# taz.de -- Twitter warnt vor Trump-Tweet: Halbe Courage | |
> Donald Trump dient Twitter als wichtigster Lieferant von Aufmerksamkeit. | |
> Der „Faktencheck“ des Kurznachrichtendienstes ist daher ein Risiko. | |
Bild: Der Kurznachrichtendienst Twitter hat US-Präsident Trump auflaufen lasse… | |
Donald Trump und Twitter sind Arsch und Eimer der sozialen Medien. Jeder | |
Tweet des US-Präsidenten simuliert Regierungstätigkeit per Verlautbarung | |
und erreicht (zumindest theoretisch) mehr als 80 Millionen Menschen, | |
ungefiltert und ungeprüft. Dafür findet sich wiederum Twitter, das kleinste | |
der großen Netzwerke, regelmäßig journalistisch zitiert. | |
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in Nachrichtensendungen und Zeitungen | |
davon berichtet wird, was Trump „auf dem Kurznachrichtendienst Twitter“ | |
erklärt hat. Diese beiläufige Promo für beide Seiten ist eine klassische | |
Win-win-Situation, wenn nicht gar eine Beziehung mit symbiotischem | |
Charakter. Seit Dienstag hat diese Beziehung nun immerhin einen Knacks. | |
Eine gewohnt realitätsverzerrende Behauptung Trumps über angeblichen Betrug | |
bei Briefwahlen in den USA wurde nämlich [1][von Twitter mit einem Link zu | |
seriös recherchierten Fakten ergänzt]. Auf diese erstmalige öffentliche | |
Brüskierung des Präsidenten durch das Netzwerk hin lamentierte dieser | |
wiederum, ebenfalls auf Twitter, von einem Angriff auf die Redefreiheit. | |
Tatsächlich überrascht der wenn auch behutsame Eingriff seitens Twitter ein | |
wenig. Zumindest auf den ersten Blick ist eine Maßregelung eines der | |
weltweit 10 followerstärksten Accounts, noch dazu dieses sehr speziellen, | |
nämlich nicht ohne Risiko. Was, wenn Trump Twitter verlässt? | |
Die Aufmerksamkeit, die Trump, wie auch andere reichweitenstarke Accounts, | |
mit seiner permanenten Selbstdarstellung für das Netzwerk erzeugt, hat | |
ökonomische Implikationen. Die sind nicht ohne Weiteres bezifferbar, | |
Vermutungen lassen sich dennoch anstellen. Twitter kämpft seit etwa fünf | |
Jahren mit stagnierenden Nutzer*innenzahlen. In der von Ideologemen aus dem | |
radikallibertären Kehricht des Silicon Valley geprägten digitalen Ökonomie | |
aber gilt aggressive Expansion zum Zwecke der Marktbeherrschung alles. Wer | |
nicht wächst, ist draußen. | |
## Das nützliche hässliche Gesicht | |
Die Twitter-Aktie entwickelt sich seit 2013 im Vergleich zu anderen | |
Techunternehmen eher unbefriedigend. Nicht etwa deshalb, weil über Jahre | |
keine bedeutenden Gewinne eingefahren wurden, sondern weil die | |
Marktdominanz für das Netzwerk mit gut 300 Millionen Nutzer*innen und den | |
geringen Zuwächsen keine realistische Geschäftsperspektive zu sein scheint. | |
Immerhin verzeichnete Twitter 2018 und 2019 finanziell einigermaßen solide | |
Jahresergebnisse. Das kann aber nur so bleiben, wenn Twitter für | |
Werbetreibende als lohnende Plattform wahrgenommen wird. Dafür ist Trump | |
ein nicht unbedingt schönes, aber kaum zu ignorierendes und deshalb | |
wertvolles Marketinggesicht. | |
Und dieses Gesicht wiegt, zumindest bisher, einige andere Probleme des | |
Netzwerks offenbar auf. [2][Zum Beispiel die ständige Kritik wegen des viel | |
zu laxen Umgangs mit Hassrede], inklusive drohender gesetzlicher | |
Regulierungen. Würden Desinformation, Rassismus, Sexismus und Bedrohungen | |
ernsthaft von Twitter angegangen, müsste Trumps Account schon lange | |
dauerhaft gesperrt sein. | |
Das Problem ist jedoch nicht allein eines der sozialen Netzwerke. | |
Schließlich sind auch klassische Medien in der Ökonomie der Aufmerksamkeit | |
gefangen und berichten regelmäßig über die neuesten Ausfälle auf Twitter. | |
Gerne wird dann journalistisch distanziert erklärt, der Präsident habe | |
„behauptet“, Kritiker*innen „führten dagegen an“, dass es anders „se… | |
gäbe es nicht meistens halbwegs objektive Fakten, die sich Trumps | |
offensichtlichen Verzerrungen und Lügen gegenüberstellen ließen. | |
## Wahrheits-Sandwich | |
Der Journalismusexperte Jay Rosen schlägt als Lösung für das Dilemma | |
zwischen der Verpflichtung zu journalistischer Objektivität und | |
Wahrhaftigkeit ein „Truth-Sandwich“ vor. Berichterstattung, vor allem | |
Überschriften und Anteaserung sollten nach dem Prinzip „Fakt – Lüge – F… | |
konstruiert werden, um die Amplifizierung der Lüge zu verringern. | |
Twitter, selber nicht einmal an journalistische Standards gebunden, hat es | |
jetzt also immerhin einmal mit „Lüge – Link zum Fakt“ versucht. Ob es | |
hilft, wer weiß. Zumindest haben wir wieder etwas zu berichten über den | |
Präsidenten und das Netzwerk. Und vielleicht wird demnächst sogar klarer, | |
wer Arsch ist und wer Eimer in der Symbiose zwischen Twitter und Trump. | |
27 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Twitter-fact-checkt-Trump/!5688837 | |
[2] /Twitter-ohne-politische-Werbung/!5637658 | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
## TAGS | |
Twitter / X | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Fake News | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Twitter / X | |
Schwerpunkt Facebook | |
Twitter / X | |
Twitter / X | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Kolumne Unter Druck | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Google-Konzern Alphabet: Übermacht unter Druck | |
Im Streit zwischen sozialen Medien und US-Präsident Donald Trump hält | |
Google sich zurück. Der Mutterkonzern Alphabet hat andere juristische | |
Sorgen. | |
Fake News in Lateinamerika und Corona: Strategie gegen das Chaos | |
In der Coronapandemie werden in Lateinamerika besonders viele Fake News | |
verbreitet. Redaktionen gehen grenzüberschreitend dagegen vor. | |
Facebooks Umgang mit Trump: Daumen runter für Zuckerberg | |
Anders als Twitter will Facebook nicht gegen Äußerungen von US-Präsident | |
Donald Trump vorgehen. Nun begehren Mitarbeiter auf. | |
Donald Trump gegen soziale Netzwerke: Der Troll als Gesetzgeber | |
Der US-Präsident erlässt eine Verfügung, die die großen Internetplattformen | |
empfindlich treffen kann. Hintergrund ist ein Streit mit Twitter. | |
Donald Trump wütet gegen Twitter: Angriff auf soziale Medien | |
Nach dem Faktencheck eines Tweets von Trump kündigt dieser eine Regulierung | |
sozialer Netzwerke an. Schon für Donnerstag ist eine Verfügung geplant. | |
Twitter fact-checkt Trump: Präsident mit Warnhinweis | |
Twitter hat erstmals Tweets von Donald Trump mit einem Warnhinweis | |
versehen. Es geht um Falschinformation in dessen Äußerungen zur anstehenden | |
Wahl. | |
Twitter gegen Falschmeldungen um Corona: Gangbarer Mittelweg | |
Ignorieren ist keine Option: Twitter will irreführende Nachrichten über die | |
Coronapandemie mit Warnhinweisen versehen. | |
Journalistin in Elternzeit: Twitter zur Selbstvermarktung | |
Wie würde es klingen, wenn ich über mein Hausfrauen- und Mutterdasein so | |
twittere wie viele JournalistInnen über ihre Arbeit? Ein Versuch. |