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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Polen: Tick, tack...
> Für die PiS-Regierung läuft der Countdown, sie will die Abstimmung am
> Sonntag durchziehen. Doch das Vorhaben könnte noch scheitern.
Bild: Trotz Coronagefahr am Sonntag zur Wahl: Plakate der Opposition in Warschau
Warschau taz | In Polen tickt die Wahluhr. Sie zählt die Tage, Stunden und
Sekunden bis zur Öffnung der Wahllokale herunter. Offiziell steht am
nächsten Sonntag eine [1][Präsidentschaftswahl] an. Die Wahllokale wären
von 7 bis 21 Uhr geöffnet. Doch dieses Mal löst das Ticken keine
erwartungsvolle Spannung aus, sondern Beklemmung und Angst. Denn mitten in
Corona-Zeiten eine landesweite Abstimmung durchzuführen, birgt das Risiko
von vielen Neu-Infizierten und Toten.
Die meisten polnischen Wähler und Wählerinnen lehnen eine Wahl zum jetzigen
Zeitpunkt ab. Es wäre kein Problem, diese um ein paar Monate zu
verschieben, wenn die Regierung den (Natur-)Katastrophenzustand ausrufen
würde. Drei Monate nach dem Ende der Gefahr würden dann ganz legal Wahlen
stattfinden können und der amtierende Präsident bliebe bis dahin im Amt. So
sieht es Polens Verfassung vor.
Doch genau das will Jaroslaw Kaczynski, der PiS-Parteichef und mächtigste
Mann Polens, auf keinen Fall. Denn der heutige Präsident und zugleich
PiS-Kandidat Andrzej Duda hat jetzt die besten Siegeschancen.
In drei oder sechs Monaten könnte die Situation jedoch schon ganz anders
aussehen. Nämlich dann, wenn die Wirtschaftslage sich weiter verschlechtern
und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schießen sollten.
## Guter Landesvater
Noch hat Polens Landbevölkerung von der sich anbahnenden Misere nicht allzu
viel mitbekommen, da der Staatssender TVP, der frühere
öffentlich-rechtliche Rundfunk, fast nur PiS-Erfolgspropaganda ausstrahlt
und Duda ausschließlich als guten Landesvater und würdigen Präsidenten
auftreten lässt.
Eine Wahlkampagne gab es aufgrund des Corona-Versammlungsverbots nicht.
Kritische Privatsender als Informationsquelle leisten sich fast nur
Städter. Polens Wahlen werden aber auf dem Land entschieden.
Kaum hatte Kaczynski begriffen, dass in Corona-Zeiten traditionelle Wahlen
aufgrund zahlreicher Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen nicht
durchführbar sind, lancierte die PiS eine Wahlrechtsnovelle im Sejm, dem
Abgeordnetenhaus. Sie soll die [2][Briefwahl] erlauben, deren rigoroser
Gegner die PiS bislang war.
Das Problem: Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts ist die
Wahlrechtsreform verfassungswidrig, da sie spätestens sechs Monate vor der
nächsten Wahl hätte eingebracht werden müssen. Ab diesem Moment lief die
Wahluhr gegen Kaczynski und seine PiS.
## Übliches Turbotempo
Zwar verabschiedete der Sejm mit der absoluten PiS-Mehrheit das
Gesetzesprojekt im üblichen Turbotempo. Doch dann beriet der Senat, in dem
die Opposition seit der Parlamentswahl vom Oktober 2019 zwei Stimmen mehr
als die PiS hat, fast 30 Tage lang die Wahlreform, um sie am Montagabend in
Gänze abzulehnen. Fünf Tage vor dem offiziellen Wahltermin sind also weder
traditionelle Wahlen in Wahllokalen noch landesweite Briefwahlen
vorbereitet.
Dessen ungeachtet ließ der PiS-Politiker und
Regierungs-Wahl-Bevollmächtigte Jacek Sasin schon mal die
Briefwahlunterlagen für 30 Millionen Wahlberechtigte drucken, doch zweifeln
Kritiker die rechtliche Grundlage an.
Im Vorfeld der Wahlen sicherte die PiS ihren Wahlsieg womöglich zu stark
ab. So beschränkte sie die Kompetenzen der unabhängigen Wahlkommission, die
bislang die Wahlen organisiert hatte, und setzte dafür einen Regierung- und
Partei-Beauftragten ein. Auch die Genehmigung der Wahl als „rechtmäßig“
wurde bereits organisiert: Richter, die laut einem Beschluss des Obersten
Gerichts keinen Richterstatus beanspruchen dürfen, da sie vom neuen und
politisch abhängigen Landesjustizrat (KRS) gewählt wurden, sollen die
Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahlen bestätigen.
Bei der erneuten Abstimmung im Sejm am Mittwochabend könnten etliche der 18
Porozumienie/Verständigung-Abgeordneten, die mit der PiS in der Regierung
sitzen, letzterer noch einen Strich durch die Rechnung machen. Sie wollen
gegen das Briefwahlgesetz stimmen.
Doch selbst wenn das Gesetz durchkommen sollte, sind da noch die Postler.
Sie könnten frühestens am Freitag die Briefwahlunterlagen zustellen. Für
die Wahl am kommenden Sonntag ist es da wohl schon zu spät. Die Wahluhr
tickt weiter. Noch.
6 May 2020
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## AUTOREN
Gabriele Lesser
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