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# taz.de -- Polizeigewalt in den USA: Reformresistenter Apparat
> Seit Jahren wird gefordert, die Polizei in den USA neu aufzustellen. Doch
> es ändert sich nichts, wie ein Blick auf Finanzen und Ausbildung zeigt.
Bild: Polizeireihe mit Holzschlagstöcken in Seattle, Demonstranten für den ge…
Eine Ratssitzung in Nashville, Tennessee am Dienstag dieser Woche. Dutzende
Bürger sind gekommen, um ihr Anliegen vorzubringen. In vielen anderen
US-Städten protestieren Menschen an diesem Tag bis in die Nacht hinein
gegen Polizeigewalt, hier warten die Bürger bis weit nach Sonnenuntergang,
um den Ratsleuten ihre Vorschläge für den nächsten Haushalt zu
unterbreiten.
Ihre Hauptforderung lautet: „Kein Geld für die Polizei!“ Sie wollen, dass
der Etat für die Einsatzkräfte gekürzt wird. Und dass die Gelder
stattdessen in Schulen, in die Gesundheitsversorgung und in die
Gemeindezentren gesteckt werden.
In den USA ist dies keine neue Forderung. Vielerorts wollen Menschen, dass
der Polizei die Mittel gekürzt werden, manche halten es gar für die beste
Idee, die Polizei gleich ganz aufzulösen. Denn die Probleme sind ja nicht
erst bekannt, seit am 25. Mai ein weißer Polizist in Minneapolis so lange
mit seinem Knie auf den Hals des Schwarzen George Floyd gedrückt hat, bis
dieser tot war.
Aber das Video von dem brutalen Polizeieinsatz [1][hat Millionen Menschen
aufgerüttelt] und wurde der Auslöser für eine Welle von Protesten, die es
in dieser Vehemenz lange nicht gab. Für die Aktivisten, die sich seit
Jahren mit rassistischer Polizeigewalt befassen, war es ein neues
tragisches Kapitel in einer Geschichte, die so alt ist wie das Land selbst.
Die Gewalt gegen Floyd zeigt, dass alle Versuche, die Polizei zu
reformieren, gescheitert sind. Im Sommer 2014 schien es noch, als könnten
die Einführung von Körperkameras für alle Polizisten, eine verbesserte
Ausbildung und mehr Transparenz helfen. Damals war der unbewaffnete
Schwarze Teenager Mike Brown in Ferguson, Missouri, von der Polizei auf
offener Straße erschossen worden. In den wochenlangen Protesten, die
folgten, entstand auch die neue Bürgerrechtsorganisation Black Lives
Matter.
Doch die Polizei zeigte schon damals keine Reformbereitschaft. Bis heute
hat sich daran wenig geändert. Es blieb bei der tödlichen Gewalt, der vor
allem Afroamerikaner und Latinos zum Opfer fallen. Und die Täter können
weiterhin auf Straffreiheit hoffen.
Allein im vergangenen Jahr töteten Polizisten in den USA laut der
Rechercheplattform [2][mappingpoliceviolence.org] 1.099 Menschen. 31
Prozent davon waren Afroamerikaner, obwohl sie nur 13 Prozent der
Bevölkerung stellen.
## Wenige Stunden „Ethik“
Die Polizeieinheiten in den USA – von der Landgemeinde bis zur Großstadt –
dürfen sich unter Trump auch wieder mit Kriegsmaterial aus
US-Armeebeständen eindecken. Mit Gewehren mit Bajonett beispielsweise und
mit den minenfesten überfallgeschützten Panzerfahrzeugen MRAP.
Nach Ferguson hatte Präsident Barack Obama dafür gesorgt, dass bestimmte
Waffen nicht mehr in die Hände der Polizei kamen. Sein Nachfolger hat das
wieder aufgehoben.
Kaum verändert hat sich auch die Polizeiausbildung. In manchen
Bundesstaaten kann man in zwölf Wochen Polizist werden. Dabei werden Dinge
wie „Schlichtung und Konfliktmanagement“ und „Ethik“ in wenigen Stunden
abgehandelt. Selbst in New Jersey, Virginia und Massachusetts, den
Bundesstaaten mit der längsten Ausbildung für Polizisten, sind die
Absolventen schon nach sechs Monaten fertig. Anschließend können sie
Zusatzausbildungen machen.
Dabei spielt die israelische Armee eine wichtige Rolle. Jedes Jahr schult
sie mehrere Hundert Polizisten aus den USA. Tausende weitere
US-amerikanische Polizisten lernen den Umgang mit „Feinden“ von
israelischen Ausbildern, die in die USA kommen. Auch in Minneapolis hat
2012 eine solche Schulung stattgefunden. Ob der Täter von Minneapolis daran
teilgenommen hat, ist nicht bekannt. Er könnte die Knietaktik auch von
seinen Kollegen in Minnesota gelernt haben, wo sie häufig benutzt worden
ist. Aber Palästinenser fühlten sich durch das Video von seinem Knie auf
George Floyds Nacken an heimische Szenen erinnert.
Die Friedensgruppe Jewish Voice for Peace hat vor zwei Jahren eine Kampagne
gegen die Zusammenarbeit zwischen US-amerikanischer Polizei und
israelischer Armee gemacht. Doch damals reagierte nur die Stadt Durham in
North Carolina mit der Aufkündigung des Fortbildungsvertrags. Polizisten
aus mindestens elf Bundesstaaten lernen weiterhin bei der israelischen
Armee.
Geblieben ist es seit Ferguson auch bei der finanziellen Großzügigkeit
US-amerikanischer Gemeinden gegenüber ihrer Polizei. In Minneapolis, dessen
Bürgermeister Jacob Frey in seinem Wahlkampf sozialen Wohnungsbau und
bessere Beziehungen zwischen Bürgern und Polizei versprochen hatte, ist das
Polizeibudget für 2020 um 10 Millionen Dollar auf 193 Millionen erhöht
worden. Kandace Montgomery von der Bürgerinitiative Reclaim the Block hat
im Rat vergeblich für Kürzungen bei der Polizei und mehr Geld für
Drogenberatung und Gewaltprävention plädiert.
In New York City, der Stadt mit der weltweit stärksten Polizeieinheit
(36.000 Einsatzkräfte) und mit dem größten Budget, hat Bürgermeister Bill
de Blasio den Polizeihaushalt zwar um 23,8 Millionen Dollar gekürzt, aber
das macht nur 0,4 Prozent ihres 5-Milliarden-Dollar-Budgets aus.
Landesweit haben die weit rechts stehenden Gewerkschaften der Polizei
sowohl die Lokalpolitiker beider Parteien als auch die Direktkandidaten mit
Spenden unterstützt. Der New Yorker Gouverneur beispielsweise hat 600.000
Dollar von Polizeigewerkschaften bekommen.
Die meisten Polizeieinheiten in den USA unterliegen nicht dem Bundesrecht,
sondern lokalen und bundesstaatlichen Gesetzen. Diese Abhängigkeit von den
örtlichen Politikern und die kommenden Wahlen im November waren Gründe
dafür, dass sich Polizeichefs überall in den USA am 25. Mai beeilt haben,
die Gewalttat zu verurteilen und eine Gefängnisstrafe für den weißen
Polizisten zu fordern.
Mehrere Polizeichefs rangen dabei mit den Tränen. In ihrer Beschreibung ist
das Verbrechen von Minneapolis ein isolierter Einzelfall. In einigen
Städten mischen sich Chefs und auch ein paar Polizisten aus unteren
Diensträngen unter die Demonstranten. Sie knien nieder, beten, haken sich
unter und rufen: „Black Lives Matter!“
Aktivisten, die seit Jahren vergeblich für Veränderungen bei der Polizei
eintreten, sind gespalten über die symbolischen Gesten von Polizisten.
„Haltet unter allen Umständen Abstand von der Polizei“, raten viele ihren
Mitstreitern. Sie sagen, Polizisten hätten an verschiedenen Orten direkt
nach dem Knien auf Demonstranten eingeprügelt.
Der Polizeichef von Houston, Art Acevedo, geht besonders weit mit seiner
Kritik. Von Minneapolis verlangt er die Offenlegung aller Daten über das
Verbrechen. Und Präsident Donald Trump rät er, „den Mund zu halten, wenn er
nichts Konstruktives zu sagen hat“.
Am Dienstag ging Acevedo in seiner Stadt mit 60.000 anderen Menschen gegen
Polizeigewalt auf die Straße. Am Abend umzingelten ihn mehrere
Demonstranten. Sie werfen ihm „Lügen“ und „Scheinheiligkeit“ vor, weil…
die Videos zu sechs Menschen unter Verschluss hält, die seine Polizisten
binnen sechs Wochen in Houston getötet haben.
„Er sagt eine Sache und tut eine andere“, befindet Ashton Woods von Black
Lives Matter in Houston, „ich traue ihm nicht.“
New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio befindet sich in einem ähnlichen
Polizeidilemma. Er hat fünf Jahre verstreichen lassen, bevor er den
Polizisten entlassen hat, der im Juli 2014 den Zigarettenverkäufer Eric
Garner mit einem Würgegriff getötet hat. Aber über Minneapolis tweetet er:
„Ich bin entsetzt“ und verlangt sofortige Reaktionen.
Am Mittwochabend wurde de Blasio bei einem Protest in seinem Heimatbezirk
Brooklyn ausgebuht. Rufe ertönten. Ein Wort ist dabei deutlich zu
vernehmen, es lautet: „Rücktritt!“
5 Jun 2020
## LINKS
[1] /Historische-Chance-der-US-Proteste/!5686478
[2] http://mappingpoliceviolence.org
## AUTOREN
Dorothea Hahn
## TAGS
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