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# taz.de -- Donald Trump gegen soziale Netzwerke: Der Troll als Gesetzgeber
> Der US-Präsident erlässt eine Verfügung, die die großen
> Internetplattformen empfindlich treffen kann. Hintergrund ist ein Streit
> mit Twitter.
Bild: Trump vor der Unterzeichung der Verfügung
Am Donnerstagabend (Ortszeit) hat US-Präsident Donald Trump eine Verfügung
erlassen, die das Potential hätte, Kommunikation im Netz nachhaltig zu
verändern. [1][Anlass ist, dass Trump sich wegen eines Warnhinweises über
den Kurznachrichtendienst Twitter ärgert]. Der Erlass könnte, so er Bestand
hat, das Geschäftsmodell der großen Plattformen gefährden.
In der Verfügung wird die unabhängige Regulierungsbehörde für
Telekommunikation, FCC, angewiesen zu prüfen, inwieweit Firmen wie Twitter
und Facebook einen besonderen gesetzlichen Schutz weiterhin genießen
können. Dieser Schutz ist in den USA seit 1996 im Paragraphen 230 des
„Communications Decency Act“ festgeschrieben. Das Gesetz, ursprünglich als
Werkzeug zur Beschränkung der freien Rede im Netz und der weitreichenden
Kontrolle der anarchischen Kommunikation dort gedacht, wurde damals von
Bürgerrechtsorganisationen und Netzaktivisten wie der Electronic Frontier
Foundation (EFF) aufs heftigste attackiert.
„Section 230“ war das vielleicht wichtigste Ergebnis der folgenden
juristischen Auseinandersetzung. Darin wird festgeschrieben, dass keine
Plattform als Verlegerin oder Autorin der von Nutzer*innen erstellten
Inhalte behandelt werden soll. Dieser ungewöhnlich großzügige
Haftungsausschluss unterscheidet Internetplattformen von beispielsweise
Zeitungsredaktionen, die für jeden gedruckten Text voll verantwortlich
sind. Auf dieser Grundlage kann beispielsweise Facebook nicht für
verleumderische Post, die auf der Plattform erscheinen verklagt werden.
Voraussetzung für diese juristische carte blanche ist jedoch, dass die
Plattformen in „good faith“ handeln, also beispielsweise justiziable
Inhalte, einmal darauf aufmerksam gemacht, entfernen würden.
Die EFF und andere Organisationen hatten beim Kampf um diesen
Haftungsausschuss jedoch gar nicht an Megakonzerne wie Facebook und Google
gedacht, sondern eher an die Betreiber kleiner Webseiten, die davor
geschützt werden sollten, wegen möglicherweise justiziabler Kommentare oder
beiläufig geposteter urheberrechtsverletzender Inhalte von Nutzer*innen in
langwierige und kostspielige rechtliche Auseinandersetzungen verwickelt zu
werden. Eine der wesentlichen Grundsteine für den dramatischen Aufstieg der
großen Plattformen war mit Section 230 jedoch gelegt. Der junge Mark
Zuckerberg konnte in Rechtssicherheit und ohne Angst vor Schadensersatz-
und Beleidigungsklagen sein weltumspannendes Imperium wachsen sehen.
## Kontraproduktive Regulierungen
Die Gültigkeit dieser Regel für die Plattformen wird immer wieder in Frage
gestellt, ihre Auswirkungen werden regelmäßig kritisiert. Ziehen sich die
Betreiber, wenn konfrontiert mit Hassrede, Verleumdungen,
Urheberrechtsverletzungen und dergleichen doch immer wieder achselzuckend
hinter das Schutzschild des Communication Decency Act zurück. Versuche,
Facebook, Twitter, Google et cetera als dominante Plattformen der digitalen
Kommunikation für die dort veröffentlichten Inhalte in die Verantwortung zu
nehmen, stoßen immer wieder an die Grenzen des politisch Durchsetzbaren und
technisch Machbaren.
Die Ergebnisse legislativer Eingriffe, wie [2][das deutsche
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)], sind selber der Kritik von
Netzaktivist*innen ausgesetzt, da diese Regulierungsversuche oft nicht
hinreichen, der offensichtlichen Probleme einer wenig zivilen Kommunikation
im Netz Herr zu werden und ungewollt die vorhandenen Probleme verschärfen
oder gänzlich neue schaffen.
Trumps Angriff auf die Netzwerke nun ist weniger einer Sorge um die
Offenheit des Netzes und des Wohlbefindens der Nutzer*innen geschuldet. Die
Idee zu einer Überprüfung des Haftungsauschlusses ist nicht ganz neu, das
Timing der Verfügung verrät jedoch die impulsive politische Taktik des
Schrittes. In dieser Woche wurde [3][unter zwei Tweets Donald Trumps von
Twitter ein Factcheckinghinweis angefügt], was einer öffentlichen
Maßregelung des Präsidenten der USA wegen Lügens gleichkommt. Trump
reagierte unmittelbar [4][mit der Drohung, diesem Affront gegen sein
Rederecht gesetzlich zu begegnen].
Damit stellt er sich in eine lange Reihe vor allem republikanischer
Politiker*innen, die schon lange eine angebliche Bevorzugung linker Inhalte
auf den Social-Media-Plattformen beklagen. Dass es für eine Übervorteilung
rechten Contents keine empirischen Belege gibt, ficht die Kampagne gegen
die Netzwerke nicht an.
## Die Netzwerke handelten „redaktionell“
Die Beschränkung der Verbreitung bestimmter Posts, die Löschung mehr oder
weniger prominenter Hetzaccounts und nun auch noch die Desavouierung des
Präsidenten werden als Beleg dafür genommen, dass die Netzwerke eben nicht
neutrale Plattformen für die Inhalte ihrer Nutzer*innen seien, sondern im
weitesten Sinne redaktionell tätig würden. Damit hätten sie die
Verpflichtung zum „good faith“ gebrochen und den besonderen Schutz der
Section 230 verwirkt. In der Logik dieser Argumentation werden die
insgesamt eher halbherzigen Versuche der Netzwerke, die allerschlimmsten
Auswüchse menschlicher Niedertracht auf ihren Plattformen einzudämmen,
perfide umgedeutet und zum Anlass genommen, sie tatsächlich für – alle –
präsentierten Inhalte verantwortlich zu machen.
Inwieweit Trumps Lex Twitter unabhängig von der offensichtlichen
machtpolitischen Motivation juristisch Bestand haben kann, werden
gegebenenfalls Gerichte klären. Die Kriegskassen der beiden größten
Betroffenen, Facebook und das Youtube und Google-Mutterunternehmen Alphabet
sind prall gefüllt. Auch gibt es bei Rechtsexperten Zweifel daran, dass die
mit der Prüfung beauftragte FCC in der Sache überhaupt zuständig ist. Die
unabhängige Kommission könne nämlich kein vom US-Kongress erlassenes Gesetz
oder dessen Wirkungsbereich ändern.
Die Diskussion um eine autoritäre, für die Plattformen geschäftsschädigende
und für Nutzer*innen im Zweifelsfall repressive Regulierung des Netzes
jedoch ist losgetreten. Eine Diskussion, die Mark Zuckerberg gerne
vermieden hätte. Der Facebookchef versuchte sich noch am Mittwoch in einem
Interview möglichst weit vom Konflikt zwischen Twitter und Trump zu
distanzieren. Er betonte, dass sein Netzwerk eben kein „Schiedsrichter der
Wahrheit“, also keine redaktionell tätige Organisation sei. Genützt hat es
ihm nichts. Fürs erste sitzt er mit dem kampfeslustigeren Twitter-CEO Jack
Dorsey in einem Boot.
Wie viele Wellen Dorsey dabei noch schlagen will, ist jedoch längst nicht
ausgemacht. Schließlich ist Donald Trump, dem fast ein Viertel aller
Twitter-Nutzer*innen folgen und der qua Amt der medial meistzitierte
Twitterer ist, sein bester Kunde. Immerhin hat Twitter mit dem Vorstoß
erzwungener redaktioneller Verantwortung für alle Inhalte auf der Plattform
eine interessante Handhabe gegen den Präsidenten selber bekommen.
Schließlich müsste die Prüfung seiner Tweets unter der angestrebten Maßgabe
sehr viel rigoroser erfolgen. Mit einem Factcheckinghinweis wäre es da oft
wohl nicht getan.
## Gefährdetes Utopia
Trump spekuliert selbstverständlich auf die gegenteilige Reaktion auf seine
Erpressung: völlig freie Hand für sich auf allen Plattformen und die
Beendigung der zaghaften Selbstregulierungsversuche der Netzwerke. Für die
wäre das gegebenenfalls die kostengünstigere Lösung. Das würde bedeuten,
dass Facebook seine externen zumeist mit liberaleren Medienhäusern
verbundenen Dienstleister für Factchecking vor die Tür setzen würde,
genauso wie Twitter. Youtube wäre vorsichtiger mit der Löschung von
Hassvideos. Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung und
Hetze könnten sich noch offener als ohnehin schon im Netz Bahn brechen.
Schlechtere Nachrichten wären kaum denkbar für jene, die das Netz als Ort
der Befreiung und der solidarischen Verbindung mit Gleichgesinnten
verstehen.
Klar, als natürliche Verbündete für dieses fragile Utopia eigneten sich die
großen kommerziellen Plattformen noch nie. Deren riesige Verbreitung und
leichte technische Zugänglichkeit jedoch hat sie für viele Menschen quasi
unersetzlich gemacht. Sollte Trump sich in diesem Konflikt durchsetzen,
müssten sie neue Wege und Plattformen finden, um das schon beinahe
vergessene Versprechen auf digitale Freiheit einzulösen.
29 May 2020
## LINKS
[1] /Twitter-warnt-vor-Trump-Tweet/!5685255
[2] /Kritik-am-Netzwerkdurchsetzungsgesetz/!5654835
[3] /Twitter-warnt-vor-Trump-Tweet/!5685255
[4] /Donald-Trump-wuetet-gegen-Twitter/!5688993
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
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