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# taz.de -- Die Wahrheit: Sektflöten für Spargelstecher
> Routinen helfen gegen die Langeweile und Traurigkeit in der Corona-Krise
> – und selbstverständlich große Gläser mit Prickelwasser.
Der Vater einer Freundin ist Bauer im Westfälischen und nennt eine kleine
Viehherde sein eigen. Wenn er auf dem knatternden Moped in den Weg
einbiegt, der an der Weide entlang führt, sammeln sich die Kühe am
Weidentor und warten vorfreudig muhend auf den Melker mit den warmen
Händen.
Das im Hinterkopf, tun einem die unbesuchten Zootiere dieser Tage doppelt
leid: Da hat es so lange gedauert, die Gefangenen an den Knast zu gewöhnen
– und jetzt nimmt man ihnen das Einzige, was einen laut Astro-Alex und
seiner Isolationsexpertise als Ex-ISS-Bewohner am Leben erhält: die
Routine. Auch wenn diese nur daraus besteht, die starrenden Besucher
geflissentlich zu übersehen.
Doch Routinen sind momentan wichtig. Allerdings muss man sie den Umständen
anpassen. Ich habe mir darum einen Plan erstellt, den ich seit zwei Wochen
einhalte. Zugrunde liegt die vom britischen Frühsozialisten Robert Owen um
1810 ausgerufene Forderung nach dem „Achtstundentag“, die von der
Arbeiterbewegung übernommen wurde. Bei meinem eigenen Achtstundentag
bestimme ich, in der Tradition moderner Avantgarde-Komponisten wie La Monte
Young, die Stundenlänge selbst – eine Stunde kann so bis zu 180 Minuten
lang sein, je nachdem, womit ich sie verbringe. Wenn sich tatsächlich
irgendwo ein Job auftun sollte wie das drohende Spargelstechen, das ich
mithilfe eines YouTube-Tutorials lerne, werden die Stunden kürzer; bereitet
mir etwas Vergnügen, dehne ich sie aus.
Die Tage folgen so einer angenehmen Routine: Morgens stelle ich mich ein
(langes) Stündchen sinnierend mit einer Tasse Tee ans Fenster und gucke
dabei wie in Oversized-Strickjacken gewickelte Frauen in Werbeclips. Danach
beschäftige ich mich mit der Welt- und der Auftragslage. Beides stimmt mich
traurig, so dass ich die Laune ein (langes) Stündchen mit befriedigenden
Dingen wie dem Abmelden von Newslettern hebe. Ein weiteres (langes)
Stündchen geht für die Recherche drauf – auch in diesen Zeiten fühle ich
als Film-, Musik- und Medienjournalistin eine Verpflichtung gegenüber der
Kultur. Den Rest der Sonnenstunden pauke ich den Unterschied zwischen
Stechmessern für die „neue“ oder die „klassische“ Stechtechnik. Und sc…
ist Abend, und ich gönne mir Freizeit, so wie Robert Owen das ebenfalls
forderte.
Passend zu den individuellen Stundenlängen meiner Routine habe ich die
Normen weiterer Dinge um mich herum neu interpretiert – ich nutze dieser
Tage gern Sektflöten, in die statt der 0,2 satte 0,75 Liter hineingehen,
und treffe mich abends über Videochat mit meinen Freunden auf das eine oder
andere routinierte Gläschen.
Wenn der Spuk vorbei ist, werde ich als Erstes in den Zoo gehen und dort
Tiere anstarren. Meinen Job auf dem Feld wird dann wohl der neue
Spargelroboter aus den Niederlanden übernehmen. Aber den sehen wir
Erntehelfer kritisch.
3 Apr 2020
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Langeweile
Melancholie
Claude Monet
Kolumne Die Wahrheit
Automobilbranche
Schwerpunkt Coronavirus
Blumen
Nikotin
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