Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Handel und Menschenrechte: Conti stellt auf Durchzug
> Wie sich eine Tochter des Hannoverschen Automobilzulieferers Continental
> in Westsahara engagiert und in Konflikt mit dem europäischen Recht gerät.
Bild: Besetztes Land: Protestcamp am Rande von Westsaharas Hauptstadt El Aaiún…
Hannover taz | Dass die Standards des humanitären Völkerrechts manchmal
eben doch schwerer wiegen als globalisierte Wirtschaftsinteressen, zeigte
sich im Mai 2017 im südafrikanischen Port Elizabeth. Die Zollbehörden der
Hafenstadt beschlagnahmten damals die 54.000 Tonnen schwere Phosphatladung,
die an Bord eines Frachters aus der seit 1976 völkerrechtswidrig von
Marokko besetzten Westsahara auf dem Weg nach Neuseeland war.
Ein spektakulärer Fall, der Warenwert betrug 5,2 Millionen US-Dollar. Im
Februar 2018 schließlich urteilte das Oberste Gericht in Südafrika, dass
die Demokratische Arabische Republik Sahara, der Exilstaat der sahrauischen
Urbevölkerung in den algerischen Flüchtlingslagern, rechtmäßige
Eigentümerin der Phosphatfracht sei. Ein Präzedenzfall auch für die
Befreiungsbewegung Frente Polisario, die von der UNO anerkannte Vertreterin
des [1][Kampfes der Sahrauis] um ihr Recht auf Selbstbestimmung.
Nun hat Südafrika aufgrund seiner eigenen Geschichte der Unterdrückung und
Befreiung eine besondere Beziehung zur Westsahara. So wird die
Demokratische Arabische Republik Sahara von Pretoria als eigener Staat
anerkannt – Deutschland dagegen tut das nicht.
Und auch deutsche Firmen nehmen es beim Thema Ressourcenabbau in dem Gebiet
mit dem Völkerrecht nicht so genau. An der in Südafrika beschlagnahmten
Phosphatladung zum Beispiel war auch der [2][Hannoveraner Konzern
Continental AG], beziehungsweise dessen Tochtergesellschaft Contitech AG,
zumindest indirekt beteiligt. Das Phosphatgestein wurde in der Mine Bou
Craa im von Marokko besetzten Teil der Westsahara abgebaut.
## Beihilfe zum Rohstoffraub
Contitech hat einen Liefervertrag mit der staatlichen marokkanischen Firma
OCP mit Sitz in Casablanca, der nach fünf Jahren Laufzeit gerade neu
verhandelt wird. Das Unternehmen liefert Ersatzteile für das über 100
Kilometer lange Förderband, auf dem das Phosphatgestein von der Mine,
betrieben von der OCP-Tochtergesellschaft Phosboucraa, in die Küstenstadt
El Aaiún am Atlantik transportiert und von dort weltweit verschifft wird.
„Der Abbau des Phosphates findet in einem besetzten Gebiet und ohne
Zustimmung der Polisario als einziger rechtmäßiger Vertretung der Sahrauis
statt und verstößt damit gegen das Völkerrecht“, sagt Tanja Brodtmann,
Vorsitzende des [3][Bremer Vereins „Freiheit für die Westsahara“.]
Bei der Westsahara handelt es sich laut der UNO um ein sogenanntes
Hoheitsgebiet ohne Selbstverwaltung. Als die spanische Kolonialmacht 1975
abzog, marschierte Marokko in das Territorium ein und kontrolliert seitdem
den größten Teil. Während eines [4][Krieges mit der Frente Polisario] floh
ein Großteil der Sahrauis in Flüchtlingslager nach Algerien, die heute noch
existieren. Ein von der UNO 1991 in Aussicht gestelltes Referendum über die
Zukunft der Westsahara hat bis heute nicht stattgefunden.
Stattdessen beutet Marokko weiterhin die üppigen Bodenschätze in den
besetzten Gebieten aus. Die Westsahara verfügt mit etwa 10.000 Millionen
Tonnen über etwa ein Siebtel der weltweiten Vorkommen an Phosphat, das
hauptsächlich für die Produktion von Düngemitteln genutzt wird. Laut der
international tätigen Organisation Western Sahara Ressource Watch wurden
2019 etwa eine Millionen Tonnen Phosphat mit einem Wert von etwa 90
Millionen Dollar in der Mine Bou Craa abgebaut.
Ende März dieses Jahres hat Frente Polisario ein Protestschreiben an Hannes
Friederichsen, Leiter des Geschäftsbereiches für Transportlösungen bei
Contitech, verschickt. Die Befreiungsbewegung beruft sich darin auf ein
Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Dezember 2016, wonach
Marokko und die Westsahara zwei getrennte Territorien sind und Marokko dort
keine Souveränität besitzt, sondern nur den Status einer militärischen
Besatzungsmacht nach der IV. Genfer Konvention.
Die erlaube es einer Besatzungsmacht nicht, die Bodenschätze eines
besetzten Gebietes abzubauen. „Mit Ihren Aktivitäten in der Westsahara
intervenieren Sie in einem Territorium, das uns gehört, und beteiligen sich
an der Plünderung unserer Bodenschätze, was die zivil- und strafrechtliche
Verantwortung Ihres Konzerns und seiner Führung nach sich zieht“, wird Oubi
Bouchraya Bachir, Polisario-Beauftragter für Europa und die Europäische
Union, in dem Schreiben recht deutlich.
Eine Antwort von Contitech-Direktor Hannes Friederichsen an die Polisario
steht nach Informationen der taz nord noch aus.
## Besatzungsmacht Marokko
In einer Analyse der völkerrechtlichen Aspekte des Westsahara-Konflikts
sind auch die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages 2019 zu
dem Ergebnis gekommen, dass Marokko „als Besatzungsmacht anzusehen“ sei.
„Wir hoffen aufrichtig, dass Unternehmen die Schlussfolgerung des Berichts
zur Kenntnis nehmen, dass Marokko die Westsahara besetzt. (…) Uns erscheint
es undenkbar, dass verantwortungsbewusste Firmen mit einer Verletzung des
Völkerrechts in Verbindung gebracht werden wollen“, kommentiert Tim Sauer
von Western Sahara Ressource Watch.
Während sich die Führungsriege bei Contitech in der Kommunikation zur
Westsahara eher bedeckt gibt, erhält man aus der Presseabteilung des
Unternehmens recht zügig Antworten. „Wir weisen darauf hin, dass
Continental nicht im Territorium von Westsahara tätig ist. Contitech
beziehungsweise Continental sind weder ein Bergwerksbetreiber noch planen
oder errichten sie ganze Anlagen oder Installationen“, schreibt Jochen
Vennemann, Referent für Externe Kommunikation bei der Contitech AG.
Eine doch etwas überraschende Einschätzung der Situation, da die
Förderbänder des Unternehmens ja wissentlich auch in der Mine Bou Craa in
der besetzten Westsahara eingesetzt werden. Sprecher Vennemann verweist auf
die Tatsache, dass der Vertragspartner und Auftraggeber OCP ja seinen Sitz
in Marokko habe. Bereits 1971, also noch zu Zeiten der spanischen
Kolonialherrschaft über das Gebiet der Westsahara, hatte Continental Teile
des Förderbands für die Phosphatmine in Bou Craa geliefert.
Immer wieder betont das Hannoversche Unternehmen seine soziale
Verantwortung. Man sei Teil der United Nations Global Compact Initiative
und deren Prinzipien zu Menschenrechten, Arbeitsrecht, Umweltschutz und dem
Kampf gegen Korruption, schrieb Hannes Friederichsen bereits 2017 an
Western Sahara Ressource Watch. Auch Pressesprecher Vennemann bringt die
Hoffnung „auf eine friedliche Lösung der Gesamtsituation zum Wohle der
Menschen in der Westsahara“ zum Ausdruck.
Laut der Homepage des örtlichen Minenbetreibers Phosboucraa hat das
Unternehmen dort 2.100 Mitarbeiter, darunter auch einige Hundert Sahrauis.
Man bekennt sich zur lokalen Verwurzelung und sozialen Verantwortung.
Tanja Brodtmann vom Verein Freiheit für die Westsahara hält das regionale
Engagement für Augenwischerei des Konzerns. „Damit legitimieren sie
letztlich auch nur ihre Aktivitäten in einem besetzten Gebiet und
stabilisieren den völkerrechtswidrigen Zustand“, betont die Aktivistin. Man
könne nicht einzelne Sahrauis rauspicken und dann sagen, dass man etwas für
die Gesamtheit der angestammten Bevölkerung tue.
„Jegliche wirtschaftliche Aktivität in dem Gebiet ohne Beteiligung der
Sahrauis unterstützt und stabilisiert die Besatzung. Das Phosphat wird der
Bevölkerung weggenommen“, sagt Brodtmann.
Auch Katja Keul, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus dem niedersächsischen
Nienburg, betont, dass die Westsahara nicht Marokko ist. „Handelsverträge
wie die zwischen Marokko und der Europäischen Union können nicht das
Völkerrecht aufheben“, erklärt die Abgeordnete, die in diesem Zusammenhang
auch die Bundesregierung kritisiert.
„Man hört dort nur Floskeln über die Bestimmungen des Völkerrechts, weil
man keinen Ärger mit Marokko will. Das ist ein Freibrief für die
Unternehmen“. Contitech unterstütze mit seinen Aktivitäten den Bruch des
Völkerrechts in der Westsahara, erklärt Keul.
Ein Zeichen der Hoffnung für die Sahrauis gibt es allerdings: Der Handel
mit Phosphat aus der Westsahara ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu
2018 um nahezu die Hälfte eingebrochen. Große Unternehmen aus den USA und
Kanada haben sich aus dem Geschäft zurückgezogen – ob nun aus Verantwortung
für das humanitäre Völkerrecht oder aus Angst vor Prozessen und
Imageverlusten, ist unbekannt.
Mehr lesen Sie in der gedruckten Wochenendausgabe der taz nord und in
unserem [5][E-Paper]
29 May 2020
## LINKS
[1] /Menschenrechtspreis-fuer-Laila-Fakhouri/!5645226
[2] https://www.continental.com/de
[3] https://www.ben-bremen.de/index.php/netzwerk/ben-mitglieder/258-freiheit-fu…
[4] /Krieg-in-der-Westsahara/!5393032
[5] /e-Paper/Abo/!p4352/
## AUTOREN
York Schaefer
## TAGS
Kolonialismus
Westsahara
Polisario
Afrika
Ausbeutung
Völkerrecht
Westsahara
Westsahara
Marokko
Westsahara
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Streit um Verkehr nach Mauretanien: Neuer Krieg um Westsahara
Die Westsahara-Befreiungsbewegung Polisario kündigt den seit 1991 geltenden
Waffenstillstand mit Marokko auf. In der Wüste gibt es neue Kämpfe.
Flüchtling über das Warten der Sahraouis: „Unsere Frauen sind die Tapferste…
Ali M'Barek-Mouloud musste als Kind aus Westsahara fliehen. Ein Gespräch
über einen von der Welt vergessenen Konflikt und beduinische Willensstärke.
Menschenrechtspreis für Laila Fakhouri: Sahraui-Aktivistin wird geehrt
Sie ist 25 Jahre jung und kämpft gegen die Unterdrückung der Sahrauis durch
Marokko. Laila Fakhouri bekommt den Weimarer Menschenrechtspreis.
Krieg in der Westsahara: Der vergessene Konflikt in der Wüste
In der von Marokko besetzten Westsahara herrscht seit über 40 Jahren Krieg.
Doch die Gewalttaten scheren die Weltöffentlichkeit nicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.