# taz.de -- Die Wahrheit: Es saugt und bläst der Milliardär | |
> Was macht eigentlich der Erfinder des beutellosen Staubsaugers in seinem | |
> Hochhaus-Apartment, wenn die Kinder mal den Schlüssel vergessen haben? | |
In einem Wartezimmer-Käseblatt las ich neulich eine Reportage über jenen | |
Staubsauger-Mogul, der den Staubsauger ohne Beutel erfunden hat. Ganz klar | |
ist mir zwar nicht, wo der viele Staub, die vielen, vielen Legosteine und | |
die vielen, vielen, vielen Ohrringverschlüsse hingehen, wenn nicht in den | |
Beutel, aber ich kann mir sein Produkt leider nicht leisten, um | |
nachzuforschen. | |
Es ist teuer – schließlich ist er damit nicht von ungefähr Milliardär | |
geworden. Der saubere Industrielle residiert abwechselnd in verschiedenen | |
Villen in verschiedenen Ländern, jede von ihnen hat etwa die Größe einer | |
Napola; dazu besitzt er neuerdings auch noch ein Apartment in der „Park | |
Avenue 520“, einem Wolkenkratzer auf der Upper East Side Manhattans. | |
Man würde jetzt gern wissen, ob Teppich in seiner Wohnung liegt und ob er | |
diesen aus reiner Dankbarkeit selber absaugt, aber reiche Leute sind ja | |
sehr privat. Vermutlich ist er so privat und hat solche Angst vor | |
missgünstigen, neugierigen Journalistinnen wie mir, dass er nicht mal eine | |
Reinigungskraft hat, und weil er – wie ich – keine Zeit zum Staubsaugen | |
findet, nutzt er einen Saugroboter seiner eigenen Marke. Wahrscheinlich ist | |
der Saugroboter öfter zu Hause als der Milliardär. | |
Das Käseblatt hat leider nur dürftige Angaben über seinen Familienstand | |
gemacht, ich hoffe jedenfalls, dass er keine kleinen Kinder beaufsichtigen | |
muss, die auf dem Weg zum Spielplatz ihren Haustürschlüssel oben im Loft | |
vergessen haben und dann unten klingeln, damit jemand ihn runterwirft, die | |
ganzen 238 Meter. Im gleichen Kiez steht übrigens auch ein Wolkenkratzer | |
namens „432 Park Avenue“, und wenn dort ein Milliardärskind seinen | |
Schlüssel vergisst, müssen die Eltern oder der Saugroboter ihn 426 Meter | |
runterwerfen. | |
Was mich neben der Höhe fasziniert, ist der Fakt, mit einer Putzidee so | |
viel Geld zu verdienen, dass man in diesen Hochhäusern residieren kann. | |
Vielleicht ist mein eigener finanzieller Zustand nur der Tatsache | |
geschuldet, dass ich so selten putze und mir darum keine genialen Einfälle | |
wie „Saugen ohne Beutel“ kommen, also etwa „Spülen ohne Wasser“. | |
Dabei besaß ich tatsächlich mal einen Saugroboter, allerdings einen sehr | |
kleinen, markenlosen. Als ich ihn das erste und letzte Mal einsetzte, ging | |
ihm nach zwei Minuten Saugens an einem Kekskrümel die Puste aus und er | |
verkeilte sich in einem Schuhhaufen. Vermutlich hatte ich ihm nicht genug | |
Platz gemacht – vor dem Staubsaugen kommt das leidige Aufräumen. | |
Ich finde die Vorstellung aber noch immer malerisch, dass bei meiner | |
Abwesenheit (oder bei der Abwesenheit des Staubsaugermilliardärs) ein | |
kleiner Saug-roboter durch meine vermüllte Wohnung (oder das schnieke | |
Park-Avenue-Loft) fährt und nach dem Rechten sieht. So wie der Roboter | |
Dewey, der in der letzten Szene von „Lautlos im Weltraum“ allein in der | |
verlassenen Raumschiffkuppel herumwackelt und die Blumen gießt. Die | |
Langlebigkeit der Technik ist tröstlich. | |
4 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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