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# taz.de -- Bewaffnete Nachtwächter in der Türkei: Auf in den Polizeistaat
> In der Türkei sollen Nachtwächter mit Polizeibefugnissen im Kiez
> patrouillieren. Die Opposition sieht darin ein neues
> Repressionsinstrument.
Bild: Setzt auf Law and Order: Präsident Recep Tayyip Erdoğan
Istanbul taz | Das türkische Parlament hat in der Nacht auf Donnerstag
mehrheitlich zugestimmt, sogenannte Bekçi-Einheiten mit knapp 30.000
Mitgliedern mit quasi polizeilichen Befugnissen auszustatten. Die
Nachbarschaftsnachtwächter, die immer einen bestimmten Kiez kontrollieren,
dürfen ab jetzt Personenkontrollen vornehmen. Sie sind bewaffnet und dürfen
Leute festnehmen beziehungsweise festhalten, bis die reguläre Polizei
kommt. Ihr Einsatz beginnt bei Sonnenuntergang und endet bei Tagesanbruch.
[1][Die Opposition] aus der sozialdemokratischen CHP, der rechtsnationalen
IYI Parti und der kurdisch-linken HDP hat vehement gegen dieses Gesetz
argumentiert. Sie sieht darin ein neues Überwachungs-und
Repressionsinstrument, das die Türkei wieder einen Schritt näher an einen
Polizeistaat bringt.
Mehrere Stunden konnte die Opposition eine Abstimmung verhindern,
zwischendurch kam es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen Abgeordneten der
CHP und der MHP. „Ein Nacht-Beobachtungshorror hat begonnen“, twitterte der
Abgeordnete der IYI Parti, Lütfü Türkkan.
Im Prinzip sind die Nachtwächter in der Türkei nichts Neues. Es gab sie
schon im Osmanischen Reich. Es waren zumeist ältere Herren, die unbewaffnet
durchs Viertel strichen und Diebe abschrecken sollten. Als völlig
antiquiertes Instrument wurden die Nachtwächter 2008 abgeschafft.
## Mit erweitertem Auftrag
Doch [2][nach dem Putschversuch 2016] reaktivierte Präsident Erdoğan die
Nachbarschaftswächter – dieses Mal mit erweitertem Auftrag. So sollen sie
zwar nach wie vor den Bürgern während der Nacht ein Sicherheitsgefühl in
unruhigen Zeiten vermitteln. Gleichzeitig werden die Nachbarschaftswächter
aber als eine Art Frühwarnsystem genutzt, die melden, in welchem Viertel
sich widerständisches Verhalten entwickelt.
Sie werden vor allem in den großen Städten in Istanbul, Ankara, Izmir und
im kurdischen Südosten, in Diyarbakır, Mardin und anderen Orten als
Hilfstruppe der Polizei eingesetzt. Auf dem Land ist nicht die Polizei,
sondern die Gendarmerie zuständig.
Seit 2016 setzen sich diese Kiezwächter oft aus jungen Männern zusammen,
die aus den Jugendorganisationen der regierenden AKP und der
ultranationalistischen MHP stammen. Sie werden jetzt mit Schusswaffen
ausgestattet, dürfen ab sofort Personenkontrollen durchführen und auch
Leute festnehmen, die sie dann später der zuständigen Polizei übergeben.
Sie erhalten eine Kurzausbildung von 40 Stunden und werden anschließend ein
Jahr als Kandidaten von der zuständigen Polizeiwache geführt, bevor sie
ihre Ernennungsurkunde als Kiezwächter bekommen.
## Von Erdoğan persönlich
Wie Innenminister Süleyman Soylu, der formal für die neue Hilfspolizei
zuständig ist, vor dem Parlament sagte, kam die Anregung für die Schaffung
der Nachbarschaftspolizei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich.
Viele Oppositionspolitiker befürchten auch deshalb, dass hier eine neue
Truppe geschaffen wird, die sich persönlich dem Präsidenten verpflichtet
fühlt und eher der Person als dem Gesetz gegenüber loyal ist.
Emma Sinclair-Webb, Sprecherin von Human Rights Watch in der Türkei, sagte
zu dem neuen Gesetz, sie beobachte mit Sorge, wie in der Türkei jeder
Lebensbereich mehr und mehr polizeilicher Überwachung unterworfen werde.
„Das sieht sehr bedrohlich aus“, sagte sie.
Vor allem in kurdischen Städten haben die Leute bereits schlechte
Erfahrungen mit ihren Nachbarschaftswächtern gemacht. Es gab mehrfach
Berichte, wonach Leute zusammengeschlagen oder unberechtigt festgehalten
wurden.
11 Jun 2020
## LINKS
[1] /Repression-in-der-Tuerkei/!5677586
[2] /Osman-Kavala-wieder-in-Haft/!5665045
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
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