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# taz.de -- Die Wahrheit: Kunst ohne Kontaktlinsen
> Claude Monet war wohl doch nicht der Ernstler, als der er gern
> dargestellt wird. Der Impressionist war eher eine wundervolle Hurratüte.
Kunst soll ja angeblich aus Schmerz entstehen. Mit dem Vorurteil im Kopf,
ein Künstler müsse tüchtig leiden, um etwas von bleibendem Wert zu
schaffen, besuchte ich neulich eine Monet-Ausstellung. Die Werke des
bedeutenden französischen Impressionisten sind zwar thematisch selten meine
Welt (Heuhaufen!), aber sein Stil ist immer eine hübsche Erinnerung daran,
wie die Umgebung ohne Kontaktlinsen aussehen würde.
Über das Leben des Mannes erfuhr man in der umfassenden Werkschau nur
Eckpunkte – er wurde 1840 in Paris geboren, lebte später in der Normandie
und reiste unter anderem zur Mittelmeerküste, nach Holland, England und
Spanien. Wie alle Menschen, die vor 1950 fotografiert wurden, schaut er auf
den wenigen Fotos, die von ihm existieren, ernst und gefasst in die Kamera.
Doch hinter dem würdigen Bart scheint sich eine echte Hurratüte zu
verbergen. Denn die Ausstellung präsentiert einiges von Monets
Korrespondenz, und die birgt Überraschendes. Als er das erste Mal die
kleine Stadt Giverny besucht, schreibt er begeistert von wunderschöner
Landschaft und leuchtenden Farben. Später, auf der Reise nach Amsterdam, in
etwa: So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen! London: Das ist
wunderbar, die schönste Stadt, die ich je gesehen habe! Spanien: Das gibt
es doch gar nicht – sooooo schön ist es hier! Schöner als alles, was ich
vorher gesehen habe!
Um herauszubekommen, ob der Eindruck täuscht, habe ich mich weiter in
Monets Biografie eingelesen: Er habe sehr gern gegessen, heißt es in einem
Kochbuch namens „Zu Gast bei Claude Monet“, gemeinsam mit zwei Freunden
habe er an einem „goldenen Morgen“ in Paris einst zwanzig Dutzend (!)
Austern verspeist. Des weiteren habe er regelmäßig Arien aus „Carmen“
geschmettert und sei bei jeder Erwähnung seines Chauffeurs Sylvain mit
einer Passage aus der Oper „Das Glöckchen des Eremiten“ um die Ecke
gekommen, nämlich „Sylvain m’a dit je t’aime!“, ein Satz, der hervorra…
zu einer geschwellten Brust passt.
Wer weiß, ob die anderen großen Maler, die man stets mit Leid und Wahnsinn
in Verbindung brachte, nicht auch heimliche Frohnaturen und Spaßvögel
waren? Unter diesem Aspekt werde ich noch einmal eines der Bilder Vincent
van Goghs genauer betrachten, das im Mai 1890, zwei Monate vor seinem Tod,
entstandene Porträt „An der Schwelle zur Ewigkeit“.
Ein Mann sitzt zusammengesunken auf einem Stuhl und drückt sich die Fäuste
an den Kopf, sie verdecken sein Gesicht. Auf den ersten Blick riecht das
Werk nach Verzweiflung – van Gogh, zu dessen Lebzeiten nur ein einziges
seiner Bilder verkauft wurde, hatte einen Krankenhausaufenthalt, einen
Suizidversuch, die Sache mit dem Ohr und Gauguin hinter sich, als er es
malte. Doch es ist eine tröstliche Vorstellung, dass van Gogh seinem Modell
vielleicht gerade einen fiesen Witz über Gauguins Schnauzer erzählt hat.
Und der Gemalte sich heftig eins ins Fäustchen lacht.
3 Jul 2020
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Claude Monet
Kunst
Humor
Kolumne Die Wahrheit
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Automobilbranche
Schwerpunkt Coronavirus
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