# taz.de -- Historische Chance der US-Proteste: In der Tragik liegt Kraft | |
> Wenn es einen Moment gibt, den die USA positiv nutzen könnten, dann | |
> diesen. Jetzt ist die Zeit, rassistische Polizeigewalt per Gesetz zu | |
> verbieten. | |
Bild: Ein Polizist verhaftet eine Demonstrantin in Los Angeles | |
Wenn es Hoffnung auf eine politische Wende zum Besseren in den USA gibt, | |
dann liegt sie bei jenen, die jetzt in täglich wachsender Zahl auf den | |
Straßen sind: Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften, Linksradikale, die | |
Antifa, die Intellektuellen und die vielen schwarzen und die Handvoll von | |
weißen Kirchen. Die Hoffnung ist nicht die Demokratische Partei, die bei | |
den Präsidentschaftswahlen mit dem denkbar schwächsten Kandidaten seit | |
Jahrzehnten antreten will und die in dieser Krise wie gelähmt ist. Und die | |
Hoffnung sind erst recht nicht die RepublikanerInnen, die ihren Anstand, | |
ihre Moral und ihre Prinzipien vor den Füßen Donald Trumps abgelegt haben. | |
Die Bewegung hat erkannt, dass dies ein historischer Moment ist, den sie | |
nutzen muss. Der Mord eines unbewaffneten schwarzen Mannes durch einen | |
weißen Polizisten, dem seine Komplizen in Uniform den Rücken deckten, war | |
der Auslöser. Aber er ist nicht der einzige Grund für die massiven | |
Proteste, die sich auf alle 50 Bundesstaaten ausgedehnt haben. Schon vor | |
George Floyd sind in den vergangenen Jahren Hunderte schwarzer Männer und | |
Frauen brutal von der Polizei getötet worden. | |
Was dieses Mal anders macht, ist einerseits die politische Lage nach | |
dreieinhalb Jahren Verrohung durch Trump. Andererseits ist es die Pandemie, | |
die Millionen US-AmerikanerInnen in die Verelendung stürzen wird. Viele | |
wegen Covid-19 Gefeuerte erhalten bislang noch die befristete | |
Arbeitslosenhilfe. Aber ab Juli stehen sie vor einem Abgrund, ihnen drohen | |
Räumungen, Obdachlosigkeit und Armut. | |
Krisen in den USA hatten immer eine Hautfarbe. Das gilt auch in der | |
Pandemie. Am schwersten betroffen sind die Niedriglohnbeschäftigten. Sie | |
lebten schon zuvor von der Hand in den Mund. Wie bei anderen | |
gesellschaftlichen Übeln – von der medizinischen Unterversorgung über | |
miserabel ausgestattete Schulen bis hin zur behördlichen Repression – hat | |
die Pandemie die „Minderheiten“, AfroamerikanerInnen und Latinos, besonders | |
stark getroffen. Unter ihnen sind prozentual die meisten Todesopfer zu | |
beklagen. In ihren Reihen finden sich prozentual die meisten Arbeitslosen. | |
Sie spüren – und die ÖkonomiebeobachterInnen geben ihnen recht –, dass sie | |
unabsehbar lange mittellos bleiben werden. Weit über den Zeitpunkt hinaus, | |
zu dem die meisten Unternehmen und Konzerne sich erholt haben werden. Diese | |
Aussicht auf Elend gibt der Wut über die rassistische Polizeigewalt von | |
Minneapolis eine zusätzliche Dimension. | |
Wenn es einen tragischen Moment gibt, den die USA positiv nutzen könnten, | |
dann diesen. Jetzt ist der Zeitpunkt, um [1][rassistische Polizeigewalt] | |
per Gesetz zu verbieten. Jetzt ist der Zeitpunkt, um Krankenversicherungen | |
für alle einzuführen. Und jetzt ist der Zeitpunkt, um Mindestlöhne | |
durchzusetzen, von denen die Beschäftigten leben können. | |
[2][Mit Donald Trump ist nichts davon zu erreichen]. Er – und seine Partei | |
– sind Teil des Problems. Auch von Joe Biden, dem mutmaßlichen | |
Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, ist wenig zu | |
erwarten. Er zeigt kein Interesse daran, die sozioökonomischen Missstände, | |
die durch die Pandemie bis zur Unerträglichkeit verschärft werden, radikal | |
zu verändern. | |
Trotz dieser mangelnden Repräsentation an der Spitze waren die Aussichten | |
der Bewegung auf radikale Veränderungen lange nicht besser. Der nötige | |
Druck von unten ist da. Er kann dafür sorgen, dass die Bundesstaaten dort | |
aktiv werden, wo die Bundesregierung versagt. Bei früherer Gelegenheit hat | |
das etwa Kalifornien mit Umweltgesetzen getan, jetzt könnten New York, New | |
Jersey und Illinois – Bundesstaaten mit großen Rassismusproblemen bei der | |
Polizei und mit starken demokratischen Mehrheiten, zur Avantgarde werden. | |
Sie könnten rassistische Polizeigewalt qua Gesetz kriminalisieren, | |
Gesundheitsversorgung für alle und höhere Mindestlöhne durchsetzen. So | |
würden sie der Protestbewegung zeigen, dass sie verstanden haben, zugleich | |
dem Rest des Landes den Weg weisen und den nächsten Präsidenten, den | |
nächsten Kongress, unter Zugzwang setzen. | |
Wer sich stattdessen darauf konzentriert, ein [3][Ende der Plünderungen zu | |
fordern], ist Donald Trump bereits auf den Leim gegangen. Die Menschen, die | |
jetzt Lokale abfackeln und Geschäfte ausräumen – darunter Schwarze und | |
Weiße –, sind meist weder WählerInnen noch AktivistInnen. Sie sind nicht | |
Teil einer Bewegung, sondern TrittbrettfahrerInnen. Dass sie quer durchs | |
Land für politische (und polizeiliche) Argumente unerreichbar sind, ist | |
nicht die Verantwortung der Protestbewegung. | |
Wenn einzelne Bundesstaaten begännen, die Ungerechtigkeiten abzuschaffen, | |
die zu den Protesten geführt haben, wird sich das Problem der Plünderungen | |
von ganz allein und nebenbei erledigen. | |
4 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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