# taz.de -- SeniorInnen in der Coronakrise: Auf Dauer in Einzelhaft? | |
> Neue Studie warnt: Kommt die „Umkehrisolation“, in der sich Risikogruppen | |
> dauerhaft abschotten müssten, wäre das für Ältere äußerst problematisch. | |
Bild: Wie im knast: Familienbesuch mit Trennscheibe in einem Altersheim in Schw… | |
BERLIN taz | Ein Schwätzchen mit dem Bäcker halten, mit der Freundin im | |
Café sitzen oder im Park den spielenden Kindern zuschauen: Ältere Menschen, | |
wenn sie alleine leben, sind besonders auf ein Gefühl von öffentlichem | |
„Eingebundensein“ angewiesen. Eine dauerhafte Isolation als „Risikogruppe… | |
wegen Corona wäre für sie fatal, ergibt sich aus einer neuen Studie des | |
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. | |
Angesichts der Lockerungen bei den Corona-Beschränkungen stelle sich | |
verstärkt die Frage, [1][wie „vulnerable Teile der Bevölkerung“ geschützt | |
werden könnten], heißt es in der Studie der Autoren Daniel Kemptner und Jan | |
Marcus. In vielen Ländern werde eine „Umkehrisolation“ diskutiert. „So | |
sollen die Jungen und Gesunden das soziale Leben allmählich | |
wiederaufnehmen, während die Älteren und weitere besonders gefährdete | |
Gruppen isoliert bleiben.“ | |
In diesem Zusammenhang sei es aber „wichtig, die soziale Situation älterer | |
Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren“, so die Studie. „Viele ältere | |
Menschen in Deutschland sind bei anhaltender sozialer Isolation aufgrund | |
der Corona-Pandemie von Vereinsamung bedroht.“ So leben etwa 38,7 Prozent | |
der über 65-Jährigen in Einpersonenhaushalten. Im Alter von 85 Jahren oder | |
älter wohnen sogar zwei Drittel der Menschen in einem Einpersonenhaushalt. | |
Der direkte Kontakt zu den Kindern reicht dabei nicht aus, um die Kontakte | |
draußen zu ersetzen: Bei den über 80-Jährigen haben weniger als 50 Prozent | |
der Alleinlebenden Kinder am selben Ort, heißt es in der Studie, die sich | |
auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) bezieht. | |
## Die Hälfte hat kein Internet | |
Das Potential, direkte persönliche Kontakte durch virtuelle Kontakte über | |
das Internet auszugleichen, sei bei den alleinlebenden Menschen im hohen | |
Alter „sehr begrenzt“, so das Papier. In der Altersgruppe zwischen 65 und | |
69 Jahren haben mehr als drei Viertel der Befragten einen | |
Internetanschluss, bei den 75- bis 79-Jährigen aber ist es nur noch die | |
Hälfte, in höherem Alter sind es noch weniger. Wer von den Hochaltrigen mit | |
anderen zusammenlebt, verfügt dabei noch eher über einen Internetanschluss | |
als Alleinlebende. Einsamkeit potenziert sich. | |
Gerade die Menschen, deren Schutz vor einer Infektion besonders wichtig | |
ist, [2][leiden besonders unter den Kontaktbeschränkungen durch Corona]. | |
Das bedeute aber nicht, dass „Umkehrisolation zwangsläufig der falsche | |
politische Weg ist“, so die Autoren. Die Umkehrisolation sollte aber mit | |
„zusätzlichen Maßnahmen“ begleitet werden, die auf eine Linderung der | |
Vereinsamung gerichtet ist, wie etwa eine „verstärkte und proaktive | |
Telefonseelsorge“ oder auch ein Besuchsservice von Personen mit | |
nachgewiesener Immunität. | |
Es wäre hilfreich, wenn mehr ältere Menschen an das Internet angeschlossen | |
würden und man ihnen Angebote für die „altersgemäße Vemittlung“ | |
grundlegender digitaler Kompetenzen machte, so das Papier. | |
Zahlreiche Staaten diskutierten bereits Varianten der Umkehrisolation. Die | |
türkische Regierung verhängte für über 65-Jährige für mehrere Wochen eine | |
Ausgangssperre. Britische Forscher schlugen vor, dass sich über 70-Jährige | |
und ihre Kontaktpersonen in eine Art Quarantäne begeben, während die | |
Beschränkungen für die übrige Bevölkerung gelockert werden. | |
In Deutschland wird eine erzwungene Umkehrisolation derzeit nicht | |
diskutiert. Ältere müssten dann nach Ende des Lockdowns selbst entscheiden, | |
ob sie sich trotz des Infektionsrisikos ins Café begeben oder zuhause | |
bleiben und „Alexa“ installieren lassen. | |
30 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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