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# taz.de -- Corona-Proteste an der polnischen Grenze: „Wir müssen vor allem …
> Wegen Corona ist die deutsch-polnische Grenze für Pendler dicht, am
> Mittwoch berät das polnische Parlament. Marta Szuster über Proteste an
> der Grenze.
Bild: Schüler und Lehrerinnen treffen sich an der geschlossenen Grenze
taz: Frau Szuster, wo haben sie am Freitag protestiert.
Marta Szuster: Am Grenzübergang in Rosow in der Uckermark.
Wie war die Stimmung?
Gut. Friedlich. Die Leute haben sich vorbereitet. Sie hatten Plakate dabei,
aber oft auch eine Rede vorbereitet. Als Organisatorin des Protests war es
mir wichtig, dass die Menschen ihre Geschichten erzählen, also wie sie
unter der Situation der Grenzschließung leiden.
Welche Geschichten wurden erzählt?
Ein Apotheker aus Gartz konnte am Anfang gar nichts erzählen, weil er
weinen musste. Dann sagte er, dass er nicht weiß, wie lange er es aushält
ohne seine Familie.
Der Apotheker pendelt normalerweise aus Polen nach Gartz.
Genau.
Wie viele sind auf die polnische Seite des Grenzübergangs gekommen?
Vielleicht 200. Viele blieben in den Autos, weil [1][Demos in Polen anders
als in Brandenburg verboten sind]. Deswegen haben wir zu den Medien in
Polen gesagt: Wir planen keinen Protest, aber das Wetter soll sehr schön
werden. Da werden viele Spaziergänger kommen.
Es sind Pendler auf beiden Seiten betroffen. Sie leben in der Uckermark, wo
viele Polen in Stettin arbeiten.
In unserem Dorf arbeiten die meisten Polen in Stettin. Einer arbeitet bei
der polnischen Bahn. Zuerst hat er all seinen Urlaub genommen, der ist aber
jetzt zu Ende. Was soll er machen? Die meisten werden sich wohl
krankschreiben müssen. Nicht jeder kann es sich leisten, in Stettin eine
Wohnung zu mieten.
Umgekehrt gibt es 25.000 Pendler aus Polen, die in Ostbrandenburg arbeiten.
In Schwedt im Klinikum, aber auch in den Schulen.
Alleine in Gartz, wo meine Kinder zur Schule gehen, gibt es vier polnische
Lehrerinnen. Alle vier waren auch bei dem Protest dabei.
Auf der polnischen Seite?
Ja. Die Klassenlehrerin von meinem Sohn war auch da, sie haben sich über
die Grenze hinweg begrüßt. Es war richtig rührend. Mein Sohn hatte ein
Plakat: Lasst meine Lehrerin rein. Und sie hatte ein Schild: Lasst mich zu
meinen Schülern.
Für diese Lehrerin hätte es die Möglichkeit gegeben, nach Deutschland
anzureisen und die Beihilfen von Brandenburg etwa für die
Übernachtungskosten in Anspruch zu nehmen.
Natürlich. Aber das kann nicht jeder machen. Viele haben Eltern auf der
anderen Seite, um die sie sich kümmern müssen. So ist es bei unserer
Klassenlehrerin. Aber natürlich überlegen sie sich das. Aber eine Wohnung
hier zu bekommen, grenzt gerade an ein Wunder. In der Raffinerie in Schwedt
und in der Papierfabrik sind alle Übernachtungsräume belegt. Auch meine
Ferienwohnungen sind belegt mit Pendlern, die nun erstmal in Deutschland
geblieben sind. Ich kriege da fünf oder zehn Anrufe am Tag von Leuten, die
Schlafplätze suchen. In Polen gab es übrigens solche Angebote nicht. Da ist
jeder auf sich alleine gestellt.
Viele Pendler nehmen das Angebot aus Brandenburg also an.
Ja, auch die Ärzte und Krankenschwestern, die in der Klinik in Schwedt
arbeiten. Und auch unser Apotheker.
Was unterscheidet die Pendler von den LKW-Fahrern, die über die Grenze
dürfen?
Gute Frage. Eigentlich ist es b[2][ei den LKW-Fahrern noch schlimmer mit
der Gefahr], die kommen aus Italien oder Spanien. Wir hier im Grenzgebiet
haben dagegen sehr wenige Coronafälle. Wovor haben die Angst? Aber ich
finde es gut, dass die LKW-Fahrer fahren dürfen.
Wovor hat denn Warschau Angst?
Natürlich ist die Situation für alle neu. Aber die verstehen nicht, dass
das Grenzgebiet eine gemeinsame Region geworden ist. Dass wir hier
grenzübergreifend arbeiten und leben.
Vielleicht nimmt die Regierung in Warschau jetzt aber die Proteste wahr.
Die Stettiner Tageszeitung Kurier Szczecinski spricht bereits von einer
neuen sozialen Bewegung, die da entstanden sei. Sehen Sie das auch so?
Ja. Und viele sagen jetzt, wir müssen weiter gehen, wir müssen das nächste
Mal Grenzübergänge blockieren. Aber ich finde, wir müssen vor allem laut
sein, dann werden sie uns hören. Und sie haben uns gehört. Alle Medien
haben berichtet. Außer den Regierungsmedien.
Das rechte Internetportal niezalezna.pl stellt die rhetorische Frage, wer
hinter den Protesten steckt. Sie selbst werden attackiert, weil sie den
Frauenstreik in Polen unterstützen, zur Verteidigung der Verfassung
aufrufen oder an Kundgebungen von Lesben und Schwulen teilnehmen.
Wenn das das einzige Argument ist, was sie gegen mich haben, ist es für
mich eher ein Kompliment. Den Beitrag habe ich aufgehoben, als Erinnerung
daran, wieviel Angst die Regierung vor uns hat.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat in seiner Rolle als
Polenbeauftragter der Bundesregierung einen Brief nach Warschau geschrieben
und die Öffnung der Grenze für Pendler verlangt.
Mehr noch. Ich habe Woidke am Montag eine Mail geschrieben und ihm von den
Protesten berichtet und wie verzweifelt die Menschen sind. Und Sie glauben
es nicht: Ein paar Stunden später kriege ich einen Anruf aus Potsdam, und
Dietmar Woidke ist am Apparat.
Was hat er gesagt?
Er hat gleich nach meiner Mail die polnische Botschaft angerufen und auch
den Deutschlandbeauftragten der polnischen Regierung. Er hat mir
versprochen, dass er sich noch mehr für dieses Thema einsetzen wird. Die
Landesregierung nimmt das wirklich sehr ernst.
Am Mittwoch ist das Thema der Grenzschließungen auf der Tagesordnung des
Sejm, des Parlaments in Warschau. Was erwarten Sie?
Ich erwarte eine positive Antwort. Wir wollen ein Datum, an dem es eine
Lösung für die Pendler geben wird. Nicht in einem Monat, sondern in den
nächsten Tagen.
28 Apr 2020
## LINKS
[1] /Lager-evakuieren-Demo-in-Berlin/!5678323&s=demos+corona/
[2] /Geschlossene-Grenzen-in-Deutschland/!5673576&s=lkw-fahrer/
## AUTOREN
Uwe Rada
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