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# taz.de -- „Don Carlo“ in der Semperoper: Zeichen der Selbstbehauptung
> Mit dem Verdi-Blockbuster kehrt man in Dresden aus der
> Corona-Besucherpause zurück. Superstar Anna Netrebko begeistert darin als
> Elisabetta.
Bild: Anna Netrebko als Elisabetta und Sebastian Römisch an der Oboe
Einige Musikstädte wie Dresden trifft die Schließung der Opernhäuser
besonders hart. Die Semperoper und die Sächsische Staatskapelle gehören zum
Selbstverständnis der Stadt und ihrer Bürger. Da sind Zeichen der
Selbstbehauptung und kreative Lösungen für die sogenannte neue Realität
gefragt! Vor allem für die Orchester, die Chöre und die Sänger. Die
Zuschauer im Saal mit Sicherheitsabstand zu verteilen, ist das geringste
Problem.
[1][Die Semperoper] hat jetzt einen ersten Schritt in diese Richtung
gemacht und ihn demonstrativ „Aufklang!“ genannt. Mit einem Konzert der
Luxusklasse und etwa 300 im Handumdrehen verkauften Karten pro Vorstellung.
Das sind 1.000 weniger als unter normalen Bedingungen möglich, aber
immerhin besser als nichts.
Es ist ein Konzert der besonderen Art: Entlang eines Best-of zaubern nur
acht Musiker, eine Handvoll Sänger und eine Abordnung des Chores eine
Ahnung von Verdis „Don Carlo“ vor die Ohren und das innere Auge der unter
Opernentzug leidenden Zuschauer. Und es funktioniert, weil man
Spitzenkönner der Sächsischen Staatskapelle mit jeweils einer Flöte, Oboe
und Violine sowie an einem Violoncello, Kontrabass und Harmonium zur
Verfügung hat.
Und einen Mann am Klavier wie Johannes Wulff-Woesten, der als Komponist den
Mut hatte, den Verdi-Blockbuster auf anderthalb Stunden einzudampfen und
obendrein das Geschick, diese Minibesetzung auf der Bühne vom Klavier aus
zu leiten.
## Erstklassige Besetzung
Semperopernintendant Peter Theiler hat zudem einen erstklassigen jungen
Bariton wie Sebastian Wartig für die Partie des Herzensfreundes des
Infanten und der Freiheit, Marquis von Posa, zur Verfügung, dazu kommen
eine elegant glutvolle Mezzosopranistin wie die Russin Elena Maximova und
der Bassist Tilmann Rönnebeck als König Philipp II. und Alexandros
Stavrakakis für den geheimnisvollen Mönch. Schon deshalb konnte er sich
ruhigen Gewissens auf dieses Abenteuer einlassen.
Um daraus aber einen enthusiastisch bejubelten Erfolg beim Publikum zu
machen, braucht’s einen strahlenden Prinzen und eine wirklich königliche
Königin. Die immerhin war zur Stelle: Anna Netrebko. Der Opernsuperstar
schlechthin. In Dresden hatte sie 2016 einen spektakulären Auftritt. Da
wagte sie ein Experiment, das sie dann in Bayreuth leider nicht
wiederholte. In der Semperoper gab sie im „Lohengrin“ ein exzellentes
Elsa-Debüt von tadelloser deutscher Diktion (da kann sie selbst sagen, was
sie will).
Die auch sie hart treffende Corona-Zwangspause beendete sie jetzt an der
Elbe mit einer fulminanten Elisabetta. Einstudiert hatte sie die Rolle für
die mit Dresden koproduzierte Inszenierung, die Vera Nemirova eigentlich zu
den in diesem Jahr ausgefallenen Salzburger Osterfestspielen präsentieren
wollte. Der konzertante „Rest“ wurde jetzt gleichwohl zu einem Zeichen der
Selbstbehauptung der Branche.
Weder überbordende Emotion aus dem Graben noch intellektuelles
Inszenierungsbeiwerk auf der Bühne wetteiferten diesmal mit den Einfällen
eines Genies wie Verdi und mit dem Wichtigsten, was Oper zu bieten hat, den
Stimmen. Die kundigen Zuschauer dürften Fehlendes aus der Erinnerung
ergänzt haben. Auf den Disput zwischen Philipp und Posa zu verzichten,
schmerzt allerdings doch. Ebenso wie die gestrichene Forderung Elisabettas
an ihren Mann nach Gerechtigkeit. Aber sei’s drum.
## Tenor-Pathos wie in einer Ritterrüstung
Wenn die Netrebko in ihrer schwarzen, silberbestickten Robe mit hoch
gestecktem Haar auftritt und zu singen anfängt, dann ist das alles
geschenkt. Selbst, dass ihr Ehemann Yusif Eyvazov (so schlank, dass man ihn
kaum wiedererkennt) den Don Carlo singt. Seinen gaumigen Start muss man
einfach überhören – das wird im Laufe des Abends besser. Sein Timbre bleibt
Geschmackssache. Tenor-Pathos wie in einer Ritterrüstung. Doch mit enormer
Kraft – den (höchst kultiviert singenden) Posa singt er schon mal an die
Wand.
Bei seiner Frau versucht er es gar nicht erst. Er hätte auch keine Chance.
Diese Donna Anna ist auch als Elisabetta schlichtweg überwältigend – mit
einer ausgebauten, bronzenen Tiefe als Fundament, von dem aus sie sich
mühelos in die Höhe aufzuschwingen vermag, um sich dann in ein Piano fallen
zu lassen.
So geht Verführung durch große Oper! Hinzu kommt, dass die Netrebko
eigentlich keine Inszenierung braucht. Ihr Charisma reicht allemal. Ohne
dass es aufgesetzt oder albern wirkt. Außerdem erweist sich die Netrebko
auch in diesem Konzert wieder einmal als eine mustergültige Teamplayerin.
Stehende Ovation. Ein alter Herr ruft in den Beifall „Wiederkommen!“ Recht
hat er.
22 Jun 2020
## LINKS
[1] /Ausgeladene-armenische-Sopranistin/!5654179
## AUTOREN
Joachim Lange
## TAGS
Oper
Dresden
DDR
Theater Berlin
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