# taz.de -- Fotoausstellung in Chemnitz: Der Zeitgeist kichert vor Vergnügen | |
> In Chemnitz kann man dem subversiven Witz der Künstlergruppe Clara Mosch | |
> wieder begegnen. In der DDR wurde sie misstrauisch überwacht. | |
Bild: Die Mitglieder von Clara Mosch bei der Aktion Tripel Spiegelei (Pleinair … | |
Es gab nicht nur die vier gefeierten und auch angefeindeten Großmaler in | |
der DDR. Neben Heisig, Tübke, Mattheuer und Sitte existierte immer auch | |
eine alternative Szene. Besonders kreativ war sie ausgerechnet in | |
Chemnitz, zu Zeiten als es Karl-Marx-Stadt hieß. Da hatte sie von 1977 bis | |
1982 sogar einen irgendwie altmodisch klingenden eigenen Namen: Clara | |
Mosch. | |
Mit ihr verhielt es sich wie mit so manch anderem: die Dame gab es in | |
Wirklichkeit gar nicht. Clara Mosch war ein Pseudonym, zu dem die | |
miteinander befreundeten Künstler Carlfriedrich Claus (1930–1998) die | |
Buchstaben CLA, Thomas Ranft (*1945) und Dagmar Ranft-Schinke (*1944) das | |
RA, Michael Morgner (*1942) das MO und Gregor-Torsten Schade (*1948, seit | |
1980 Kozik) das SCH beisteuerten: Clara Mosch. Dieses Phantom, das | |
Ausstellungen und andere Events veranstaltete, war der Staatssicherheit der | |
DDR von vornherein suspekt. Und wie sich herausstellen sollte, einen | |
riesigen Überwachungsaufwand wert. | |
Die Stadt Chemnitz hat sich nicht erst in den letzten zwei Jahrzehnten | |
unter der beherzten Führung von Ingrid Mössinger einen bemerkenswerten Ruf | |
als Kunststandort erarbeitet, mit dem Kunstmuseum gleich neben der Oper und | |
der Sammlung Gunzenhauser in einem ehemaligen Bankgebäude. Einen guten Ruf | |
in der Kunst hatte die Stadt schon, als sie noch den Namen von Karl Marx | |
trug. | |
Nicht unbedingt staats- oder parteioffiziell wie die | |
Kunsthochschulstandorte Leipzig, Dresden, Berlin oder auch Halle. Aber für | |
Kunstfreunde und Sammler. Die Auktionen der Galerie Oben waren ein | |
(Pflicht-)Geheimtipp. So wie es die Clara-Mosch-Künstler jeder für sich | |
waren. Und es nach wie vor sind. | |
Ein Jahr nach der Biermann-Ausbürgerung, die in der Szene den Anfang vom | |
Ende (der DDR) einläutete, also 1977, gründeten diese Künstler eine eigene, | |
vom Kulturbund offiziell mitgetragene [1][Produzentengalerie mit dem | |
harmlos klingenden Kunstnamen]. Sie hielten dieses ungewöhnliche Projekt | |
abseits des Staatlichen Kunsthandels immerhin fünf Jahre bis 1982 durch. | |
In dieser Zeit kamen gemeinsame Mappen, Mail-Art-Projekte und viele | |
Aktionen in der freien Natur zustande. Nicht im Lichtkegel der offiziellen | |
Aufmerksamkeit – aber: auf der Höhe der Zeit. | |
Das Besondere daran: Der Große Bruder hörte mit bzw. ließ mitfotografieren. | |
Der mit den Künstlern befreundete Fotograf Ralf-Rainer Wasse (1942–2017) | |
dokumentierte – so wie es alle Künstler:innen machen oder machen lassen, | |
bei denen es um die Aktion geht – sämtliche Projekte mit der Kamera. | |
Als ambitionierter Fotograf und quasi Teil der Gruppe. Aber zugleich in | |
einem geheimen Nebenjob auch für das Ministerium. Es ist schon eine | |
verschmitzte Pointe der Geschichte, wie diese „Arbeit“ für die Akten, | |
letztlich wider Willen, von der Überlegenheit der Kunst kündet. | |
## 120 Inoffizielle Mitarbeiter waren auf sie angesetzt | |
Weil der Staat die Kunst so ernst nahm, dass ihm seine Künstler als | |
potenzielle Gegner verdächtig und sage und schreibe 120 Inoffizielle | |
Mitarbeiter wert waren, sind ihre spektakulären Kunstaktionen auf seine | |
Rechnung umfassend dokumentiert. Hört man den Zeitgeist nicht förmlich in | |
der Kulisse vor Vergnügen kichern, dass auch dieses Konvolut von | |
Fotodokumentationen nach dem Verschwinden von Auftraggeber und | |
dazugehörigem Staat selbst Teil dieser Kunst geworden ist? Dass es | |
ausreicht, um eine ganze Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz daraus | |
zu machen? | |
So gibt es jetzt die fotografische und zum Teil filmische Dokumentation von | |
14 Clara Mosch Plainairs. Von Morgner und Ranft ist überliefert, dass sie | |
heute keinen Groll auf Wasse hegen. Da es nach eigener Aussage nicht zu | |
Repressionen führte, wissen sie sogar zu schätzen, dass es diese | |
Dokumentation gibt. | |
Was zu dieser Gelassenheit beim Blick zurück beiträgt, das ist wohl auch | |
die Pfiffigkeit, mit der die Chemnitzer die Staatsmacht in ihrem Umgang mit | |
Kreativität gleichsam vorführten. Abgesehen davon, war Wasse auch ein guter | |
Fotograf, dessen Bilder ihren künstlerischen Eigenwert haben. | |
Ob mit ihrer „Promenade Göhren“, bei der die Künstler 1979 nackt am Baum | |
(der Erkenntnis?) wuchsen, oder bei der Back-Aktion „Mehl Art“ von 1980, wo | |
das bloße Brotbacken den Genossen zum Rätsel wurde. Oder dann, als Michael | |
Morgner in „M. überschreitet den See bei Gallentin“ (1981) den Messias gab, | |
bei dem es eben nicht mit dem Gang übers Wasser klappte. | |
Das alles hatte subversiven Witz, den das gelernte DDR-Publikum zu | |
entschlüsseln wusste. Mit ihren Aktionen „Holzkreuz“ und „Baum verbinden… | |
trafen sie ziemlich zielsicher einen neuralgischen Punkt der DDR-Politik, | |
die eher per Dekret als mit echten Lösungen auf ihr Versagen in Sachen | |
Umwelt reagierte. | |
Heute gelten alle Clara-Mosch-Mitglieder, jedes für sich, als etablierte | |
Marken. Vor allem im Osten Deutschlands. Die hochinteressante und wie dort | |
üblich gut gemachte Chemnitzer Ausstellung macht auf doppelbödige Weise | |
Spaß. Und sie belegt, dass sich diese Künstler als Protagonisten einer | |
alternativen Kunstszene in der DDR zu behaupten verstanden. Mit den Mitteln | |
der Kunst. Also als ihr Triumph. | |
18 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
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