| # taz.de -- Ost-Kandidat fürs Verfassungsgericht: Jes Möller und die Kläranl… | |
| > Brandenburg trommelt für einen ersten ostsozialisierten Richter am | |
| > Bundesverfassungsgericht. Doch eine Anwältin warnt. | |
| Bild: Jes Möller im Februar 2018 | |
| FREIBURG taz | Der Potsdamer Landessozialrichter Jes Möller soll erster | |
| Ostdeutscher am Bundesverfassungsgericht werden. Das schlägt der | |
| Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor. Aber Möller hat | |
| in Brandenburg nicht nur Freunde. Die Anwältin Vilma Niclas warnt sogar | |
| ausdrücklich vor der Wahl Möllers. | |
| Die SPD hat im Bundesrat das Vorschlagsrecht für die Nachfolge von | |
| Verfassungsrichter Johannes Masing, der vorige Woche mit seinem [1][Urteil | |
| zum BND-Gesetz] für einen letzten Paukenschlag sorgte. Bei der Nachfolge | |
| kann sich die SPD bisher nicht [2][zwischen zwei Kandidaten] entscheiden. | |
| Auf der einen Seite steht der Berliner Rechtsprofessor Martin Eifert, der | |
| vielen als wissenschaftlich ebenbürtiger Nachfolger von Masing gilt. Auf | |
| der anderen Seite steht Jes Möller, ein ehemaliger DDR-Oppositioneller, der | |
| unter ostdeutschen Sozial- und Christdemokraten viel Unterstützung hat. Im | |
| 30. Jahr der deutschen Einheit soll endlich ein Richter mit ostdeutscher | |
| Biografie an das höchste deutsche Gericht kommen. | |
| Anwältin Vilma Niclas kommt zwar auch aus dem Osten, argumentiert aber | |
| gegen Möller. „Die Wahl von Jes Möller als Bundesverfassungsrichter wäre | |
| ein Schlag ins Gesicht vieler tausender Brandenburger Bürger, die vom | |
| Altanschließerskandal betroffen waren oder sind“, schrieb sie an Bremens | |
| Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). Bovenschulte koordiniert die | |
| SPD-Länder bei der Verfassungsrichterwahl. | |
| ## Altanschließer? Bitte was? | |
| Altanschließer-Skandal? In Brandenburg kann man damit etwas anfangen. Das | |
| Thema sorgt hier schon seit zwei Jahrzehnten für Turbulenzen. Es begann | |
| nach der Wende, als in Brandenburg zu viele und zu groß dimensionierte | |
| Kläranlagen gebaut wurden. Weil Brandenburg dünn besiedelt ist, verlangten | |
| die Abwasserverbände von den Grundstückseigentümern nun Erschließungskosten | |
| in Höhe von teilweise mehreren tausend Euro. | |
| Eigentümer, die schon zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren | |
| (die sogenannten Altanschließer), wollten für die neuen Anlagen nicht | |
| zahlen. Es gab lange Gerichtsverfahren. Die meisten Satzungen der | |
| Abwasserverbände wurden für unwirksam erklärt. Viele Kostenbescheide | |
| verjährten. | |
| In dieser verfahrenen Situation beschloss der Brandenburger Landtag 2003 | |
| eine bis heute umstrittene Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG). | |
| Folge: Viele Kostenbescheide galten nun doch nicht als verjährt. Das | |
| Brandenburger Landesverfassungsgericht billigte die Änderung 2012. | |
| Präsident des Gerichts war damals: Jes Möller. Doch 2015 entschied das | |
| Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anders; die KAG-Änderung führe zu einer | |
| rechtsstaatlich unzulässigen Rückwirkung. | |
| Einige Wochen nach dem Karlsruher Beschluss wurde Jes Möller gefragt, wie | |
| er nun zum Urteil seines Landesverfassungsgerichts stehe: „Ich kann nur | |
| sagen: Ich würde jeden Satz, jedes Wort noch einmal so schreiben. Ich stehe | |
| zu jedem Satz, zu jedem Wort, das wir geschrieben haben“, antwortete Möller | |
| laut Potsdamer Neuesten Nachrichten. Vilma Nicolas, die als Anwältin viele | |
| Altanschließer vertreten hat, hält das für bedenklich: „Charakterlich ist | |
| es keine Stärke, offensichtliche verfassungswidrige Fehlentscheidungen | |
| nicht zugeben zu können.“ | |
| Falls Jes Möller nach Karlsruhe berufen würde, könnte er dort wieder auf | |
| die Altanschließer treffen. Denn nach dem BVerfG-Beschluss von 2015 | |
| erhielten nur diejenigen ihre Beiträge zurück, die Widerspruch eingelegt | |
| hatten. Die anderen gingen leer aus und klagten deshalb. Laut TV-Sender rbb | |
| umfassten beide Gruppen rund 80.000 Personen. Bisher waren die Klagen bis | |
| zum Bundesgerichtshof erfolglos. Der Cottbusser Anwalt Frank Mittag hat | |
| deshalb bereits einige Dutzend Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe | |
| eingelegt. | |
| ## Vertrauliche Gespräche unter den SPD-Ministerpräsidenten | |
| Zuständig wäre nach derzeitigem Stand eine dreiköpfige Kammer, zu der auch | |
| Verfassungsrichter Johannes Masing – oder demnächst sein Nachfolger – | |
| gehört. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, schreibt Anwältin Vilma | |
| Niclas. Die Brandenburger Staatskanzlei weist jedoch den Verdacht weit von | |
| sich, Möller solle in Karlsruhe die Interessen des Landes vertreten. „Das | |
| ist absurd und war nie Thema“, sagte Regierungssprecher Florian Engels auf | |
| Nachfrage, „es geht uns ausschließlich um die juristische Expertise und die | |
| besondere Lebenserfahrung von Jes Möller.“ | |
| Tatsächlich wäre eine gezielte Einflussnahme Möllers auf die | |
| Altanschließer-Fälle auch nur schwer möglich. So werden die Dreier-Kammern | |
| immer wieder neu zusammengesetzt; und federführend für die | |
| Altanschließer-Klagen ist der erfahrene Verfassungsrichter Andreas Paulus. | |
| Richter, die am BVerfG Klientelinteressen vertreten, machen sich damit | |
| unmöglich und verlieren massiv an Respekt. | |
| Die Diskussion um Möller und die Kläranlagen zeigt aber zumindest eines: Es | |
| ist schwer, „den Osten“ Deutschlands zu repräsentieren, auch Ostdeutschland | |
| ist kein monolithischer Block. | |
| Die Wahl des Masing-Nachfolgers soll im Bundesrat am 5. Juni stattfinden – | |
| wenn sich die SPD bis dahin geeinigt hat. In den nächsten Tagen sind | |
| weitere vertrauliche Gespräche unter den SPD-Ministerpräsidenten geplant. | |
| 26 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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