# taz.de -- Hamburgs Innenstadt wird autoarm: Ein Leben ohne Auto ist möglich | |
> Aus der Hamburger Innenstadt sollen nach dem Willen der rot-grünen | |
> Koalition Autos zunehmend verschwinden. Das wird belebend auf die City | |
> wirken. | |
Bild: Ohne Autolärm noch schöner: Der Jungfernstieg als Treffpunkt | |
Oh mein Gott! In Hamburg soll der Jungfernstieg autofrei, der Busverkehr | |
auf der Mönckebergstraße reduziert, im Passagenviertel mehr Platz für die | |
Gastronomie gemacht, die Innenstadt AUTOARM! werden. Darauf haben sich SPD | |
und Grüne in Hamburg geeinigt. | |
Wenn Freunde und Verwandte Hamburg besuchten, waren sie immer etwas | |
enttäuscht, von der Innenstadt nach Geschäftsschluss. Sobald die Geschäfte | |
zu sind, gehen die Leute nach Hause oder fahren in andere Viertel, um Essen | |
zu gehen. Ich weiß, es gibt Restaurants in der Innenstadt, es gibt auch | |
Bars und das Thalia-Theater. Aber es scheint mir wenig, verglichen mit | |
anderen europäischen Innenstädten, wo die Leute in der Abendsonne auf | |
belebten Plätzen ihren Weißwein trinken. | |
Dann ist es an solchen Sommerabenden im Hamburger Stadtzentrum doch immer | |
so, als wäre die Welt nach Hause gegangen. Als wäre die ganze Innenstadt | |
nun geschlossen. Wo in anderen Städten das gesellige Leben anfängt, hört es | |
in Hamburg auf, verlagert sich in andere Stadtteile. Nur die Kids hängen | |
auf den Treppen am Jungfernstieg rum und gucken, ob einer guckt und | |
vielleicht aufs Maul haben will. | |
Und nun soll das alles zumindest ein bisschen anders werden. Nun soll am | |
größten deutschen Heiligtum geschraubt werden, am Straßenverkehr, und da | |
gibt es Erfreute und einen Haufen Empörte. „Dann geht das Hamburger Sterben | |
in die zweite Runde“, sagte ein Frank im NDR-Kommentarbereich. Das Leben | |
findet offensichtlich außerhalb statt. Dieser Frank ist also davon | |
überzeugt, dass „das Leben“ bisher mit einem PKW in die Innenstadt | |
hineingefahren ist und anders auch nicht kommt. | |
Ich kenne niemanden, der mit dem Auto in die Innenstadt fahren würde. Ich | |
habe viele Jahre bei Anwälten in der Innenstadt gejobbt, niemand ist dort | |
mit dem Auto zur Arbeit gekommen. | |
Wenn alle Menschen, die täglich in die Innenstadt kämen, um dort zu | |
arbeiten oder einzukaufen, mit dem Auto kämen, dann bräuchte die Innenstadt | |
wohl einen fußballfeldgroßen Parkplatz oder wolkenkratzerhohe Parkhäuser. | |
Straßenverkehr macht, entgegen der Behauptung mancher Franks, eine Stadt | |
nicht attraktiv. Und ich behaupte, es ist auch für die nur deshalb | |
attraktiv, mit dem Auto zu kommen, weil eben die meisten Menschen es nicht | |
tun. | |
Ich hatte vor kurzem eine Diskussion über das Fahrradfahren in Planten un | |
Blomen, das da eben nicht erlaubt ist. „Aber wenn man vorsichtig fährt, | |
dann ist das doch OK“, sagte mein Freund. „Aber das ist es nicht“, stritt | |
ich. Weil es eben nur OK ist, weil es nur wenige tun und man mit den | |
wenigen zurecht kommen könnte, irgendwie. Wenn aber alle Fahrradfahrer | |
durch Planten un Blomen fahren würden, dann hätten wir einen ziemlich | |
massiven Fahrradverkehr dort, und dann könnte der zweijährige Tom nicht | |
mehr frei auf den Wegen herumtapsen. Dann müssten die Eltern ihn die ganze | |
Zeit an der Hand halten, dann müssten die Fußgänger sich alle in acht | |
nehmen, die ganze Zeit. | |
Deshalb finde ich es richtig, dass es dort eben keinen Fahrradverkehr gibt. | |
Und ich halte es nicht für entschuldbar, wenn einige eben doch Fahrrad | |
fahren, weil sie sich dieses, in diesen Einzelfällen tatsächlich wenig | |
störende oder gefährdende, Recht auf Kosten derer nehmen, die darauf | |
verzichten und sich an die Regeln halten. | |
Wenn also in der Innenstadt die meisten Menschen auf ihr Auto verzichten, | |
und so ist es ja nun mal, warum sollen diese meisten Menschen den Lärm, den | |
Gestank und die Gefahr des Straßenverkehrs ertragen? Warum sollten sie | |
nicht lieber die Stadt so nutzen können, wie es viel schöner und angenehmer | |
ist, ohne Autos? | |
Ich weiß, es gibt Leute, die meinen, ohne ein Auto können sie gar nichts | |
mehr. Aber das trifft nur für extrem wenige Menschen mit einer körperlichen | |
Behinderung zu. Ich habe zwei Kinder aufgezogen, ohne ein Auto zu besitzen. | |
Wenn ein Leben ohne Auto möglich ist, dann ist das Shoppen in der | |
Innenstadt es erst recht. Ich glaube, es wird lebendiger werden, | |
großstädtischer, mehr Flaneure, Bummler, Familien, mehr Straßencafés, so | |
stelle ich mir das vor. | |
1 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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