden zu | |
| erreichen. Solche Unterschiede gehen in der öffentlichen Auseinandersetzung | |
| aber oft unter. Im Ergebnis bleibt dann eine globalisierungs- und | |
| kooperationsfeindliche Stimmung – Linksliberale und Rechtsnationalisten aus | |
| Versehen Hand in Hand. | |
| Setzten sich die Gegner:innen des Mercosur-Abkommens durch, verzichtete die | |
| EU auf eine Möglichkeit, Einfluss auf die brasilianische Regierung unter | |
| Präsident Bolsonaro auszuüben. Weniger Handel mag auch weniger Wohlstand | |
| bedeuten, hier wie dort. Denn selbst Importe und Exporte, die nicht | |
| höchsten Kriterien genügen, bringen Entwicklungs- und Schwellenländern | |
| Geld, das sie an arme Bevölkerungsgruppen verteilen können. Mit seinen | |
| Programmen zur Unterstützung von Familien mit niedrigen Einkommen hat es | |
| der linke brasilianische Staatspräsident Lula in den 2000er Jahren | |
| vorgemacht. | |
| Globalisierung ist im Übrigen nicht nur eine Entwicklungs-, sondern auch | |
| eine Macht- und Souveränitätsfrage. Kürzlich gelang es der chinesischen | |
| Regierung, ein Freihandelsabkommen (RCEP) mit 15 Staaten zu konstruieren, | |
| darunter Australien, Japan und Neuseeland. Dem autoritären Regime der | |
| zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt bietet der Vertrag die Möglichkeit, | |
| internationale Handelsbeziehungen nach seinen Wünschen zu formen. | |
| Eigentlich waren die USA schneller gewesen: Das TPP-Abkommen versammelte | |
| einige RCEP-Staaten plus Kanada, Mexiko, Peru und Chile. Doch dann stieg | |
| US-Präsident Trump aus. China verbucht nun einen Einflusszuwachs auf Kosten | |
| der USA. | |
| Das ist eine Warnung. Die heutigen Handelsbeziehungen der großen westlichen | |
| Staaten mögen teilweise soziale Ungerechtigkeit fördern und zu ökologischer | |
| Zerstörung beitragen. Immerhin bieten sie aber Möglichkeiten des | |
| Fortschritts, was mit dem Einfluss einer unabhängigen, demokratischen | |
| Opposition und Öffentlichkeit ebenso zu tun hat, wie mit dem | |
| grundsätzlichen Funktionieren des Rechtsstaates. In den USA und Europa sind | |
| Rechte, die verletzt werden, wenigstens einklagbar. Von dieser relativen | |
| Sicherheit könnte man in einer chinesisch beherrschten Welt nicht ausgehen. | |
| 29 Nov 2020 | |
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| [1] https://www.misereor.de/presse/pressemeldungen-misereor/neue-studie-zum-mer… | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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