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# taz.de -- Prozess gegen Gönül Örs in der Türkei: Vom Dampfer ins Gericht
> Eine Deutsch-Kurdin soll sich an einem PKK-Protest in Köln beteiligt
> haben. Die Polizei gab Infos an die Türkei weiter. Nun hat der Prozess
> begonnen.
Bild: Die Kölnerin Gönül Örs (r.) am Dienstag mit ihrer Anwältin im Gerich…
Istanbul taz | Mit einem kleinen Erfolg für die Deutsch-Kurdin Gönül Örs
ist am Dienstag der erste Verhandlungstag in einem Prozess vor einem
Istanbuler Gericht zu Ende gegangen. Örs ist wegen Terrorpropaganda
angeklagt. Die 38 Jahre alte Frau, die im Mai letzten Jahres in Istanbul
festgenommen wurde, darf nach einer Entscheidung des Gerichts eine
Fußfessel, die sie sechs Monate lang im Hausarrest tragen musste, ablegen
und sich innerhalb der Türkei wieder frei bewegen. Das Land verlassen darf
sie nicht. Der Prozess wird im Oktober fortgesetzt.
Für das Verfahren trägt die deutsche Polizei eine erhebliche
Mitverantwortung, denn die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf
Informationen, die das Bundeskriminalamt (BKA) an die Türkei weitergegeben
hat. Demnach soll sich Örs 2012 an einer Aktion eines PKK-nahen Vereins in
Köln beteiligt haben. Die Gruppe hatte auf einem Rheindampfer für Touristen
Transparente enthüllt, auf denen die Freilassung des früheren PKK-Chefs
Abdullah Öcalan gefordert wurde, der seit 1999 im Gefängnis sitzt.
Weil die PKK in Deutschland – wie auch in der Türkei – verboten ist, wurde
gegen die Aktivisten ein Verfahren eingeleitet, das später aber eingestellt
wurde. Erkenntnisse daraus gab ein Verbindungsmann des BKA an die türkische
Polizei weiter. Wegen dieser Informationen wurde Örs festgenommen, nachdem
sie im Mai 2019 in die Türkei eingereist war, um ihre Mutter, die kurdische
Sängerin Hozan Canê, die ebenfalls in Köln lebt, im Gefängnis zu besuchen.
Canê war bereits im November 2018 als angebliches PKK-Mitglied zu sechs
Jahren Haft verurteilt worden. Die Sängerin hatte sich im
Präsidentschaftswahlkampf 2018 für Selahattin Demirtaş engagiert, den
Kandidaten der kurdisch-linken Partei HDP. Demirtaş saß damals bereits im
Gefängnis.
Als Örs ihre Mutter im Gefängnis besuchen wollte, wurde sie festgenommen
und landete für drei Monate in Untersuchungshaft. Nachdem ein Gericht sie
aus der U-Haft entlassen hatte, wurde ein Ausreiseverbot verhängt. Weil sie
angeblich dennoch versuchte, die Grenze zu überqueren, wurde sie im
Dezember zu Hausarrest verurteilt. Diesen verbrachte sie bei einem Onkel im
westtürkischen Manisa.
## Kritik aus der SPD
Örs reiste am Dienstag aus Manisa an und nahm in Istanbul Stellung zu den
Vorwürfen. Die Staatsanwaltschaft hat eine abenteuerliche Anklage
zusammengezimmert. Demnach soll Örs nicht nur für PKK-Propaganda, sondern
auch für Freiheitsberaubung und Entführung des Fahrgastschiffes auf dem
Rhein verurteilt werden. Vor Gericht bestritt ihre Anwältin Ayşe Çelik,
dass Örs mit der Aktion etwas zu tun hatte. Örs selbst sagte, man wolle sie
als Terroristin abstempeln. „Das bin ich aber nicht.“
Bei dem Prozess waren Konsulatsmitarbeiter aus Deutschland als Beobachter
anwesend. Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Frank Schwabe sagte, das Verfahren sei absurd. Auch Örs’ Mutter müsse
möglichst bald freigelassen werden. Schwabe kritisierte auch die Rolle des
BKA. „Deutsche Behörden müssen endlich lernen, dass sensible Daten an
autoritär regierte Staaten nicht weitergegeben werden dürfen.“
Es ist nicht das erste Mal, dass sensible Daten von deutschen Behörden an
die türkische Polizei gelangen. Im vergangenen Jahr etwa wurde ein Anwalt,
der für die deutsche Botschaft Angaben von türkischen Asylbewerbern
überprüfen sollte, festgenommen. Auch aus der Vergangenheit ist bekannt,
dass Angaben aus Asylverfahren aus Deutschland beim türkischen Geheimdienst
landeten.
16 Jun 2020
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
Kurden
PKK
BKA
Abschiebung
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Opposition in der Türkei
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