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# taz.de -- Haftbefehle in der Türkei: Unerwarteter Schlag gegen die HDP
> Türkische Behörden haben Dutzende Haftbefehle gegen kurdische
> HDP-Mitglieder ausgestellt. Ein alter Konflikt wird neu aufgelegt.
Bild: Ayhan Bilgen, Oberbürgermeister von Kars, auf einem HDP-Kongress 2018 in…
Istanbul taz | Die türkische Polizei hat auf Anordnung der
Generalstaatsanwaltschaft in Ankara am Freitag Razzien in sieben Provinzen
durchgeführt, um Funktionäre, Mandatsträger und Aktivisten der
kurdisch-linken HDP zu verhaften. Insgesamt habe die Staatsanwaltschaft 82
Haftbefehle ausgestellt, meldete die halbstaatliche Nachrichtenagentur
Anadolu. Davon wurden 19 Personen bis zum Mittag bereits festgenommen.
Unter den Verhafteten sind einige bekannte HDP-Vertreter, wie die
Parteisprecherin Bermali Demirdögen bekannt gab. Der wichtigste von ihnen
ist der Oberbürgermeister von Kars, Ayhan Bilgen, einer größeren Stadt im
Nordosten der Türkei, nahe der Grenze zu Georgien.
Laut Staatsanwaltschaft sind der Grund für die Haftbefehle Demonstrationen
und Auseinandersetzungen in Diyarbakır und weiteren überwiegend von Kurden
bewohnten Städten im Oktober 2014. Damals hatte der „Islamische Staat“ (IS)
auf breiter Front die kurdische Großstadt [1][Kobane angegriffen], die auf
syrischer Seite direkt an der türkischen Grenze liegt.
Der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan verlegte daraufhin
Truppen an die Grenze, die aber nicht gegen den IS vorgingen, sondern
vielmehr kurdische Unterstützer daran hinderten, von der Türkei aus den
Kurden in Kobane zur Hilfe zu kommen.
## Warum jetzt?
Aus Protest gegen diese Politik gab es mehrere Tage lang heftige
Demonstrationen in verschiedenen kurdischen Städten, bei denen im Laufe der
Auseinandersetzungen insgesamt 40 Menschen ihr Leben verloren. Warum jetzt,
fast sechs Jahre nach den Ereignissen, erneut 82 Kurden deswegen angeklagt
werden, hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht verraten.
Denn die Ereignisse rund um Kobane 2014 haben längst erhebliche
Konsequenzen nach sich gezogen. Erdoğan nutzte den Aufruhr, um gegen den
damaligen, sehr populären HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und die
damalige Ko-Vorsitzende Figen Yüksekdağ vorzugehen.
Mit der Behauptung, Demirtaş habe die Tumulte angezettelt, setzte er die
Aufhebung der parlamentarischen Immunität gegen einen großen Teil der
damaligen HDP-Fraktion durch und ließ anschließend sowohl Demirtaş als auch
Yüksekdağ verhaften.
Seit November 2016 sitzen beide in Untersuchungshaft und werden ständig für
neue angebliche Vergehen angeklagt. Für Demirtaş fordert die
Staatsanwaltschaft mehr als 100 Jahre Haft. Die [2][Forderung des
Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes, Demirtaş aus der U-Haft zu
entlassen], wird von der türkischen Regierung ignoriert.
## HDP-Bürgermeister abgesetzt
Warum ausgerechnet jetzt die Regierung den damaligen Konflikt wieder
aufgegriffen hat, obwohl in den kurdischen Gebieten seit einem Jahr eine
weitgehende Friedhofsruhe herrscht, wird vom Innen- oder Justizministerium
nicht kommentiert. Mithat Sancer, einer der beiden aktuellen
Co-Vorsitzenden der HDP meint, Erdoğan brauche angesichts fallender
Umfragewerte einen neuen Aufreger, „deshalb haben sie diese alten
Geschichten wieder ausgegraben“.
Andere HDP Mitglieder beklagen die anhaltende [3][Repression gegen die
Bürgermeister der Partei]. Von den 64 Bürgermeistern der HDP, die bei der
Kommunalwahl im März 2019 in Städten und Gemeinden im Osten ihren Posten
gewinnen konnten, sind die meisten bereits des Amtes enthoben und durch
Zwangsverwalter aus Ankara ersetzt worden. Als Begründung musste jedes Mal
eine angebliche Unterstützung der PKK herhalten.
25 Sep 2020
## LINKS
[1] /IS-in-Syrien/!5031682
[2] /Urteil-zu-inhaftiertem-HDP-Politiker/!5552355
[3] /Tuerkische-Offensive-in-Nordsyrien/!5635990
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
HDP
Selahattin Demirtas
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