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# taz.de -- Mit der Corona-App gegen die Pandemie: Dilemma des Vertrauens
> Das Smartphone soll helfen, die Pandemie zu bekämpfen. Dazu müssen wir
> aber der Warn-App vertrauen können.
Bild: Wer hat wen wann getroffen?
Es braucht 40 Millionen, vielleicht mehr. So viele Bürger müssten die
[1][Corona-Warn-App] nutzen, damit in Deutschland eine effektive
Kontaktverfolgung gelingt. Diese schwindelerregende Zahl ergibt sich
zumindest aus einer britischen Studie über die Wirksamkeit solcher
sogenannten Contact-Tracing-Apps. Einige versprechen sich schon bei
deutlich geringerer Nutzungsrate eine Wirkung. Klar scheint aber: Die
Corona-Warn-App müsste in den Downloadcharts mit WhatsApp oder TikTok
gleichziehen, damit das Experiment Aussicht auf Gelingen hat.
Was überhaupt als Erfolg dieser Strategie einer digitalen Kontaktverfolgung
gelten kann, bleibt allerdings offen. Eine Antwort fällt auch deshalb so
schwer, weil sich die in Deutschland kommunizierten Aussichten in einem
vagen Versprechen erschöpfen: Technologie könnte eine Lösung sein. Auf der
Webseite der Bundesregierung heißt es hierzu, die App solle vor der
weiteren Ausbreitung von Covid-19 schützen. In Wirklichkeit kann sie
bestenfalls das Kontaktverfolgen unterstützen und so eventuell einen
Beitrag leisten, [2][Infektionsketten zu unterbrechen].
Wir wissen also nicht, was wir von der Corona-Warn-App erwarten können.
Ohnehin vermag wohl niemand zu sagen, wie die kommenden Monate in der
Bundesrepublik ausgesehen hätten, sollte sich die Kontaktverfolgung über
Handy als nette, aber unwirksame Idee herausstellen. Selbst als Placebo
könnte die Corona-Warn-App schließlich noch wirken: Im günstigen Fall mag
das Lieblingsobjekt Smartphone in den Phasen der Lockerung zur permanenten
Erinnerung werden, dass es noch kein Zurück zur Normalität gibt. Im
ungünstigen Fall kann eine wirkungslose Anwendung Nutzer in falscher
Sicherheit wiegen.
Gründe für ein mögliches Scheitern des Projekts gibt es zu Genüge: Die
verwendete Bluetooth-Technologie ist keineswegs dafür ausgelegt, selbst nur
metergenau den Abstand zwischen Smartphones zu bestimmen. Auch hängt die
Wirksamkeit der App nicht nur von den technischen Machbarkeiten ab.
Bereitwillige Nutzer müssen die Software sowie notwendige Updates
installieren, die Anwendung durchgehend nutzen und im Falle eines
relevanten Kontakts mitwirken. In dieser Hinsicht gleicht die
Corona-Warn-App jeder Fitness- oder Abnehm-App. Sie einfach nur
herunterzuladen hat keinen Effekt.
## Vertrauen ist eine knappe Ressource
Dabei ist technisch gesehen die Lage klar: Im Idealfall sollten möglichst
viele die App in der Tasche haben. Umfragen des deutschen Covid-19 Snapshot
Monitoring gehen davon aus, dass hierzu jeder zweite Befragte zumindest
grundsätzlich bereit wäre. Statistisch könnte dann immerhin in einem von
vier Fällen eine mögliche Infektion von einer Person auf die nächste
erfasst werden – die App muss schließlich von beiden Seiten genutzt werden.
Würden immerhin 25 Prozent das Programm installieren, wäre die
Nachverfolgung noch in etwa 1 von 16 Fällen möglich. Eine solche
Nutzungsrate entspricht der von Ländern wie Singapur, dessen Corona-App
TraceTogether einmal als Blaupause für Europa galt.
Um eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung sicherzustellen, so der Tenor,
bedarf es daher Vertrauen. Diese knappe und schwer abzurufende Ressource
wird dieser Tage gerne erbeten, um dem Projekt Corona-Warn-App Aussichten
auf Erfolg zu verschaffen. Dabei kann es wohl nur einen Versuch geben. Und
dass nun die Telekom und SAP als Vertrauensstifter auf die Bühne treten
dürfen, gleicht einer Meisterprüfung für Marketingstrategen.
Vertrauen ist aber nicht nur in die Entwickler, die Politik und schließlich
in die Mitbürger gefragt, denen wir Glauben schenken müssen, auch ihr
Mobiltelefon für das Gute einzusetzen. Menschen müssen sich auf den
[3][verantwortlichen Umgang mit ihren Daten] genauso verlassen können wie
auf die Funktionsfähigkeit der App und die Sinnhaftigkeit des gesamten
Projekts. Und hier beginnt das eigentliche Dilemma der Einführung einer
solchen digitalen Kontaktverfolgung.
## Breite Akzeptanz notwendig
Damit die Corona-Warn-App auch nur die Aussicht auf Erfolg hat, braucht es
die breite Akzeptanz. Soll die Anwendung besser funktionieren als eine der
Tausende Fitness-Apps, darf sie sich nicht als ein nutzloses Gadget
herausstellen. Sonst ist abzusehen, dass erste Meldungen über massenhafte
Fehlalarme die Mitwirkung der Bürger stark einschränken werden. Sie
brauchen daher gerechtfertigte Zuversicht in diese Technologie.
Für dieses notwendige Vertrauen fehlt bislang allerdings eine Basis.
Immerhin gibt es kaum belastbare Beweise für den Beitrag der digitalen
Kontaktverfolgung im Kampf gegen Corona. Die Macher der App in Singapur
gestehen dies ein: Wenn überhaupt, könne diese Form der Kontaktüberwachung
nur gemeinsam mit anderen Maßnahmen greifen. Selbst in Ländern wie Island,
wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung freiwillig seine Kontakte und sogar
Bewegungsdaten per Smartphone erfasst, wird mittlerweile am Nutzen von
Contact-Tracing-Apps gezweifelt.
Es ist also weniger Vertrauen, was hierzulande gefragt ist, als ein
Vertrauensvorschuss: der Glaube an die Möglichkeit der Corona-Warn-App.
Dass ein solches Geschenk möglich ist, zeigt sich am Nutzerverhalten im
Internet: Für ein Versprechen auf billige Unterhaltung werden zahlreichen
Unternehmen alltäglich Daten überlassen. Der digitalen Welt ist dieser
Vertrauensvorschuss also keineswegs fremd.
Die Diskussion um die Corona-Warn-App unterscheidet sich aber von der
bislang gelebten Praxis: Denn wir erahnen eigentlich die fehlende
Vertrauenswürdigkeit von globalen Konzernen, denen wir immer wieder intime
Informationen preisgeben. Wir reden aber wenig darüber. Im Fall der
Corona-App ist die Lage dagegen umgekehrt: Wir reden viel, wissen aber
wenig, ob sich ihr Preis einmal lohnt. Trotz dieser Ungewissheit können wir
aber immerhin hoffen. Hoffen, dass die Corona-Warn-App den
Vertrauensvorschuss zumindest wert sein könnte.
2 Jun 2020
## LINKS
[1] /Nachverfolgung-von-Infektionen/!5686919
[2] /Interview-mit-Ranga-Yogeshwar/!5682404
[3] /Angst-vor-Zwangs-Outing-per-Tracking-App/!5681439
## AUTOREN
Robert Ranisch
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