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# taz.de -- Kurden in der Türkei: Erdoğan setzt auf Zwang
> Die türkische Regierung ersetzt immer mehr kurdische Bürgermeister durch
> Zwangsverwalter. Dabei waren sie gerade erst gewählt worden.
Bild: Ahmet Türk wurde im August als Bürgermeister der Stadt Mardin abgesetzt
Istanbul taz | Während sich die internationale Aufmerksamkeit in den
vergangenen Wochen auf den türkischen Einmarsch in die kurdischen Gebiete
in Syrien konzentrierte, hat sich die Situation der Kurden auch im Südosten
der Türkei dramatisch verschärft. Die Polizei verhaftete reihenweise Leute,
die Kritik an dem Einmarsch äußerten. Jede Demonstration gegen den Krieg
wurde im Keim erstickt.
Vor allem aber wurden etliche Bürgermeister, die der kurdisch-linken
HDP-Partei angehören, aus ihrem Amt entfernt und durch staatliche
Zwangsverwalter ersetzt. Angeblich unterstützen sie die „Terrororganisation
PKK“ – entweder durch kommunale Gelder oder durch Propaganda.
„Alles vorgeschobene Gründe, um die HDP zu schwächen und die kurdischen
Wähler zu bestrafen“, meint Ahmet Türk, der im August als [1][Bürgermeister
von Mardin abgesetzt] wurde. Der 77-Jährige, der als Repräsentant der
Kurden hohes Ansehen genießt, ist pessimistisch, was die Zukunft unter
Präsident Recep Tayyip Erdoğan angeht: „Die Zwangsverwaltungen sind nicht
nur undemokratisch, sie sind auch höchst schädlich für das
Zugehörigkeitsgefühl der Kurden zur Türkei.“
Andere HDP-Politiker teilen Türks Sorgen. „Jede weitere zwangsweise
Amtsenthebung eines unserer Bürgermeister ist ein weiterer Schritt in
Richtung Faschismus“, sagt der Co-Vorsitzende der Partei, Sezai Temelli.
Dabei hatten viele kurdische Bürger in der Türkei wieder Hoffnung
geschöpft, als im März dieses Jahres [2][landesweit neue Bürgermeister
gewählt] wurden. Das Regime der Zwangsverwalter, das in fast allen
Gemeinden im Südosten bereits während des zweijährigen Ausnahmezustands
nach dem Putschversuch 2016 eingerichtet worden war, wurde abgewählt. Kaum
ein Zwangsverwalter konnte sich demokratisch legitimieren. Stattdessen
wählten die Kurden in fast allen Gemeinden wieder KandidatInnen der HDP.
## „Säuberung“ vor Einbruch des Winters
Doch diese demokratische Hoffnung wird nun erneut zerschlagen. Von den 66
HDP-BürgermeisterInnen, die im März gewählt wurden, sind 24 wieder ihres
Amtes enthoben worden, 14 von ihnen sitzen sogar im Gefängnis. Abgesetzt
worden sind alle drei Bürgermeister der Großstädte Mardin, Van und
Diyarbakır. Letzterer, der Arzt [3][Selçuk Mizrakli], ist in Haft. Ihm wird
vorgeworfen, Mitglied einer „terroristischen Vereinigung“ zu sein.
Wie auch in dem Einmarschgebiet in Nordsyrien setzen Präsident Erdoğan und
sein Koalitionspartner, die ultrarechte MHP, auch in den kurdischen
Gebieten in der Türkei wieder ganz auf Repression und Militär.
Spezialeinheiten der türkischen Armee sind an der türkisch-irakischen
Grenze ständig im Einsatz. Man wolle „vor Einbruch des Winters die Gegend
säubern“, erklärt das Militär.
Dabei sind die Schäden des „Städtekriegs“ im Winter 2014/15 noch lange
nicht beseitigt. In Diyarbakır, Cizre und Nusaybin erinnern abgesperrte
Brachen daran, dass hier ganze Stadtviertel plattgemacht wurden.
## Diskussion über HDP-Komplettrückzug
Weil innerhalb und außerhalb der HDP der Ruf nach einer Reaktion auf die
Repression immer lauter wurde, veranstaltete die Parteiführung vergangene
Woche einen Kongress, bei dem diskutiert wurde, ob die Partei sich aus dem
nationalen Parlament in Ankara zurückziehen solle.
Der Rückzug sollte ein Zeichen setzen, gleichzeitig aber auch Nachwahlen in
verschiedenen Gemeinden erzwingen. Denn wenn mehr als 30 Parlamentssitze
vakant sind, schreibt das Gesetz Nachwahlen vor. Die HDP hat 62 Abgeordnete
in Ankara und könnte deshalb Nachwahlen erzwingen.
Nach einer heftigen Debatte, zu der auch parteiunabhängige Intellektuelle
eingeladen waren, entschied man sich letztlich aber dagegen. Zu groß war
die Sorge, dass der Schuss nach hinten losgehen würde und man letztlich die
noch verbliebenen Ämter auch noch verlieren könnte.
Stattdessen rief die HDP-Führung auf, „kollektiv“ die Demokratie zu
verteidigen. Man hofft, dass sich andere Oppositionsparteien, insbesondere
die kemalistisch-sozialdemokratische CHP, stärker solidarisieren.
Schließlich könnten bald auch CHP-Bürgermeister von Zwangsverwaltungen
betroffen sein.
27 Nov 2019
## LINKS
[1] /Kurdische-Kommunalverwaltungen/!5618850
[2] /Kommunalwahl-in-der-Tuerkei/!5583592
[3] /Regierung-setzt-Buergermeister-ab/!5618936
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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