# taz.de -- Die deutsche Corona-App: Bald wird Nähe gemessen | |
> Kommende Woche soll es auch in Deutschland eine Corona-App geben. Wer sie | |
> nutzt, erfährt, ob jemand in seinem Umfeld infiziert war. | |
Bild: Bald gibt es noch ein Grund mehr, das Smartphone zu checken | |
Auf der Open-Source-Plattform [1][Github] ließ sich in den vergangenen | |
Wochen quasi live eine Geburt erleben. Zugegebenermaßen eine recht | |
schwierige, eine, bei der ziemlich viele Menschen zugange sind, vor allem | |
Männer – soweit sich das von außen beurteilen lässt. Es sind sich auch | |
nicht alle immer einig, wie genau der nächste Schritt aussehen soll. Aber | |
sie diskutieren sachlich, konstruktiv, mit vielen Codeschnipseln. | |
Allen ist klar, was hier am Ende auf die Welt kommt: Die deutsche App, die | |
seit der Erfindung des Smartphones wohl die meiste Aufmerksamkeit bekam, | |
bekommt und noch bekommen wird. Die App, die die Nachverfolgung von | |
Kontakten mit Sars-CoV-2 infizierten Personen ins Digitale überführen soll. | |
Seit Pfingsten ist der Code komplett veröffentlicht, und seitdem | |
intensiviert sich die Diskussion auf Github und Twitter. Es geht um Bugs, | |
also Fehler im Code, die behoben werden müssen, wenn alles reibungslos | |
funktionieren soll. Es geht um Verbesserungsvorschläge, etwa darum, dass | |
die Datenbankberechtigungen besser eingestellt werden können, wie es Alvar | |
Freude, hauptberuflich Referent beim Landesdatenschutzbeauftragten von | |
Baden-Württemberg, in einem ausführlichen Twitter-Thread darlegt. | |
Die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg sieht den Prozess positiv: „Auf | |
Feedback von der Community wird schnell reagiert, es wurde auch proaktiv | |
dazu aufgefordert, sich zu beteiligen.“ | |
## Keine Freiwilligkeit | |
Wie die App im Kern aussehen wird, ist klar. Der Code: [2][Open Source]; | |
die Nutzung: freiwillig; und Anreize soll es nicht geben, das hatte | |
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor einigen Wochen ungewöhnlich | |
deutlich klargestellt: „Was ich nicht möchte: dass man von einer | |
Freiwilligkeit spricht, aber so viele Anreize diskutiert, dass man nun von | |
der Freiwilligkeit nicht mehr reden kann.“ Also keine Bevorzugung von | |
App-Nutzer:innen, etwa beim Kino-Besuch oder der Bahnfahrt. | |
Kernfunktion der App ist es, Abstände zu anderen Geräten mit der gleichen | |
oder einer kompatiblen App zu messen und Nutzer:innen zu warnen, wenn sie | |
in den vergangenen 14 Tagen Kontakt zu einer Person hatten, die später als | |
Sars-CoV-2-positiv getestet wurde. Darüber hinaus soll sie, optional, auch | |
Ergebnisse des Tests übermitteln können. | |
Um herauszufinden, ob ein:e Nutzer:in Kontakt zu einer später positiv auf | |
Sars-CoV-2 getesteten Person hatte, setzt die App nicht auf ein örtliches | |
Tracking per Mobilfunkzellen oder GPS, wie in einigen Ländern. Sondern auf | |
[3][Bluetooth Low Energie] (BLE). Damit ermitteln die Smartphones, welche | |
anderen Geräte mit entsprechender App sich im Nahbereich von einigen Metern | |
aufhalten. | |
Um ein möglichst hohes Maß an Datensparsamkeit zu gewährleisten, generiert | |
eine App dabei ständig neue Identifikationsnummern (IDs). Die tauscht sie | |
mit anderen Geräten im Nahbereich aus. Wird ein:e Nutzer:in positiv | |
getestet, bekommt er:sie von der Teststelle oder über eine App-Hotline | |
einen Code. Damit alarmiert die App die Kontakte der vergangenen 14 Tage. | |
## Die App trackt keine Aufenthaltsorte | |
Aufenthaltsorte kennt oder trackt die App dabei nicht, ebensowenig | |
persönliche Daten. Daher kommt auch der feine Unterschied im Namen: Bei den | |
Corona-Apps handelt es sich meist um Tracing-Apps, also Apps zur | |
Nachverfolgung von Kontakten, die ergänzen sollen, was die Gesundheitsämter | |
jetzt schon tun. Im Unterschied zu Tracking-Apps, etwa für Läufer:innen, | |
die via Standortbestimmung die Laufstrecke ermitteln. | |
Noch ein Datenschutz-Bonbon: Anders als etwa in Frankreich sollen die IDs | |
der Nutzer:innen nicht auf einem zentralen Server gespeichert werden. Das | |
ist gut für die Privatsphäre, weil sich einzelne Nutzer:innen somit nicht | |
im Nachhinein von Personen, die – berechtigter- oder unberechtigterweise – | |
Zugriff auf den Server haben, identifizieren lassen. | |
Bundesregierung und Robert-Koch-Institut hätten es wohl lieber zentral | |
gehabt. Denn mit einer zentralen Speicherung lassen sich Kontaktnetzwerke | |
erstellen. Also Übersichten darüber, welche Nutzer:innen wann mit welchen | |
anderen Nutzer:innen Kontakt hatten. Das ist möglicherweise für die | |
Pandemieforschung interessant, gab aber heftige Kritik von | |
Datenschützer:innen. | |
Schließlich entschied sich die Bundesregierung um. Und das gibt durchaus | |
Anlass zu Spekulation. Gesundheitsminister Jens Spahn und | |
Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) hatten den Schwenk mit dem | |
Vertrauens-Argument begründet: Für den epidemiologischen Nutzen der App ist | |
es umso besser, je mehr Menschen sie verwenden. Und das werden umso mehr | |
Menschen tun, je größer das Vertrauen in die App ist. | |
## Die Schnittstellentechnologie ist zentral | |
Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, der eine wichtige Rolle gespielt | |
haben wird. Der hat mit den beiden maßgeblichen Herstellern von | |
Smartphone-Betriebssystemen zu tun, mit Google und Apple. Diese stellen die | |
Schnittstellen für Apps bereit. | |
Im Fall Corona-Nachverfolgungs-App heißt das, vereinfacht dargestellt, | |
beispielsweise: Sie müssen dafür sorgen, dass die App an die Daten der | |
Abstandsmessung kommt. Und Google und Apple unterstützen für ihre Systeme | |
die dezentrale Speicherung. Für die französische App, die auf das zentrale | |
Modell setzt, heißt das: Die App für iPhones funktioniert nur, wenn | |
Nutzer:innen sie im Vordergrund laufen haben. In der Praxis ist sie damit | |
für Apple-Nutzer:innen nicht ernsthaft verwendbar. | |
Auch wenn die hiesige App also im internationalen Vergleich in Sachen | |
Privatsphäre und Offenheit recht weit vorne liegt – es ist längst nicht | |
alles gut. Zum Beispiel kritisieren Bürgerrechtler:innen, dass keine | |
gesetzliche Grundlage für ihren Einsatz vorgesehen ist. | |
Kritik von Bürgerrechtler:innen | |
Anfang Mai haben Vertreter:innen der Zivilgesellschaft daher einen | |
Vorschlag für einen Gesetzentwurf vorgelegt. Im Juni zogen nun die vier | |
grünen für Justiz zuständigen Minister:innen und Senatoren nach und | |
forderten eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz der App. Da könnte | |
beispielsweise die Freiwilligkeit verankert sein, was einen sehr viel | |
stärker bindenden Charakter hätte als die Aussage eines | |
Bundesinnenministers. Auch ein Endpunkt ließe sich definieren: damit die | |
App nicht nach der Pandemie für Überwachungs- oder Strafverfolgungszwecke | |
umfunktioniert wird. | |
Und: Auch wenn die App selbst Open Source ist – die Schnittstellen von | |
Google und Apple sind es nicht. Und die sind wichtig, sie sind quasi die | |
Wurzeln der App in das Betriebssystem. „Weil die Schnittstellen | |
proprietäre, also nicht-freie Software sind, lässt sich die App damit zum | |
Beispiel nicht in Gänze überprüfen“, sagt Max Mehl von der [4][Free | |
Software Foundation Europe]. | |
Und: Android-Nutzer:innen, die das System ohne Googles Play Services | |
nutzen, müssen abwägen: Installieren sie diese und erlauben Google mehr | |
Zugriffe aufs Betriebssystem? Oder verzichten sie darauf, die App zu | |
nutzen? Apple-Nutzer:innen haben dieses Dilemma nicht, ein iPhone kann | |
nicht ohne Apple-Dienste verwendet werden. | |
Zudem gibt es ein paar Fragen, die sich kaum beantworten lassen, bevor die | |
App einige Zeit in Gebrauch ist: Wird es haufenweise Fehlalarme geben, weil | |
die Bluetooth-Technologie die Abstände zum nächsten Gerät passabel misst, | |
die App aber nicht weiß, ob der:die Besitzer:in gerade niest und hustet, | |
laut singt oder still mit der Maske über Mund und Nase da steht? Ist es zu | |
viel, die Kontakte der letzten 14 Tage zu alarmieren, wenn | |
wissenschaftliche Erkenntnisse eher eine Inkubationszeit von einer guten | |
Woche vermuten lassen? Wird die Abstandsmessung funktionieren, werden Wände | |
und Glasscheiben zuverlässig erkannt? | |
Ist vielleicht auch die Ansteckungsgefahr im Freien so gering, dass es | |
besser wäre, die App dort auszuschalten, weil auch bei viertelstündigem | |
Gespräch eine Ansteckung extrem unwahrscheinlich ist? Und werden diese | |
Fragen überhaupt beantwortet werden? Oder läuft die App jetzt einfach ein | |
Dreivierteljahr, dann gibt es eine Impfung und danach will niemand mehr das | |
Wort Quarantäne hören. | |
12 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://github.com/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Source | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bluetooth_Low_Energy | |
[4] https://fsfe.org/index.de.html | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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