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# taz.de -- Flüchtling über das Warten der Sahraouis: „Unsere Frauen sind d…
> Ali M'Barek-Mouloud musste als Kind aus Westsahara fliehen. Ein Gespräch
> über einen von der Welt vergessenen Konflikt und beduinische
> Willensstärke.
Bild: Eine Gruppe Frauen in der Westsahara, unter ihnen die Aktivistin Aminatou…
taz: Herr M'Barek-Mouloud, wie hat sich der Konflikt in Westsahara auf Ihr
Leben ausgewirkt?
Ali M'Barek-Mouloud: Ich bin mit meiner Familie 1975/76 durch die Sahara
geflüchtet. Da war ich neun oder zehn Jahre alt. Wir sind einen Monat lang
durch die Wüste geirrt, die marokkanische Armee hinter uns. Wir haben sehr
gelitten. Der einzige Ausweg war der über die algerische Grenze. 200.000
von uns leben dort seither, in einem Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt
Tindouf, wo auch unsere Regierung der Demokratischen Arabischen Republik
Sahara ihren provisorischen Sitz hat.
Sahrauis leben seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern. Was macht das mit
einer Kultur?
Eines der größten Ziele unserer Befreiungsbewegung Polisario war es, aus
diesem Beduinenvolk voller Analphabeten ein gebildetes Volk zu machen. Alle
– Jungen und Mädchen! – sollten Lesen und Schreiben lernen. Das ist
gelungen. Viele haben auch im Ausland studiert. Aber in den Lagern gibt es
natürlich keine Jobs. Die sind immer noch vollkommen abhängig von
Lebensmittellieferungen und Unterstützungen von außen.
Wie lange haben Sie dort gelebt?
Ich wurde ziemlich bald zusammen mit anderen – mehr als tausend Kindern
aller Altersstufen – in ein Internat nach Libyen geschickt. Damals noch
unter Gaddafi. Der hat uns sehr unterstützt. Das war natürlich hart, vor
allem für die Kleinen, die zum Teil noch im Kindergartenalter waren. Aber
unsere Eltern haben das für notwendig gehalten. Unsere Väter waren ja
sowieso im Krieg, unsere Mütter haben die Flüchtlingslager aufgebaut. Das
muss ich an dieser Stelle sagen: [1][Unsere Frauen, die sahrauischen
Frauen,] sind wirklich die tapfersten, geduldigsten, die allerbesten Frauen
der Welt. Was die alles leisten, in den Flüchtlingslagern, in den besetzten
Gebieten, da kann ich nur sagen – Hut ab.
Wie sind Sie dann nach Deutschland gekommen?
1988 wurde ich zur Ausbildung in die DDR geschickt. Ich habe dort
Krankenpfleger gelernt. Und die Wende und den Fall der Mauer miterlebt!
1991 bin ich dann ins Lager zurückgekehrt, weil es ja den Waffenstillstand
und den UN-Plan gab und wir uns auf das Unabhängigkeits-Referendum
vorbereiteten. Dazu sollten zunächst alle stimmberechtigten Sahrauis
erfasst werden. Auf dieses Referendum warten wir immer noch. Seit fast 29
Jahren. Marokko findet immer wieder einen Weg, es zu verhindern und Jahr
für Jahr weiter aufzuschieben.
Also kehrten Sie nach Deutschland zurück?
Für eine Rückkehr hatte ich kein Visum. Also blieb ich letztlich sechs
Jahre da. Dann bin ich 1996 nach Hannover gekommen und habe meine
Ausbildung noch einmal von vorne angefangen. Seitdem lebe ich hier und
arbeite in der Krankenpflege, erst in der Klinik, jetzt in einem Altenheim.
Ich habe drei Töchter.
Und was passiert nun in Ihrer Heimat?
In meiner Heimat herrscht Stillstand. [2][Es gibt keinen Krieg, aber auch
keinen Frieden.] Die Sahrauis sind sehr unzufrieden mit dem UNO-Plan. Die
meisten sind wie ich der Meinung: Die UNO arbeitet nur für Marokko.
Dahinter steckt letztlich Frankreich, das weiß jeder, der das Problem
kennt. Mit ihrem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat blockieren die Franzosen
jeden Fortschritt und schützen Marokko. Frankreich ist die eigentliche
Besatzungsmacht im Hintergrund.
Trotzdem setzt die sahrauische Befreiungsbewegung weiter auf Verhandlungen?
Die Jugend will nicht mehr. Die Jugend will schon seit zehn Jahren Krieg.
Sie sind sauer auf die Polisario, dass die immer noch an diesem
Friedensprozess festhält und an einen diplomatischen Weg glaubt. Dabei ist
dieser Frieden eine Lüge. Nichts als eine Hinhaltetaktik, in der Hoffnung,
dass die Sahrauis aufgeben, die Lager verlassen, zurückkehren in die
besetzten Gebiete und sich Marokko unterwerfen oder in alle Welt verstreut
werden und irgendwo anders leben. Damit hätte sich das Problem für Marokko
erledigt.
Aber der Waffenstillstand hält?
Mit dem Waffenstillstand kann Marokko gut leben, sie haben unter unseren
Angriffen sehr gelitten, sie hatten viele Verluste, obwohl unsere Armee so
viel kleiner ist. Jetzt verschanzen sie sich hinter ihrer Mauer. Wir nennen
sie „die Mauer der Schande“. 2700 Kilometer lang zieht sich die, von Nord-
bis Südwestsahara, bewacht von 150.000 marokkanischen Soldaten auf der
einen Seite und mehr als 10 Millionen Landminen auf der anderen Seite.
Immer noch sterben dort jedes Jahr Menschen und Tiere oder werden
verstümmelt.
Warum greift die Polisario dann nicht wieder zu den Waffen?
Keiner der Krieg erlebt hat, will ihn wieder haben. Außerdem muss man
bedenken, was das für die gesamte Region bedeutet. In unserer Kultur sagt
man: Für ein Rennen braucht man nicht nur Beine, man braucht auch Augen.
Für Algerien, unseren größten und wichtigsten Unterstützer, wäre ein Krieg
schlecht. Für unsere Stellung innerhalb der Afrikanischen Union auch.
Was macht es mit einer Kultur, immer auf den Tag X zu warten? Wie hält man
das durch?
Mit dem Glauben. Dem festen Glauben, dass es eines Tages passieren wird.
Weil es unser Recht ist, unser Recht auf Selbstbestimmung und auf Freiheit.
Und weil die Gerechtigkeit irgendwann siegen muss. Wir geben nicht auf, das
liegt in unserer Natur, in unserem Charakter. Wir sind Beduinen. Wir
überleben schon immer unter schlechten Bedingungen – mit nichts als
Kamelmilch, Ziegenmilch und ein bisschen Fleisch.
Was sagen Sie dazu, dass Contitech aus Hannover beim marokkanischen
Phosphatgeschäft in Westsahara mitmischt?
Wir Sahrauis wünschen uns, dass Contitech aufhört, die Besatzung und
Ausbeutung der Westsahara durch Marokko zu unterstützen, wenn das aktuelle
Abkommen in diesem Sommer ausläuft. [3][Es ist international anerkannt,
dass Marokko kein Recht auf dieses Gebiet hat.] Und damit auch kein Recht,
diese Phosphat-Mine weiter auszubeuten. Mit Marokko kann Conti ja Geschäfte
machen, so viel es will – aber nicht auf westsaharischem Gebiet.
31 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Nadine Conti
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