# taz.de -- Polizei und Bürger:innen in den USA: Vor dem Sommer der Unruhen | |
> Wie könnte das Vertrauen in die US-Polizei wiederhergestellt werden? In | |
> Cincinnati haben Bürger:innen einen Forderungskatalog aufgestellt. | |
Bild: Proteste nach dem gewaltsamen Tod von Goerge Floyd in Cincinnati | |
Seit dem [1][gewaltsamen Tod von George Floyd] nach der Verhaftung durch | |
die Polizei von Minneapolis kommt es auch in Cincinnati/Ohio immer wieder | |
zu Großdemonstrationen gegen exzessive Polizeigewalt. Auch in Cincinnati | |
hat die Polizei auf diese Proteste mit ungewöhnlicher Härte reagiert und | |
Hunderte friedliche Demonstranten festgenommen. | |
Dabei kam es auch zu Gewalt gegen PressevertreterInnen: Bei einer | |
Massenfestnahme wurde ein Reporter der Lokalzeitung Cincinnati Enquirer von | |
Beamten gewaltsam zu Boden gerungen. Er saß bereits 30 Minuten in Haft, bis | |
es Stadträten gelang, seine sofortige Freilassung zu erzwingen. | |
Viele Festgenommene hatten weniger Glück. Rund hundert von ihnen wurden in | |
den Hof des örtlichen Gefängnisses gepfercht, Zugang zu Trinkwasser und | |
Essen wurde ihnen ebensowenig gewährt wie der Gang zur Toilette. Trotz | |
sinkender Temperaturen gab es keine Decken, Social Distancing war | |
unmöglich, Sheriffs nahmen den Festgenommenen die Atemschutzmasken weg. | |
Die Bürgerrechts-NGO „ACLU“ (American Civil Liberties Union) stellte hierzu | |
fest, dass die Behandlung der Festgenommenen fundamental gegen die Praxis | |
in Cincinnati verstößt, Verdächtige nach Feststellung der Personalien | |
umgehend freizulassen, sofern sie nur Ordnungswidrigkeiten begangen haben. | |
Die Proteste in Cincinnati blieben nicht friedlich. Es kam zu | |
Sachbeschädigungen und Plünderungen. Gegen einige Festgenommene wird wegen | |
Brandstiftung und Hausfriedensbruch ermittelt. Bei einer Demonstration | |
erhielt ein Polizist einen Streifschuss, der glücklicherweise an seinem | |
Helm abprallte. | |
Die Ermordung von George Floyd am 25. Mai ist ein Katalysator für die | |
Ereignisse auch in Cincinnati, wie für die [2][anhaltenden Proteste im | |
ganzen Land.] Dass der USA ein langer, heißer Sommer der Unruhen | |
bevorsteht, musste allen bewusst gewesen sein. Denn seit Präsident Trump | |
2017 sein Amt übernommen hat, maskiert sich der Rassismus in den USA nicht | |
mehr, er tritt wieder offen zutage, nicht nur bei der Polizei. | |
## Teufelskreis der Diskriminierung | |
Soziale Ungleichheit und diskriminierende Praktiken haben die Bewältigung | |
des Alltags für manche Menschen noch weiter erschwert und für viele | |
schlicht unerträglich werden lassen. Man kann diesem Teufelskreis im | |
Zeitalter von Social Media nicht mehr entgehen. | |
„Was Vergangenheit ist, ist Prolog“, hat Shakespeare einst postuliert. Die | |
„Black Lives Matter“-Bewegung, die in den USA seit 2013 landesweit in den | |
Schlagzeilen ist, hat in Cincinnati Wurzeln, die fast 20 Jahre | |
zurückliegen. Im April 2001 wurde der unbewaffnete schwarze Teenager | |
Timothy Thomas von zwei Polizisten festgenommen, weil er Strafzettel nicht | |
bezahlt hatte, die er wegen Fahrens ohne Sicherheitsgurt und anderer | |
Kleindelikte kassiert hatte. Bei seinem Versuch zu flüchten, wurde Thomas | |
erschossen. Cincinnati hat eine weiße Bevölkerungsmehrheit. Allein zwischen | |
1995 und 2001 wurden 15 Verdächtige mit schwarzer Hautfarbe von der Polizei | |
erschossen, bei keinem erschossenen weißen Verdächtigen im gleichen | |
Zeitraum. | |
Nach dem gewaltsamen Tod von Thomas kam es zu großen Demonstrationen, auch | |
zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Folge war eine | |
mehrtägige Ausgangssperre. Nach öffentlichem Druck strengten die | |
Bundesbehörden damals eine Klage gegen die Stadtverwaltung an, mit dem von | |
beiden Seiten getragenen Beschluss, die örtliche Polizei zu reformieren. | |
Seit damals tragen Beamte in Cincinnati Body-Kameras, die ihre Einsätze | |
aufzeichnen. | |
Außerdem wurde eine Beschwerdestelle für BürgerInnen eingerichtet, um den | |
Einsatz von „massiver Gewalt“ der Polizei von unabhängiger Seite zu | |
dokumentieren. Damals wie heute war Racial Profiling bei Verkehrskontrollen | |
ein Problem. Polizisten mussten bei solchen Einsätzen die Hautfarbe aller | |
FahrerInnen und Passagiere angeben. | |
Damit sich eine Erschießung wie die von Thomas nicht wiederholt, wurde von | |
den Polizisten verlangt, dass sie die Fluchtgefahr Verdächtiger | |
vorsichtiger einschätzen. Damit sollte verhindert werden, dass Polizisten | |
sofort zur Waffe greifen. | |
## Bis heute ungeklärte Erschießungen | |
Das gemeinsame Abkommen war zwar kein Allheilmittel, es konnte dennoch die | |
[3][Spannungen zwischen der Community und der Polizei] in Cincinnati für | |
längere Zeit entschärfen. Ein gewaltfreies Paradies ist die Stadt freilich | |
nicht, es kommt immer wieder zu Fällen, in denen BürgerInnen von der | |
Polizei erschossen werden. Bis heute ungeklärt ist etwa, warum David | |
„Bones“ Herbert, eine Lokalgröße der Musikszene am 18. April 2011 auf | |
offener Straße von einem Polizisten erschossen wurde. Der Fall war auch | |
deshalb so prominent, weil Herbert ein Weißer war. | |
Für Unruhe sorgte auch die Erschießung von Quandavier Hicks, der am 9. Juni | |
2015 sein Leben ließ, als die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl in seine | |
Wohnung eindrang, er diese fatalerweise für Einbrecher hielt und nach | |
seiner Waffe griff. Nur einen Monat später wurde der unbewaffnete Schwarze | |
Sam DuBose von der Campus-Polizei der Universität Cincinnati erschossen, | |
nachdem er wegen eines fehlenden Pkw-Kennzeichens angehalten wurde. | |
## Massiver ziviler Ungehorsam | |
Der zivile Ungehorsam nach dem Mord an George Floyd fiel auch deshalb so | |
massiv aus, weil die furchtbare Tat in allen US-Städten durch Polizeigewalt | |
verursachte traumatische Erinnerungen nach oben gespült hat. So auch in | |
Cincinnati, wo die Erinnerung an Sam DuBose und andere Opfer von | |
Polizeigewalt wieder aufflammte. Zugleich erinnerte man sich in Cincinnati | |
an die Reformen, die zuerst von Bürgerrechtsaktivisten angeregt wurden und | |
immerhin 2001 dazu geführt hatten, die Polizei stärker in die Verantwortung | |
zu nehmen. | |
Als ein Ergebnis der anhaltenden Proteste ging am Montag den örtlichen | |
Behörden ein von Aktivisten verfasster „Katalog mit 15 Forderungen der | |
BürgerInnen von Cincinnati“ zu. Das Dokument verbindet Forderungen aus dem | |
ganzen Land mit dringend benötigten praktischen Änderungen in Cincinnati | |
und erinnert an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. | |
Die wichtigste Forderung ist, dass alle Polizisten, die am Mord an George | |
Floyd in Minneapolis beteiligt waren, [4][für die Tat zur Rechenschaft | |
gezogen werden]. Dass der Mörder von Sam DuBose sich vor Gericht in | |
Cincinnati für seine Tat verantworten muss. Dass die örtlichen Schulen | |
gründlich überarbeiten, was sie SchülerInnen über die Polizei beibringen. | |
Wichtig erscheint auch, dass den Polizisten psychotherapeutische Behandlung | |
zustehen soll. Dass sie das ständige Schusswaffentraining zurückfahren, | |
damit sie diese nicht schon beim geringsten Anlass einsetzen. | |
## Transparenz der Polizeiarbeit | |
Der Forderungskatalog zählt einige der schon beim Abkommen 2001 | |
beschlossenen Eckpunkte erneut auf. Die Kameras der Polizei müssen | |
angeschaltet und im Beschwerdefall unverzüglich abrufbar sein. Beschwerden | |
über ungeklärte Fälle können auf der Homepage der Polizei einsehbar für | |
alle dokumentiert werden, genau wie die Daten und Dauer von Einsätzen der | |
Polizei in allen Vierteln der Stadt. | |
Zu den Kernpunkten des Abkommens von 2001 gehörten Transparenz und | |
Verantwortlichkeit von Polizeiarbeit. Im aktuellen Forderungskatalog wird | |
nachhaltig daran erinnert und die Umsetzung dieser Prinzipien angemahnt. | |
## Schulung in Deeskalation | |
Konkret im Forderungskatalog von Cincinnati ist auch die Aufforderung an | |
die Polizei, das Gewissen ihrer BeamtInnen zu schärfen: Dafür sollen sie | |
jedes Jahr einen Kurs in „Cultural Awareness“ absolvieren und eine | |
„De-Eskalations“-Schulung durchlaufen. Man besteht darauf, dass BeamtInnen | |
auch ehrenamtlich in den Communities unterwegs sind, die sie patroullieren. | |
Und nachdrücklich wird die Polizei darauf hingewiesen, den exzessiven | |
Einsatz von Gewalt unter keinen Umständen in ihren Reihen zu tolerieren. | |
In der Debatte nach dem Mord an George Floyd hat der „Forderungskatalog“ | |
von Cincinnati bereits Früchte getragen. Stadtrat P.G. Sittenfeld hat nun | |
seine „pragmatische Umsetzung“ beschlossen. Medien im ganzen Land und in | |
aller Welt berichten nun darüber. Bleibt zu hoffen, dass die Polizeiarbeit | |
nicht nur in Cincinnati dadurch endlich reformiert wird. | |
Aus dem Englischen von Julian Weber | |
7 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ken Katkin | |
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