# taz.de -- Schule in Berlin während Corona: Auf Lücke gelernt | |
> Sommerschulen und andere Hilfen sollen benachteiligte Kinder durch die | |
> Corona-Schulzeit geleiten. Langfristig fehle die Vision, sagen Kritiker. | |
Bild: Kein gutes Feeling, wenn die Schulen zu sind | |
BERLIN taz | Nach zwei Monaten Homeschooling mit ihrer achten Klasse sieht | |
Janina Bähre die aktuelle Situation einigermaßen nüchtern: „Schule ist | |
nicht ersetzbar“, das sei ihr Fazit, sagt die Lehrerin an einer Neuköllner | |
Gemeinschaftsschule. „Ich habe sechs Kinder aus ehemaligen | |
Willkommensklassen, die verstehe ich quasi überhaupt nicht mehr, weil sie | |
jetzt acht Wochen lang mehr oder weniger kein Deutsch gesprochen haben.“ | |
Sieben weitere Kinder hätten Förderbedarf, zudem seien einige auch in | |
normalen Zeiten oft einfach nicht zum Unterricht erschienen. „Da kann ich | |
natürlich digitale Lernräume einrichten und Wochenpläne verteilen“, sagt | |
Bähre. „Aber wenn da überhaupt keine Struktur zu Hause ist, dann hilft das | |
alles nichts, man muss ja auch wissen, was man mit so einem Wochenplan | |
jetzt anfängt.“ | |
Insbesondere [1][benachteiligte Kinder] treffen die Schulschließungen wegen | |
der Coronakrise hart – und zwar umso härter, je länger die Pandemie | |
andauert. Die Bildungsverwaltung hat Krisenprogramme aufgelegt, aber die | |
sind eben vor allem das: punktuelle Hilfen in der Not. Und zumindest die | |
bisher bewilligten Gelder für die LernBrücken, eines von zwei zentralen | |
Krisenprogrammen, reichen nicht, wie sich jetzt herausstellt. | |
„Ursprünglich war der Plan, dass wir mit den 3,2 Millionen Euro 240 Schulen | |
erreichen sollen“, sagt LernBrücken-Koordinatorin Annekathrin Schmidt von | |
der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung der taz. 240 Schulen, weil so viel | |
im sogenannten Bonusprogramm der Bildungsverwaltung sind, also besonders | |
viele benachteiligte SchülerInnen haben. „Wir sind jetzt bei rund 100 | |
Schulen und müssen genau gucken, welche Schulen wir noch dazunehmen | |
können“, sagt Schmidt. Es müsse klar sein: „So, wie es jetzt ausgestattet | |
ist, ist das ein Kriseninterventionsprogramm. Das ist kein | |
flächendeckendes Angebot für einen längeren Zeitraum.“ | |
Es fehle die Vision für die Langstrecke, für das kommende Schuljahr, | |
kritisieren SchulleiterInnen schon länger– auch wenn man natürlich noch | |
nicht genau sagen könne, wie sich die Coronasituation entwickele. „Es | |
fehlt eine Art Ideenwerkstatt“, sagt auch Tom Erdmann, Vorsitzender der | |
Berliner Lehrergewerkschaft GEW. „So wie 2015, als die geflüchteten Kinder | |
schnell in die Schulen integriert werden mussten, so etwas bräuchten wir | |
jetzt wieder.“ | |
## 10.000 Tablets und Akutprogramme | |
Neben den knapp [2][10.000 Tablets, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres | |
(SPD)] an die Schulen verteilt, sind die LernBrücken und die Sommerschulen | |
die beiden wichtigsten Akutprogramme. | |
Die Sommerschulen sollen in den großen Ferien beginnen und in den | |
Herbstferien weitergehen, sie richten sich an Kinder und Jugendliche der | |
Jahrgangsstufen 1 und 2 (Alphabetisierung) und 7 bis 9 (Vorbereitung auf | |
den Mittleren Schulabschluss) und sollen vor allem „Lernlücken“ im | |
Unterrichtsstoff schließen. Bei wem die Lernlücken groß sind, sollen die | |
KlassenlehrerInnen selbst feststellen. Rund 13.000 Kinder und Jugendliche | |
hofft Scheeres so zu „erreichen“. | |
Die LernBrücken hingegen laufen bereits seit April und sollen das | |
auffangen, was Schule gerade für Jugendliche wie die AchtklässlerInnen von | |
Janina Bähre eben auch ist: eine Sozialstation. 103 LernBrücken gebe es | |
inzwischen, sagt Schmidt. Pro LernBrücke würden im Schnitt etwa 30 Kinder | |
und Jugendliche erreicht – das heißt aktuell etwa 3.000 Kinder. | |
Das ist gut für jedes einzelne Kind, aber in Relation gesehen auch nicht | |
viel: Laut Berliner Schulstatistik 2019/20 haben allein ein Drittel der | |
GrundschülerInnen Anspruch auf Gelder aus dem Bildungs- und Teilhabepaket | |
und sind damit auch Zielgruppe der LernBrücke – das sind rund 58.000 | |
SchülerInnen. | |
Der Brückenschlag funktioniert so: Die sozialen Träger, mit denen die | |
Bildungsverwaltung für das Projekt zusammenarbeitet, bekommen eine | |
Pauschale von 2.700 Euro pro Woche. Sie müssen dafür verpflichtend 35 | |
Stunden pädagogisches Angebot bieten. Was das im Einzelnen sei, sei ganz | |
unterschiedlich, sagt Schmidt: „Manche haben eine konstante Gruppe von | |
Kindern aus einer Willkommensklasse, die sie jeden Tag betreuen, manche | |
coachen individuell jeweils zwei oder drei Kinder pro Klassenstufe.“ | |
Da gehe es weniger um den Lernstoff als vielmehr um das Drumherum, was die | |
SchülerInnen beschäftigt – und was verhindert, dass sie sich überhaupt mit | |
Mathe, Deutsch und Englisch beschäftigen können. „Wie gestalte ich meine | |
Freizeit, wie strukturiere ich den Tag, wenn die Schule nicht mehr den Takt | |
vorgibt“, sagt Schmidt. „Lernen im sozial-emotionalen Bereich“ nenne man | |
das. | |
## Immerhin wieder zwei Schultage | |
Genau das, was auch das Problem von Bähres SchülerInnen ist: „Ich würde | |
sagen, 75 Prozent sind im Homeschooling quasi nicht arbeitsfähig bei mir, | |
ob mit Tablet oder ohne“, sagt sie. Inzwischen seien die Jugendlichen | |
wieder an zwei Tagen pro Woche in der Schule, freitags dürfen zudem | |
diejenigen zusätzlich für einen Tag kommen, die besonderen Bedarf haben. | |
„Und immerhin, einen Schüler hat der Schulpsychologe in der LernBrücke | |
untergebracht.“ Für mehr reichten bei dem freien Träger aber die | |
Kapazitäten nicht, habe man ihr gesagt. | |
LernBrücken-Koordinatorin Schmidt betont, bisher hätten alle Anfragen von | |
Schulen bedient werden können. „Wir mussten noch keine Anfrage abweisen.“ | |
Bei den Sommerschulen setzt die Bildungsverwaltung laut eigenem Bekunden | |
vor allem auf Bewerbungen von pensionierten Lehrkräften, | |
Lehramtsstudierenden und auf „erfahrene Pädagogen und Sprachlehrer“, die | |
auch „bereits zahlreich einlaufen“ würden. Den regulären Lehrkräften will | |
die Bildungsverwaltung also wohl nicht die Sommerferien kürzen – was auch | |
für schwere Diskussionen mit den Personalräten sorgen dürfte. | |
Mindestens 15 Stunden wöchentlich für mindestens drei bis vier Wochen solle | |
es für die SchülerInnen geben, vor allem in den Kernfächern Mathe, Deutsch | |
und Englisch. Bei den GrundschülerInnen geht es vor allem ums Lesen- und | |
Schreibenlernen. | |
Immerhin: Die freiwilligen LehrerInnen bekommen dafür sechs Stunden | |
Fortbildung spendiert, um etwaige Lernlücken bei sich selbst zu schließen. | |
22 May 2020 | |
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[1] /Bilanz-des-Homeschooling-in-Berlin/!5675447&s=lehrerin+corona+anna+kl%C3%B… | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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